: Ruhe in Wien vor dem nächsten Sturm
Der Koalitionskrach zwischen FPÖ und ÖVP schwelt weiter. Jörg Haider schwadroniert bereits über Neuwahlen
WIEN taz ■ Dienstagabend flogen die Fetzen, gestern früh demonstrierte man Gelassenheit. Doch der Streit zwischen Österreichs Koalitionspartnern schwelt weiter. Jörg Haider, einfaches, aber einflußreichstes FPÖ-Mitglied, kann sich Neuwahlen im kommenden Frühjahr vorstellen.
„Wenn Schüssel das Ende der Koalition will, kann er es haben.“ So reagierte die FPÖ-Führung in einer Presseerklärung auf eine Stellungnahme von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Die EU-Osterweiterung sei zentrales Herzstück der Regierungsarbeit, hatte der nach dem Ministerrat am Dienstag erklärt: „Wenn dieses Herzstück fehlt, dann ist vieles verloren, dann geht nichts mehr.“ Den ÖVP-nahen Medien habe der Kanzler daraufhin zu verstehen gegeben, dass dieses Diktum als Drohung an die FPÖ zu verstehen sei, weiß Jörg Haider. Deswegen habe man scharf zurückschießen müssen. Kurz darauf flöteten beide Seiten, man strebe keineswegs Neuwahlen an, fürchte sich aber nicht.
Andreas Khol, Fraktionschef der ÖVP, sprach von einem „reinigenden Gewitter“ zum Austragen von „Meinungsverschiedenheiten, wie sie im Zuge des Temelin-Volksbegehrens entstanden sind.“ Auch Peter Westenthaler, Khols freiheitliches Gegenstück, gab sich gestern gelassener als sonst: „Ich hoffe, daß wir eine gemeinsame Linie für die nächsten zwei Jahre finden werden.“ Gleichzeitig bekräftige er seine Absicht, die Benes-Dekrete zum Gegenstand der Beitrittsverhandlungen mit Tschechien zu machen. Die Dekrete rechtfertigen unter anderem die Vertreibung der Sudetendeutschen, sind aber weder in der Verfassung noch in heutigen Gesetzen enthalten. Aus Brüssel heißt es dazu, die Benes-Dekrete stünden auf keiner Tagesordnung und Tschechien sei auf gutem Kurs im Erweiterungsfahrplan.
Wenn es die Regierung nicht fertigbringe, eine einheitliche Linie in der Europapolitik zu definieren, solle sie zurücktreten, forderte SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer. Schüssel sei nicht zu bedauern, denn „es war von Anfang an klar, daß die FPÖ eine antieuropäische Partei ist.“ Die Grünen wollen bei der nächsten Parlamentssitzung Ende Januar einen dringlichen Antrag zum Thema EU-Erweiterung stellen. Grünen-Chef Alexander Van der Bellen: „Die FPÖ muß dann entweder vertragsbrüchig werden (gegenüber der ÖVP, die die Osterweiterung in den Koalitionsvertrag hineinreklamierte) oder wortbrüchig gegenüber den Unterzeichnern des Volksbegehrens. Damit hat sie sich in die Sackgasse manövriert.“ RALF LEONHARD
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