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Der Rausch des Wahlsiegs ist vorbei

Mit unterschiedlichen Gefühlen haben SPD und PDS auf ihren Parteitagen am Wochenende die erste gemeinsame Koalition abgesegnet. Klaus Wowereit, Gregor Gysi und ihre unfertige Senatsmannschaft erwartet kein leichter Gang: Rot-Rot in Berlin heißt mehr, als eine ruinierte Stadt zu regieren

. . . Demonstration, und schon sind alle Struktur- veränderungen weg!“

von ROBIN ALEXANDER

Beginnen wir mit den kalten Füßen. Ein paar tausend in dicken Schuhen haben sich am Freitagabend vor dem ICC versammelt. Dort wird die SPD ihren Koalitionsvertrag mit der PDS beschließen. In dem 117-seitigen Papier steht, dass 11.976 Stellen im öffentlichen Dienst eingespart werden sollen. Deshalb ist die Riesengewerkschaft Ver.di vor den zeitlos hässlichen Bau gezogen. Im Vertrag steht, das Universitätsklinikum Benjamin Franklin soll in ein gewöhnliches Krankenhaus umgewandelt werden. Deshalb sind Krankenschwestern, Pfleger, Studenten und junge Mediziner da. Auch Polizisten und Erzieherinnen haben Ärgernisse in der Vereinbarung von SPD und PDS gefunden. „Prinzipiell ist es in Ordnung, einen Haushalt zu sanieren“, ruft Susanne Stumpenhusen von Ver.di in die Kälte. Die Konkreta wird die SPD schon wieder zurücknehmen, hofft sie.

Und tatsächlich: Zwei Stunden debattieren die Genossen über einen Antrag, die Uniklinik vorerst in Frieden zu lassen. Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf brauche die Wissenschaftler, sagt ein Genosse aus Steglitz. Die Uniklinik biete überdurchschnittlich viele Frauenarbeitsplätze, sagt die Uniklinik-Frauenbeauftragte. Erst mal das Urteil einer Expertenkommission abwarten, sagen viele. Sichtbar genervt greift Klaus Wowereit selbst zum Mikro: „Das hat in Berlin jahrzehntelang gewirkt: Eine Demonstration und schon sind aller Strukturveränderungen weg!“ Ein gutes Drittel der Sozialdemokraten hebt schließlich die Stimmkarte für den Antrag, der den sozialdemokratischen Regierenden blamiert hätte. Die Journalisten grinsen.

Am nächsten Morgen ist den Berichterstattern das Lachen vergangen. Als „Kommunist“ und „rote Sau“ wird beschimpft, wer sich durch die Demonstranten zum PDS-Parteitag drängt. Wieder geht es um das Klinikum und den öffentlichen Dienst. Aber obwohl die Sozialisten auf Absperrungen verzichtet haben und ihren Gegnern später Rederecht einräumen, brennt die Luft an diesem kalten Morgen vor Aggressivität. Selbst schuld, die Genossen. Als reiche es nicht, dass die Ostpartei bald über Westberliner Klinika, Theater, Arbeits- und Studienplätze mitbestimmt, krallt sie sich auch noch die Symbole: Im Rathaus Schöneberg, aus dem bis 1989 die Frontstadt geführt wurde, beschließt die Nachfolgeorganisation der SED an diesem Sonntag ihre Koalition mit der SPD.

Wie weh regieren tun kann, hat man an diesem Wochenende auch schon bei der PDS gemerkt: „Noch vor wenigen historischen Momenten hätte ich die Demo da draußen selbst organisiert“, sagt ein bärtiger Redner pathetisch. Den Ausbau des Flughafens Schönefeld hat die PDS jahrelang bekämpft, jetzt aber unterschrieben. Anders als die Sozialdemokraten rücken die Ostsozialisten an diesem Wochenende jedoch zusammen. Und die Führung weiß, was an der Basis immer Solidarisierungseffekte auslöst. „Ich hätte mich gefreut, hätte es seit 1990 so viel Protest gegeben, als viele wissenschaftliche Einrichtungen endgültig geschlossen wurden“, zieht Gysi die Ostkarte, um Diskussionen über die Westklinik einzudämmen.

Formal geht es auf beiden Parteitagen an diesem Wochenende um die Bestätigung des Koalitionsvertrages. Das klappt: 44 von 231 Sozialdemokraten stimmen dagegen und nur 17 von 133 PDS-Genossen. Erstaunlich ähnlich sind die Probleme der beiden neuen Partner auch jenseits der Proteste gegen die ersten Sparmaßnahmen: Bei der Personalsuche jagt eine Panne die nächste. Freitagabend passierte wieder ein Fauxpas. Wowereit hat Karin Schubert als Justizsenatorin aus Sachsen-Anhalt abgeworben. Die beleidigten Parteifreunde von der Elbe treten ihm ans Schienbein, indem sie die Personalie absprachewidrig schon Freitag verkünden. Das zwingt Wowereit, in seiner Rede den Namen selbst zu offenbaren. Der PDS-Vorsitzende Stefan Liebich wurde nur kurz per Handy informiert, dabei muss die PDS dieser Personalie ausdrücklich zustimmen. Schlechter Stil, heißt es am folgenden Tag in der PDS.

Was ist bloß los, fragen sich die Sozialdemokraten. „Bei einer Wahlniederlage könnte die Stimmung kaum schlechter sein“, meint Walter Momper, der mit Wahlniederlagen und schlechter Stimmung Erfahrung hat. „Die Verantwortung drückt wohl“, interpretiert er. Die Verantwortung? Nein. Eher das schlechte Gewissen. Wie im Rausch befand sich die lange gedemütigte SPD, als ihr Wowereit im Frühjahr plötzlich eine Siegchance offenbarten. Ein Rausch der Rache an Landowsky und Diepgen, ein Rausch der Macht, ein Rausch an der Figur Wowereit, die über die Medien als Sympathieträger wahrgenommen wurde.

Jetzt ist die Partei an der Macht und wird plötzlich nüchtern: Der Textbaustein, Landowskys Bezüge zu kürzen, zieht nicht mehr. An der Macht ist man nun – aber mit der PDS, was wie nach langer Verdrängung plötzlich ins Bewusstsein schwappt. Als ein Sprecher des Arbeitskreises sozialdemokratischer Häftlinge die PDS „umbenannte SED“ nennt und „keine demokratische Partei“ erntet er festen, nachdenklichen Applaus.

Wowereit zu Ver.di:„Das hat in Berlin jahrzehntelang gewirkt: Eine . . .

Dabei wären Erklärungen für den Erfolg der PDS sogar hier im ICC, auf dem eigenen Parteitag, zu finden. „Wir von der anderen Seite der Mauer,“ beginnt Christine Bergmann einen Satz. Selbst die Sprache einer Bundesgesundheitsministerin verrät noch Fremdheitsgefühle in der westlich wirkenden SPD. Und Wowereit will morgen tatsächlich fünf SPD-Senatoren präsentieren, von denen niemand die DDR aus eigener Lebenserfahrung kennt. Überhaupt Wowereit. In den Zeitungen stehen in diesen Tagen nicht mehr die Geschichten vom Charmbolzen, sondern Berichte über einen autoritären, einsamen Machtmenschen. In seiner Rede flieht der Regierende Bürgermeister in die Details, als wolle er er sich durch seine Sachkenntnis schützen.

Auch vor Gregor Gysi? Der zukünftige Stellvertreter Wowereits im Amt und Konkurrent um Aufmerksamkeit hält sich im Rathaus Schöneberg nicht mit Details auf. Er schmettert sein Wasserglas vom Podium, so heftig gestikulierend begründet er Sparmaßnahmen. Aber man lasse sich nicht täuschen: Gysi geht es nicht um den Abbau der Verschuldung. Nicht um sein Wirtschaftsressort. Auch nicht um Berlin. Gysi geht es um die PDS. Ein „beachtlicher historischer Fortschritt“ sei das „neue Verhältnis der Kooperation“ zwischen Sozialdemokraten und Ex-Kommunisten, das sich in der rot-roten Koalition ausdrücke.

Die Besetzung der Senatorenposten ist auch bei der PDS nicht gerade erfolgreich verlaufen. Anders aber ist der Umgang mit Personalproblemen: Man klopft ihnen auf die Schulter. Thomas Flierl, von der Presse arg gezauster Kultursenator in spe, kann sich vor körperlichen Solidaritätsbekundungen kaum retten. Selbst bei der langen Debatte um den Präambeltext kippt die Stimmung nichts ins Emotionale, sondern bleibt konzentriert. Hier ist keiner aus einem Rausch verkatert aufgewacht. Hier wissen sie, was sie in dieser Koalition wollen: Über die Westausdehnung die eigene Existenz sichern. Einer, der offiziell Optimimus verkündet, sagt hinter der Hand: „Der Gegenwind gegen Rot-Rot wird noch zunehmen.“ Pause. Lächeln. „Und es scheint, als flattere die SPD zuerst.“

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