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Kein Militäreinsatz, keiner, schafft Frieden

■ Er ist ein elder statesman mit einem Sack voller Erfahrungen und viel diplomatischem Geschick. Dann wieder zürnt er wie ein Junger Wilder gegen die Arroganz der Macht: Hans Koschnick. Der Ex-Bürgermeister von Bremen und von Mostar geht jetzt in den Ruhestand. Wahrscheinlich.

taz: Wenn Sie nochmal jemand bittet, gehen Sie dann doch wieder auf den Balkan, um dort Aufgaben zu übernehmen?

Hans Koschnick: Nein. Wenn man wirklich was für die Flüchtlinge machen will, muss man zu den Leuten hingehen. Da darf man nicht nur mit der Regierung sprechen. Aber ziehen Sie mal mit 73 Jahren durchs Gebirge – da wollen die Knochen nicht mehr ganz so.

Waren Sie lieber Bürgermeister in Bremen oder in Mostar?

Selbstverständlich da, wo ich groß geworden bin. Ich habe manches Gute und manches Andere in Bremen erlebt, aber nicht, dass man mich umbringen wollte – wie in Mostar.

War es nicht auch bequemer, ohne die Fesseln des Parlaments zu regieren?

Also das Bremische Parlament hat wirklich nicht zu viel Macht an sich gerissen ... Aber es war schon ganz schön, sich nicht um jeden kleinen Parteischeiß kümmern zu müssen.

Keine Ortsvereine ...

Ortsvereine sind ja noch das Harmloseste ... die Vernunft ist ja meistens unten größer als oben.

Sie haben auf der internationalen Bühne ein großes Talent als Vermittler bewiesen.

Ich habe früh gelernt, dass wir Konsequenzen aus unserer Geschichte ziehen müssen. Nach 1945 hatte ich eine wunderbar weiße Visitenkarte, weil meine Eltern als Widerstandskämpfer akzeptiert waren. Dadurch konnte ich früh im Ausland arbeiten: In Holland, Dänemark und Norwegen, dann in Jugoslawien und Israel. Später auch in Polen. Meine Frau und ich, wir haben da ein bisschen vom Schutt der Vergangenheit weggeräumt, damit die nächste Generation nicht mit der Belastung leben musste, die wir hatten.

Was war Ihr schwerster Gang?

Nach dem schrecklichen Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft in München waren vier Attentäter inhaftiert. Dann hat die arabische Seite ein Lufthansa-Flugzeug über Zagreb gekapert. Damit wir die runter kriegten, haben wir die vier freigelassen. Der Aufschrei in Israel war groß. Ich habe in unzähligen Gesprächen immer wieder gefragt: Was hättet ihr getan, wenn die Terroristen eine Schule mit 50 Kindern und vier Lehrerinnen in ihrer Gewalt gehabt hätten. Hättet ihr sie in die Luft gehen lassen? Am Ende hat die Regierungschefin gesagt: Ja, sie müsse dieses Argument akzeptieren.

Sie galten als heimlicher Außenminister der SPD. Wären Sie es gerne geworden?

Ich wäre vielleicht mit Willy Brandt in eine Regierung eingetreten. Aber nach dieser Zeit fühlte ich mich in Bremen sehr wohl.

Konnten Sie nachvollziehen, dass Außenminister Fischer aus dem Slogan „Nie wieder Krieg!“ ein „Nie wieder Auschwitz!“ machte, um den Krieg auf dem Balkan zu rechtfertigen?

Ich war – genauso wie Helmut Kohl – strikt gegen deutsche Soldaten auf dem Balkan. Das kam erst nach neun Monaten in Mostar. Ich wollte nicht länger mit einer Art Friedensgebet auf Milosevic einreden. Aber: Dieser Knüppel aus dem Sack ist wirklich die allerletzte Lösung. Ich bin sicher, dass SPD und Grüne nicht die Militarisierung der Außenpoltik wollen. Aber sie sollten das sichtbarer machen. Wenn die Generäle heute hören, die Regierung will, dass wir das machen, dass wir jenes machen, kriegen sie bald das Gefühl, dass sie wieder Vorhut werden und nicht Nachhut.

Sie haben in Bosnien einen Berg von Erfahrungen mit dem Islam gemacht. Hat der diesjährige Bremer Hannah-Arendt-Preisträger Daniel Cohn-Bendit recht, wenn er sagt, die Anschläge in New York hätten ebenso mit dem Islam zu tun wie die Kreuzzüge mit dem Christentum?

Ich würde eher sagen: mit Tendenzen im Islam. Der Versuch der islamischen Welt – nach dem ersten Weltkrieg und vor allen Dingen nach dem zweiten – westliche Modelle zu kopieren, ist gescheitert. Und zwar sowohl von der Mentalität her als auch dadurch, dass ein überwiegender Teil der Re-genten dort gar nicht an Dinge wie Partizipation oder den Ausgleich der sozialen Bedingungen dachte. Viele sind zum Glauben zurückgegangen. Dagegen habe ich nichts. Das Problem ist der militante Fundamentalismus, den wir jetzt mit bin Laden undmit den Wahabiten verbinden. Dabei können wir das Gleiche in einigen christlichen Kirchen feststellen. Siehe Nordirland.

Sie haben mal gesagt, der Westen habe in Bosnien versagt. Gilt das auch für Afghanistan ?

Ja. Die Taliban sind von den USA gefördert worden. Sie haben sich mit dem Teufel zusammengetan, um den Beelzebub auszutreiben. So lange wir mit Leuten arbeiten, die nur deswegen gebraucht werden, weil sie gegen die anderen sind, gibt es keine Lösung. Da haben die Amerikaner mehr als einmal eine unglückliche Hand gehabt.

Sie selbst waren immer ein großer Skeptiker gegenüber militärischer Gewalt. In Bosnien haben Sie jedoch irgendwann gesagt: Nun ist der Karren so weit in den Dreck gefahren, nun haben wir keine andere Wahl.

Ja, um weiteres Morden zu stoppen, um Vertreibungen zu verhindern. Aber kein Militäreinsatz, keiner, schafft Frieden, höchstens Waffenruhe. Wir müssen den Menschen eine Perspektive geben – in den Formen, in denen sie zu leben gewohnt sind. Wir lesen über Tadschiken in Afghanistan, über Usbeken, Hazara und andere, die mit den Paschtunen nicht können. Aber bei der Kapitulation sind die Taliban – Paschtunen – friedlich rausgelassen worden. Schrecklich abgerechnet wurde mit den Fremden, den Söldnern. Ich bin sicher, die Afghanen werden unter sich eher einen Weg finden.

Hätten Sie einer deutschen Kriegsbeteiligung in Afghanistan zugestimmt?

Ja, aber aus einem anderen Grund als der Bundestag: Alle außer Bush senior sind 1989 nach Moskau und Kiew gewandert, um Gorbatschow zu überzeugen: Keine deutsche Vereinigung! Sie hatten Angst: 700.000 deutsche Soldaten in Ost und West, das sind mehr, als die Amerikaner in Europa hatten. Das sind mehr als die Russen in Mitteleuropa hatten. Ökonomisch waren wir im Weltmaßstab auf Platz zwei oder drei. Die Nachbarn entwickelten diese Angst vor der deutschen Sonderrolle. Und als die Europäer jetzt gesagt haben, wir gehen gemeinsam diesen Weg mit, hätten wir mit einem Nein eine Sonderrolle gespielt.

Ist es nicht bedenklich, dass die Weigerung, militärisch einzugreifen, mit dem Etikett „Sonderrolle“ versehen wird?

Das ändert nichts daran, dass andere es draußen so sehen. Die Frage ist: Was wollen wir in Europa? Wollen wir was ganz Besonderes sein, im Positiven oder im Negativen, oder möchten wir endlich normal akzeptiert sein? Was nicht heißt, dass die Deutschen jeden Quatsch mitmachen müssen.

Aber den schon ...

Gehen Sie nach England oder Frankreich, nach Skandinavien. Da gibt es wieder diese Angst: Wenn es gut läuft, sind die Deutschen dabei, bei Problemen sind sie draußen. Dann fällt ihnen wieder ein, warum wir damals ökonomisch stark geworden sind: Weil wir im Korea-Krieg nicht dabei waren. Da haben wir Lücken gefüllt, wo die anderen Rüstung gemacht haben. Das war der Durchbruch der deutschen Wirtschaft.

Verzweifeln Sie manchmal an den internationalen Organisationen?

Natürlich, aber ich bin immer noch für die UNO. Weil sie trotz aller Schwächen nicht parteilich ist. Die Europäer haben eine wenig rühmliche Kolonialgeschichte. Immer wenn wir uns irgendwo engagieren, fällt die Frage auf uns zurück: Ist das wirkliche Hilfe oder habt ihr alte Interessen? Die UNO ist deshalb die wirksamste Organisation. Der kalte Krieg hat verhindert, dass die UNO ihre eigentliches Ziel erreichte: Eine gemeinsame Polizei-militärische Führung. So aber hat die UNO keine Macht und bittet regionale Bündnisse, für sie aktiv zu werden. Die haben natürlich eigene Interessen.

Muss Ussama bin Laden – falls er noch lebt – vor ein internationales statt vor ein US-Militärgericht?

Aus meiner Sicht: Ja.

Hätten die Europäer nicht sagen müssen: Ja, wir untestützen die USA, wenn bin Laden vor ein internationales Gericht gestellt wird? Also: Bedingungen statt uneingeschränkte Solidarität.

Sie wollen, dass wir uns mit Bush, mit Putin und mit den Chinesen anlegen? Das find' ich interessant. Wir Kleinen machen das dann, die taz und die Bremer, wir verändern die Welt. Es waren doch ulkigerweise die wichtigsten Mächte, die gegen den internationalen Gerichtshof sind. Und warum? Damit nicht Soldaten, die auf Befehl gehandelt haben, verurteilt werden können.

Zur deutschen Innenpolitik. Was halten Sie vom Einwanderungsgesetz?

Es ist richtig, anzuerkennen, dass wir ein Einwandererland sind. Das sind wir immer gewesen. Aber ob das Greencard-Prinzip richtig ist ...

Ist es das nicht?

Nein, ist es nicht. Wir können nicht nur den brain drain der armen Länder abschöpfen. Nichts dagegen, dass eine Firma sich jemand Qualifiziertes sucht, aber für so was macht man kein Gesetz. Wenn wir ein Einwanderungsland sein wollen, müssen wir auch einer gewissen Anzahl von Menschen eine Perspektive geben. Ich habe meine Auseinandersetzungen mit den Innenministern der Länder gehabt, weil sie nicht begreifen wollten, was traumatische Belastung heißt. Die nicht begreifen wollten, dass man jemanden nicht zurückschicken kann, wenn der eigene Nachbar, der einen verjagt hat, noch da lebt. Ein Teil unseres Ausländerrechtes war Quatsch. Wir haben Leute weggeschickt, die hier jahrelang gearbeitet haben, in eine Region, in der sie nicht leben möchten, aus der sie vertrieben worden waren. Bremen war da kein Vorbild.

Ist Otto Schily ein guter Innenminister?

Seine Strategie ist, Herrn Beckstein, dem bayerischen CSU-Innenminister, das Wasser abzugraben. Ich halte das für falsch. Ich sage mir: So rechts kann ich gar nicht sein. Wir haben 1945 bewusst gesagt: Die eine Million displaced persons können sich aussuchen, ob sie bleiben wollen oder nicht, aufgrund des Schicksals unserer eigenen Exilanten. Ich kann diese Fummelei am Asylrecht nicht verstehen. Aber man soll auch aus Schily nicht den Schurken der Nation machen.

Wie stellen Sie sich die nächste Zeit vor – Ihre nächste Zeit?

Ich bin viel unterwegs für die „Vereinigung gegen das Vergessen und für Demokratie“. Die junge Generation ist nicht schuld an dem, was damals passiert ist. Sie kann nur schuldig werden, wenn sie zuläßt, dass die Braunen oder andere wiederkommen. Deshalb stelle ich mich in die Schulen und erzähle. Ich habe manchmal meinen Ärger mit dem Parlament. Die machen Resolutionen, wie schön Demokratie ist. Dann sag ich, geht mal in die Berufsschule nach Cottbus, streitet mal mit denen rum, die nicht so viele Haare haben, die aber trotzdem nicht abgeschrieben werden dürfen.

Werden Sie Ferien auf den Balkan machen?

Nein. Meine Frau hat mir nach meinem Rücktritt als Bürgermeister eröffnet, dass sie kein Flugzeug mehr besteigen wird. Und diese Entscheidung respektiere ich. Wir werden uns Orte suchen, die bequem mit der Bahn zu erreichen sind. Und wir haben ja von der Welt schon ziemlich viel gesehen.

Fragen: Elke Heyduck / Jan Kahlcke

Fotos Kerstin Rolfes

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