: Hamburg wurde Schwarz-Schill
Bei der Bürgerschaftswahl am 23. September sah Rot Schwarz ■ Von Sven-Michael Veit
Es kam einer Revolution nahe. Am 23. September wurde erstmals seit 1957 bei einer Bürgerschaftswahl die SPD aus dem Senat gekegelt. Nach 44 Jahren real regierender Sozialdemokratie steht Hamburg nun vor einer völlig neuen politischen Erfahrung.
Der Wahlsieger ist die Populis-ten-Partei des gnadenlosen Richters Ronald Schill, die aus dem Stand 19,4 Prozent erreichte. Da auch die FDP nach acht Jahren mit 5,1 Prozent hauchdünn wieder in die Bürgerschaft einzog und sich zum Wahlsieger erklärte, durfte auch die Union sich als Wahlsieger ausgeben. Trotz eines Stimmenrückganges der CDU um 4,5 Prozent auf nur noch 26,2 Prozent – ihr zweitschlechtestes Hamburg-Ergebnis seit 1946 – reichte es für den „Bürgerblock“ zu sieben Mandaten Mehrheit in der Bürgerschaft und für einen CDU-Regierungschef Ole von Beust.
Die SPD übertraf mit 36,5 Prozent ihren historischen Tiefstand der Wahl 1997 um lediglich 0,3 Prozent und musste vornehmlich deshalb in die Opposition, weil der grüne Koalitionspartner ein Debakel erlitt. Von 13,9 Prozent sank die GAL nach nur vier Jahren rot-grüner Regierung auf 8,6 Prozent. Der Regenbogen wurde mit 1,7 Prozent zu Hamburgs größter Splitterpartei.
Am 31. Oktober wurde von Beust in der Bürgerschaft zum Ers-ten Bürgermeister gewählt und der Senat aus Union, Schill-Partei und FDP bestätigt: Neun Männer, eine Frau und ein Phantom, denn die Spitze der Kulturbehörde ist noch immer unbesetzt, nachdem die einzige Kandidatin, Richard Wagners Urenkelin Nike Wagner, kurzfristig abgesagt hatte.
Die Versprechungen im Wahlkampf, in dem die Innere Unsicherheit das beherrschende Thema war, gossen CDU, Schill-Partei und FDP in ihren Koalitionsverhandlungen in einen Katalog des Grauens. Vereinbart wurde eine Politik der harten Hand und der sozialen Kälte. Die Aufrüstung von Polizei, Justiz und Verfassungsschutz steht ganz oben auf der Prioritätenliste von Schwarz-Schill – und bekam durch den 11. September zusätzliche Legitimation. Weitere Schwerpunkte sind mehr Bildung durch mehr Geld und die Rückkehr zur automobilen Verkehrspolitik der 60er Jahre.
Beim Haushalt knickte der neue Senat postwendend ein. Nur durch neue Schulden und den Verkauf städtischer Firmen kann er die laufenden Ausgaben halbwegs decken. Und macht damit exakt die Finanzpolitik, welche die CDU bei Rot-Grün so heftig kritisiert hatte. Entsprechend müssen nach dem gerade vorgelegten Haushaltsentwurf im nächsten Jahr alle Behörden sparen, reale Zuwächse gibt es nur für die Hardliner, Innensenator Ronald Schill und Justizsenator Roger Kusch.
Die Falken fliegen wieder.
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