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Debatte um „Relevanz“ Arafats

In Israel wird vor einem Libanon-Szenario in den palästinensischen Gebieten gewarnt. Die Entscheidung der Regierung, die Kontakte zur Autonomiebehörde abzubrechen, wird nicht eingehalten. Kritik kommt auch aus den USA und von der EU

aus Jerusalem ANNE PONGER

Palästinenserchef Jassir Arafat hat nach Ansicht israelischer Militärs Schritte zur Beruhigung der Lage eingeleitet, doch entscheidende Maßnahmen gegen Extremisten vermieden. Die Zahl der Schusswechsel mit militanten Palästinensern erreichten nach eintägiger Pause wieder das alte Niveau. Hohe Offiziere halten es jedoch für einen Fehler, Palästinenserserchef Jassir Arafat für „irrelevant“ zu erklären, und befürchten, das könne negative Folgen für Israel haben. Der israelische Rundfunk brachte diese Meldung gestern mehrmals als Aufmacher seiner Nachrichtensendungen.

Die Einschätzung war nicht politisch, sondern militärisch gemeint. Seit dem Anschlag auf einen Bus neben der Siedlung Emanuel hat die Armee 30 Angriffe gegen Einrichtungen der Autonomiebehörde geflogen, den Gaza-Streifen dreigeteilt, 21 Menschen getötet, 27 Gebäude in Chan Jounis zerstört, war in die Westuferstadt Ramallah aus drei Richtungen eingefallen, hatte Waffen beschlagnahmt und insgesamt mehr als 70 Hamas-, Dschihad-und Fatah-Aktivisten verhaftet. Doch keiner weiß besser als die Armee, dass Israel nicht kurz vor dem Sieg über die Terror-Infrastruktur steht, sondern eher vor erneuter Präsenz in der Altstadt von Nablus und in palästinensischen Flüchtlingslagern.

Ein breites Spektrum von Militärkorrespondenten und Medienkommentatoren erinnert sich dieser Tage an Scharons Libanon-Invasion von 1982, der große Pläne zur Neuordnung des Nahen Ostens zugrunde gelegen hatten. Danach war Israel 18 Jahre im libanesischen Sumpf stecken geblieben und war Zeuge des Anwachsens von Hisbollah geworden. „Die Präsenz der Armee in autonomen Palästinenserstädten könnte zur erneuten Kontrolle über drei Millionen Palästinenser werden“, fürchtete Joel Marcus in Haaretz. „Ist das weniger relevant als Verhandlungen mit dem einzigen palästinensischen Führer, der noch einigen Einfluss hat?“

Während der Ministerpräsident und das Rechtslager seiner Regierung auf der „Irrelevanz“ Arafats bestehen, beginnen die USA und die EU, vor Missverständnissen zu warnen. US-Außenminister Colin Powell und Frankreichs Präsident Jacques Chirac haben Ministerpräsident Ariel Scharon gegenüber deutlich gemacht, dass sie von Arafat nach seiner Rede von Sonntag zwar entschlossene Taten erwarten, ihn jedoch durchaus als den gewählten Führer des palästinensischen Volkes betrachten und weiter mit ihm kooperieren wollen. Powell lockte den Autonomiechef erneut mit amerikanischer Unterstützung für einen palästinensischen Staat und rief Israel zur Beendung von Siedlungsbau und Besatzung auf. Die US-Regierung fürchtet Schlimmeres, sollte Arafat ersetzt werden, und israelische Besetzung eines größeren Territoriums.

Bei einem amerikanisch-israelischen „strategischen Dialog“ in Washington legten die Gastgeber militärische Zurückhaltung nahe. Präsident George W. Bush habe Israel keinesfalls freie Hand im Umgang mit Arafat gegeben. „Hier in Washington stehen die Ampeln zwar lange auf Gelb, doch dann schalten sie um auf Rot“, wurde ein hoher Regierungsbeamter zitiert.

Relevanz gewinnt die „Irrelevanz“-Erklärung der Regierung zunehmend für die Zukunft der Einheitsregierung. Arbeitspartei-Außenminister Schimon Peres trifft Vertreter der Autonomieverwaltung weiter, wie z. B. Parlamentspräsident Abu Ala am Wochenende in Rom. Auch Verteidigungsminister Ben-Elieser hat regelmäßigen Telefonkontakt mit palästinensischen Sicherheitschefs. Tourismusminister Benny Elon vom Rechtsaußenflügel „Israel Beitenu“ forderte Scharon daher unmissverständlich auf, die Kontaktsperre für alle Minister zu erzwingen.

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