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Moderne Mütter im Stress

Erst starb ihr Freund, dann ging sie anschaffen und wurde schwanger: Seitdem ihre Familie versucht hat, ihr das Sorgerecht für ihren Sohn zu entziehen, verkauft Conny auf der Straße Uhren. Das Geld für einen Anwalt bekommt sie so nicht zusammen

von LILI BRAND

Ich fahre gerne mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Neulich auf der U-9, Osloerstraße, sprach mich beim Umsteigen eine Frau an: „Brauchen Sie vielleicht eine Uhr? Ich habe gerade ein paar dabei.“ Zwei wertvoll aussehende zeigte sie mir gleich – die eine sollte 10, die andere 40 Euro kosten. Ich brauchte zwar eine Uhr, konnte mich aber nicht so schnell entscheiden. Deswegen lud ich sie erst mal zu einer Tasse Kaffee ein. Am Ende kaufte ich ihr die 40-Euro-Uhr für 10 ab, und wir tauschten unsere Handynummern aus.

Conny, so hieß die Frau, rief mich auch gleich am nächsten Tag an: Sie hätte weitere Uhren im Angebot. Ich hatte keinen Bedarf mehr, aber meine Neugier veranlasste mich, sie erneut zu treffen. In einer Kneipe am Leopoldplatz erzählte sie mir ihre Geschichte: Conny hatte noch zwei Schwestern, sie war die mittlere. Ihr Vater, ein NVA-Offizier, war ein Familientyrann gewesen. Sie wollte deswegen so schnell wie möglich das Elternhaus verlassen – und landete dann bei einem netten Westberliner Türken namens Suleyman. Dieser war jedoch heroinabhängig – und auch Conny wurde es bald. Sie liebten sich sehr, aber bereits nach einem Jahr starb ihr Freund an einer Überdosis. In ihrem Kummer und Alleinsein ließ sie sich irgendwann mit einem anderen Mann ein – diesmal war es ein Deutscher und er war kokainabhängig. Aber auch das gefiel ihr. Bald stellte sie sich sogar an die Kurfürstenstraße zum Anschaffen. Irgendwann wurde sie schwanger. Wenig später verließ ihr Freund sie. Conny entschloss sich, das Kind auszutragen. Sie machte eine Entzugstherapie und stieg in ein Methadonprogramm ein.

Während der ganzen Zeit hatte sie von ihrer Familie nichts gehört. Als sie jedoch auf der Entbindungsstation lag, bekam sie plötzlich Besuch von ihrer älteren Schwester. Diese erzählte ihr, dass sie inzwischen als Architektin arbeite, gut Geld verdiene und im Übrigen lesbisch geworden sei. Das Kind wurde Arthur genannt. Conny, die eine Ausbildung als Arzthelferin besaß, nahm wenig später einen Job in einem Altenpflegeheim an. Ihren Sohn brachte sie in einem Kindergarten unter. Manchmal schaffte sie es nicht, Arthur rechtzeitig von dort abzuholen – und bat dann ihre ältere Schwester, Petra, ihr zu helfen. Diese war erst unwillig – „mit so einem kleinen Scheißer kann ich doch gar nichts anfangen!“ –, aber je verständiger Arthur wurde, desto lieber mochte sie ihn. Sie bat sogar Conny immer öfter darum, das Kind über Nacht bei ihr zu lassen. Auch Connys Mutter beteiligte sich bald liebevoll an seiner Erziehung.

Außerdem war da dann noch Thomas – Connys neuer Freund, der davon lebte, auf Bestellung Uhren und Schmuckstücke zu stehlen. Manchmal griff er mehr ab – und schenkte das Zeug Conny. Was sie davon nicht brauchte, versuchte sie weiterzuverkaufen. Denn sie hatte inzwischen ihren Job im Altenheim aufgegeben. Thomas konnte gut mit Kindern umgehen. Je mehr Arthur sich an ihn gewöhnte, desto heftiger schrillten jedoch bei Connys Mutter und der Schwester die Alarmglocken: Sie befürchteten, das Kind könnte ihnen entgleiten und beschlossen, zwei folgenschwere Schritte einzuleiten: Erstens denunzierten sie Thomas als Dieb bei der Polizei, und zweitens bemühten sie sich beim Jugendamt um das Sorgerecht für Arthur. „Es geht uns dabei einzig um das Wohl des Kindes!“, verteidigte die Mutter später ihr Verhalten gegenüber Conny, die zunächst gar nichts davon mitbekommen hatte.

Das Jugendamt reagierte aber darauf, indem es Conny zu sich bestellte. Vor dem Termin beriet sie sich telefonisch mit Petra. Diese meinte, dass sei sicher nur eine harmlose Sache, die mit der Kündigung ihrer Arbeitsstelle zusammenhänge. Auf dem Amt erfuhr Conny jedoch, dass ihre Mutter und ihre Schwester das halbe Sorgerecht für Arthur beanspruchten – und zwar jede Woche von Freitag bis Montag. Der Sachbearbeiterin lag dazu ein vierseitiges Schreiben vor, in dem die Mutter und die Schwester peinlich genau aufgelistet hatten, wo und wann Conny ihre Mutterpflichten vernachlässigte. Das begann schon bei der Geburt von Arthur, wo Conny angeblich nicht einmal gelächelt hätte.

Als sie dann arbeitete, hätte sie kaum noch Zeit für das Kind gehabt. Aber auch in ihrer Freizeit habe sie nicht gut auf Arthur aufgepasst: Einmal wäre das Kind durch ihre Fahrlässigkeit fast von einem Auto überfahren worden und ein anderes Mal habe sie es auf einem Kinderkarussel in eine lebensbedrohende Situation gebracht. Auch dass Conny nach wie vor im Methadonprogramm mitmachte, also quasi noch drogenabhängig war, hatten sie nicht vergessen zu erwähnen. Ebensowenig ihre fragwürdigen Männerbeziehungen. Conny gelang es zwar, all diese Vorwürfe gegenüber der Sachbearbeiterin zu entkräften, aber sie fühlte sich durch das Verhalten ihrer Mutter und ihrer Schwester so, als hätte jemand ihr ein Messer in den Rücken gestoßen.

Aus Wut und Verzweiflung beschloss sie zu kämpfen. Aber auch ihre saubere Familie ließ nicht locker – und nahm sich eine teure Anwältin, die Conny schließlich vom Familiengericht in Pankow-Weißensee vorladen ließ. Conny war entsetzt. Da sie aber kein Geld für einen Anwalt hatte, nahm sie sich eine Journalistin – mich –, die sie bat, über diese Sauerei was zu schreiben. Was hiermit geschehen ist. Fortsetzung folgt!

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