: Ersatzstrafe: Berufsverbot
Polizei droht mit Disziplinarverfahren gegen einen Arzt, weil er einen Polizeibeamten wegen Körperverletzung im Amt anzeigte ■ Von Kai von Appen
Berufsverbot als Sanktionsmaßnahme – so haben sich Polizeibeamte des Reviers Lerchenstraße im Schanzenviertel das offenbar vorgestellt. Weil er Zivilcourage gegen Rassismus zeigte und Polizisten der Wache 16 bei der Festnahme eines Schwarzafrikaners kritisch beäugte, steckte der türkische Arzt Selcuk Eralp nicht nur Prügel ein und bekam ein Strafverfahren an den Hals, die Polizisten versuchten zudem, gegen ihn ein Berufsverbotsverfahren bei der Ärztekammer anzuzetteln.
Selcuk Eralp arbeitet in einer Klinik in Kaltenkirchen. Daher ist er bei der Ärztekammer Schleswig-Holstein registriert. In der Nacht des 1. Juni vorigen Jahres werden er und seine Begleiterin Magdalena M. zufällig Augenzeuge einer Festnahme eines mutmaßlichen Drogendealers in der Susannenstraße. Da mehrere Passanten die Aktion skeptisch verfolgen, gehen auch die beiden zum Streifenwagen. Plötzlich seien sie von dem Beamten Christian F. attackiert worden, der sagte: „Ich erkenne euch wieder.“ Als sich M. nicht sofort entfernt, packt F. die Frau am Arm und drückt sie auf die Motorhaube. Indes packt der Beamte Mathias B. auch Eralp und dreht ihm den Arm auf den Rücken und will ihn ebenfalls mit dem Kopf auf die Motorhaube drücken. „Ich versuchte meinen Kopf zu schützen“, berichtet Eralp. „Darauf hat er mich zu Boden geworfen und getreten.“ Später auf der Wache bekommt Eralp nach eigenen Angaben noch weitere Faustschläge an den Kopf und Oberkörper.
Der Polizist B. gibt indes an, er habe Eralp einen Platzverweis erteilt und sei daraufhin in die Genitalien getreten worden, bevor er ihm Handfesseln anlegen konnte. Selbst dabei hätte Eralp nach ihm getreten. Diese Version wird von den Zeugen – außer von einigen selbst beteiligten Polizisten – bestritten.
Hintergrund der Äußerung „Ich erkenne euch wieder“: Bereits zwei Monate zuvor waren Eralp und M. im Schanzenviertel auf die beiden Polizisten bei einer anderen Festnahme gestoßen. Damals hatte Eralp sich nach dem Grund erkundigt. „Du bist Ausländer. Du bist wahrscheinlich illegal. Zeig deinen Ausweis“, waren die Reaktionen. Eralp wies sich mit seinem Dienstausweis der Ärztekammer Schleswig-Holstein aus.
Damit nicht genug: Die beiden Polizisten schalteten nach dem letzten Vorfall offiziell die Ärztekammer ein. „Als Arzt müsste Herr Eralp Kenntnisse über die Gefährlichkeit eines Trittes in den Hodenbereich eines Mannes haben“, so F. auf Dienstpapier des Polizeikommissariates 16, so dass „Bedenken bestehen, ob Herr Eralp überhaupt in der Lage ist, gemäß des Hippokratischen Eides Menschen ärztliche Hilfe zukommen zu lassen“.
Die Kammer reagierte prompt und forderte Eralp zur Stellungnahme auf. „Das sei ein üblicher Vorgang“, verteidigt die Justiziarin die Reaktion, obwohl auch sie den Vorgang „außergewöhnlich“ findet. „Es kann sich bei uns jeder melden, der ein Fehlverhalten festgestellt hat. Dem müssen wir nachgehen.“ Im Gegenzug habe der Arzt aber auch die Möglichkeit, bei „falscher Anschuldigung zivilrechtlich gegen die Person vorzugehen“.
Die Polizei bedauert indes die Angelegenheit: „Die Idee war dem Beamten unter dem Eindruck des Vorfalls gekommen“, so Polizeisprecher Reinhard Fallak. „Der Revierleiter hat mehrfach versucht, sich dafür bei Herrn Eralp zu entschuldigen.“ Der Beamte habe deswegen „einen internen Verweis erhalten“.
Polizist Mathias B. ist kein unbeschriebenes Blatt. Schon 1998 war er ins Visier der Justiz geraten, weil er bei einem Einsatz auf dem Hamburger Dom einen Schwarzafrikaner misshandelt haben soll. In ers-ter Instanz ist er zwar vom Amtsgericht freigesprochen worden, die Staatsanwaltschaft legte aber umgehend Berufung ein.
Und womöglich hätte Mathias B. nun auch noch ohne Anwalt dagestanden. Denn sein Verteidiger Walter Wellinghausen ist inzwischen zum Staatsrat der Innenbehörde avanciert. Aber dann nimmt für Mathias B. doch alles einen günstigen Lauf. Die Staatsanwaltschaft zieht Anfang Februar überraschend die Berufung zurück. Und das „Dezernat Interne Ermittlungen“, das Wellinghausen direkt untersteht und gegen den Beamten B. ermittelt, hat weitere Schritte bis zum Abschluss des Prozesses gegen Eralp zurückgestellt.
Im Gegenzug ist der Forderung von Eralps Anwalt Mülayim Hüseyin, das Verfahren bis zum Abschluss des Prozesses gegen den Polizisten auszusetzen, nicht entsprochen worden. Vermutungen, Drcuk von oben habe zugunsten von B. nachgeholfen, weist Staatsanwaltschaftssprecher Rüdiger Bagger zurück. „Dass eine Berufung zurückgenommen wird, kann unabhängig von einem anderen Verfahren vorkommen, wenn sich herausstellt, dass die Beweiswürdigung des Amtsrichters schlüssig ist“, sagt er: „Das alte Verfahren ist aber mit einem Vermerk im neuen eingeführt worden.“
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