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Personalakten mit Füßen getreten

■ Gesundheitszeugnisse, Kündigungsschreiben, Versichertenscheine: In einer alten Großküche in Vegesack liegen kistenweise alte Personalakten herum. Datenschützer: „Das ist einmalig“

Die Glasscherben liegen gleich zentimeterdick auf dem Boden, über angerosteten Dampfdrucktöpfen hängen erstarrte Tropffäden aus geschmolzenem Plastik von der Decke – die ehemalige „Stadtküche Bremen-Nord“ im Vegesacker Industriegebiet macht heute einen unappetitlichen Eindruck. Nicht nur das: „Hier werden Arbeitnehmerrechte mit Füßen getreten“, sagt Helmut Rattai, Gewerkschaftssekretär beim Bremer DGB und meint das ganz wörtlich. Zwischen verbogenen Aluträgern, ausgebrannten Federkernmatratzen und graffittibesprühten Mauerresten steht der Gewerkschafter auf einem Berg von Asche und angekokelten Papierstücken: Personalakten. Was noch nicht verbrannt ist, liegt im Nachbarraum vor dem aufgerissenen Regalschrank auf dem Fußboden. „Bewerbungsunterlagen, Gesundheitszeugnisse, Kündigungsschreiben – da kann hier jeder ran“, regt sich Rattai auf: „Das ist ein Skandal.“

Unter ehemaligen Beschäftigten ging das Gerücht von den frei zugänglichen Personalakten in dem Abbruchhaus schon länger um. Lokalpolitiker machten es jetzt öffentlich. „Da kriegt man Magenschmerzen, wenn man das hier sieht“, meint einer, dessen Frau in der Großküche gearbeitet hat. Hastig blättert er in den Ordnern, lässt Versicherungsbescheinigungen, Arbeitsprozessunterlagen und Gehaltslisten durch seine Hände gleiten. Plötzlich hält er inne, zeigt auf die Akte, die er gefunden hat. Es ist die seiner Frau.

Angesichts des Berges von Unterlagen, der sich in der Ruine stapelt, kann selbst der für Arbeitnehmer-Datenschutz zuständige Mitarbeiter des Bremer Landesdatenschutzbeauftragten, Harald Stelljes, nur den Kopf schütteln. Es komme immer wieder vor, dass Arbeitgeber alte Unterlagen über die Altpapiersammlung entsorgten und sich die sensiblen Unterlagen dann im Straßengraben oder sonst wo wiederfänden, berichtet er. Dass aber gleich kistenweise komplette Personalakten öffentlich zugänglich herumlägen, sei ihm noch nicht passiert. Stelljes zeigt auf Hängeregister, die fein säuberlich mit den Namen der ehemaligen Angestellten beschriftet sind und zieht Ordner mit kompletten Personalakten der ehemaligen Großküche aus dem Dreck. Die Papierstapel füllen mehrere Umzugskartons. Stelljes: „Das ist bisher einmalig.“

Der Datenschützer will jetzt den Firmeninhaber ausfindig machen. „Diese Unterlagen hätten entweder zurückgegeben oder ordnungsgemäß vernichtet werden müssen“, erklärt er. Zur Not will er auch ein Zwangsgeld gegen den ehemaligen Arbeitgeber verhängen. Strafbar ist der schludrige Umgang mit den sensiblen Schriftstücken jedoch nicht. „Da müssten die Betroffenen selbst auf Schadensersatz klagen“, sagt Stelljes. Seit Jahren forderten die Datenschützer deshalb verbindliche Regelungen für den Arbeitnehmer-Datenschutz.

Die TMF Food Services GmbH & Co. KG im badischen Karlsruhe, die das Gebäude samt der „Stadtküche Bremen-Nord“ vor rund zehn Jahren vom alten Eigentümer Leschnick übernommen hat, zeigte sich gestern überrascht von den Vorwürfen. „Wir haben vor Jahren alle Unterlagen nach Karlsruhe ins Archiv gebracht oder vernichtet“, behauptet Geschäftsführer Joachim Pfeng. Vor etwa einem Jahr sei die Polizei dann auf weitere Unterlagen in dem Gebäude gestoßen. Auch diese habe TMF damals aber vernichtet. So werde man selbstverständlich auch mit den jetzt aufgefundenen Akten verfahren. Pfeng: „Das ist gar keine Frage.“

Während Stelljes noch die Rechtslage erörtert, schreitet DGB-Mann Rattai zur Tat und packt die noch intakten Akten in den Kofferraum seines Jeeps. „Die kommen jetzt in den DGB-Keller“, erklärt er, schlägt die Hecktür zu und braust davon. Zurück bleibt ein Haufen Asche. hoi

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