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Sie fährt und fährt – wieder

„Frau am Steuer, das wird teuer“, heißt eine männliche Bauernweisheit. Gegen das Vorurteil und die eigene Angst vorm Autofahren arbeitet nun in Hohenschönhausen der „Club autogestresster Frauen“

von KRISTINA DEININGER

Männer können nicht zuhören, Frauen schlecht einparken. So ähnlich lautet der Titel eines aktuellen Bestsellers des englischen Autorenpaares Pease, und er spiegelt eines deutlich wider: Das Auto ist immer noch eine Männerdomäne. Männer können sowieso besser fahren, schon von Natur aus – jedenfalls wird das in eben erwähnten Buch mit verhaltenspsychologischen Erkenntnissen zu belegen versucht …

Diese fadenscheinigen Erklärungen sind wohl nur einer von vielen Gründen, warum sich viele Frauen nicht mehr hinters Steuer trauen. Aus Angst, die Situation nicht richtig im Griff zu haben, lassen sie den Männern den Vortritt oder steigen auf Bus und Bahn um. Je mehr Zeit ohne Fahrpraxis verstreicht, umso größer wird die Angst – so entsteht ein Teufelskreis, der sich über Jahrzehnte hinziehen kann.

Frau Axmann zum Beispiel kennt den genau. Seit über zehn Jahren ist sie nicht mehr gefahren. Ihr Mann ist Lastwagenfahrer – da ergibt es sich von selbst, dass er im Pkw das Steuer übernimmt. Mit den Jahren ist ihre Unsicherheit größer geworden – aber heute hat sie sich getraut. Zwar ist sie noch mit der U-Bahn in die Gehrenseestraße gefahren, aber immerhin: Der erste Schritt ist getan. Frau Axmann ist frisch gebackenes Mitglied im „Club autogestresster Frauen“.

Was sich zunächst vielleicht lächerlich anhört, ist für die 12 Frauen, die sich einmal im Monat in den Räumen des Vereins Frauenpunkt Courage in Höhenschönhausen treffen, ein Problem, das sie im täglichen Leben behindert: Autofahren. Heute steht ein Vortrag zur Notfallhilfe auf dem Programm – ein Thema, mit dem man sich als ängstliche Autofahrerin ständig beschäftigt. Die Referentin Lindemann möchte das Selbstvertrauen der Frauen stärken. Schildern, was man konkret tun kann, wenn es doch mal kracht oder man unverhofft zum Ersthelfer wird.

Die Atmosphäre ist vertrauensvoll und entspannt, vielleicht nicht zuletzt deswegen, weil Lindemann vor zwei Jahren selbst durch den Club ihr Selbstvertrauen am Steuer zurückerlangte. Zehn Fahrstunden und viele Stammtische später ist sie zwar noch immer keine leidenschaftliche Autofahrerin, aber Angst hat sie keine mehr.

Erfolgsquote 85 Prozent

„Wir wollen nicht als Spinnerclub gelten, uns ist wichtig, dass dieses Thema ernst genommen wird!“, sagt Jutta Cujass, die Projektbetreuerin des Clubs. Als Gründerin engagiert sie sich seit zwei Jahren ehrenamtlich, spontan angeregt durch ein ähnliches Projekt in Magdeburg. Gemeinsam mit der Hohenschönhauser Fahrschule Schöffmann erarbeitete sie ein Konzept, das aufging: ausführliche Gespräche, psychologische Betreuung und gezielte Schulung. 85 vormals autogestresste Frauen setzen sich heute wieder leichter hinter das Steuer – weitaus mehr, als nach simplen Auffrischungsstunden bei der Fahrschule um die Ecke.

„Wenn eine Frau Probleme beim Autofahren hat, reicht das oft tiefer, als man denkt. Die Unsicherheiten und Ängste dieser Frauen weiten sich meist in alle Bereiche des Lebens aus, sei es Job, Ehe oder Kinder“, erklärt Cujass. „Wenn wir dann einer Frau geholfen haben, selbstbewusster hinter dem Steuer zu sein, dann meistert sie auch ihren Alltag wieder souveräner.“

Der Fahrlehrer Hans-Jürgen Schöffmann kann das nur bestätigen: „Da steckt ein Selbstfindungsprozess dahinter.“ Er verstehe sich sowieso eher als Psychologe und Pädagoge denn als Fahrlehrer. Dass die autogestressten Frauen ausgerechnet von einem Mann zurück in die Fahrpraxis begleitet werden, ist zwar ungewöhnlich – aber Jutta Cujass ist sich sicher, keine geeignetere Frau für den Part zu finden.

Der erste Schritt ist der Anruf beim Frauenpunkt Courage, dann folgen viele Gespräche, der Besuch der monatlichen Stammtische und vielleicht einige Fahrstunden. Schöffmann hat dafür sein eigenes Rezept. Viel Verständnis und gezielte Hilfe – so bietet er unter anderem an, im eigenen Pkw zu fahren oder gar den Ehemann bei der Fahrstunde mitzunehmen. Die Probleme hinterm Steuer ähnelten sich zwar, erklärt Cujass, aber dennoch gleiche keine „autogestresste Frau“ der anderen.

Die Angst, schlichtweg „zu dumm“ zum Autofahren zu sein, ist unter vielen Frauen immer noch groß. Völlig zu Unrecht, findet Fahrlehrer Schöffmann. „Es gibt keine dummen oder klugen Autofahrer“, sagt er. „Es gibt nur geübte und ungeübte – und genau da setzen wir an.“

Viele der Hilfe suchenden Frauen kommen aber auch ohne Fahrauffrischung aus ihrer Angst heraus. In der Gruppe gemeinsam die eigenen Probleme zu diskutieren und Erfahrungen auszutauschen reicht vielen, neuen Mut für das Wagnis Autofahren zu fassen.

Christel Meyer, die nach fast fünfzehn Jahren den weiten Weg von Kreuzberg nach Hohenschönhausen auf sich genommen hat, um in Zukunft wieder auf Bus und Bahn verzichten zu können, ist optimistisch. „Bis jetzt habe ich immer Blut und Wasser geschwitzt beim Gedanken ans Fahren, habe teure Taxis bezahlt, obwohl das eigene Auto zu Hause stand. Jetzt ist Schluss damit.“

Der „Club Autogestresster Frauen“ ist ein Projekt des gemeinnützigen Vereins Frauenpunkt Courage e. V. in Hohenschönhausen. Jeden dritten Mittwoch im Monat findet ab 17 Uhr der Stammtisch in den Räumen in der Gehrenseestraße 4 statt. Tel. (0 30) 98 60 25 86.

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