: Schlechter Ruf
Nur bei jedem fünften Schizophrenie-Patienten kann die medikamentöse Behandlung einen Rückfall verhindern
Der Psychiater ist der Unsympath per se – in den beiden aktuellen Kinofilmen zum Thema „Schizophrenie“ kommen die Weißkittel schlecht weg. Sie haben kein Verständnis für die besorgten Fragen der Angehörigen, geben sich allwissend und arrogant. Psychiatrie, das klingt nach Einsperren, Entmündigen, Ruhigstellen mit chemischen Keulen. Obwohl die Institution Psychiatrie ein möglicherweise noch schlechteres Image hat als psychisch Kranke selbst, ist und bleibt sie nötig und hilfreich, um Leiden wie die Schizophrenie zu behandeln – sonst ist eine Rückkehr der Kranken in den Alltag kaum möglich.
Die tragende Säule der Therapie sind und bleiben Medikamente. In den Fünfzigerjahren wurde erstmals Haloperidol verwendet: Der „Klassiker“ unter den Psychopharmaka greift so in die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen ein, dass die Stimmen im Kopf zumindest vorübergehend verstummen. Dafür nimmt der Patient seine Umwelt nur noch wie durch Watte wahr; die Nebenwirkungen können schwer sein, bis hin zu irreversiblen Bewegungsstörungen.
Inzwischen ist eine Anzahl neuer, so genannter atypischer Psychopharmaka entwickelt worden, die zum Teil besser verträglich sein sollen. Objektive Studien zu diesen „Atypika“ sind allerdings Mangelware: In der Fachzeitschrift New England Journal of Medicine warnte der britische Psychiater John Geddes von der Universität Oxford kürzlich vor dem übergroßen Einfluss der Pharmaindustrie auf klinische Studien zu Schizophrenie-Medikamenten. Es gibt kaum Studien, die nicht von Pharmafirmen finanziert und dadurch in gewisser Weise auch gesteuert werden.
Besonders innovativ ist das Wirkprinzip der Atypika ohnehin nicht: Genau wie Haloperidol greifen sie in die Kommunikation der Gehirnzellen ein, indem sie die Konzentration der Botenstoffe – zum Beispiel Serotonin oder Dopamin – verändern. Nach der ersten Diagnose „Schizophrenie“ nehmen Kranke diese Medikamente oft über Jahre und Jahrzehnte hinweg, um einen Rückfall zu verhindern. Das gelingt jedoch nur bei jedem fünften Kranken, über achtzig Prozent machen zwei oder mehr schizophrene Episoden durch.
„Sich immer nur auf die Beeinflussung von Botenstoffen zu konzentrieren, wird sich auf Dauer als Sackgasse erweisen“, meint Hinderk Emrich von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).
Deshalb setzen Forscher auf das Prinzip der „Neuroprotektion“. Schädliche Faktoren sollen möglichst schon im Vorfeld oder gleich bei Ausbruch der Krankheit aus dem komplizierten Stoffwechsel des Gehirns ausgeschaltet, schützende Stoffe dagegen vermehrt werden. Zum Beispiel üben körpereigene Cannabinoide – Substanzen die auf die gleichen Rezeptoren wirken wie die Droge Cannabis – eine schützende Wirkung auf Nervenzellen aus. Das berichtete der MHH-Professor Udo Schneider auf einem Symposium zum Thema „Auf den Spuren der Schizophrenie“ in Hannover. Auch das weibliche Geschlechtshormon Östrogen bewahrt Nervenzellen offenbar vor Angriffen: „Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass es bei Frauen zu Beginn der Wechseljahre gleichzeitig mit dem Abfall von Östrogen überproportional häufig zu psychotischen Störungen kommt“, so Emrich.
In den letzten Jahren haben Familien- und Psychotherapie bei der Behandlung von Schizophrenie enorm an Bedeutung gewonnen. Bevor eine Psychotherapie Sinn macht, muss allerdings abgewartet werden, ob die Medikamente wirken und der Patient wieder einen Bezug zur Realität herstellen kann. Dann trainieren Therapeut und Kranker zusammen, wie er seinen Alltag bewältigen und mit Stresssituationen umgehen kann. Auch die Familie des Kranken spielt eine wichtige Rolle: Heute ist eine kunstgerechte Schizophreniebehandlung ohne Einbeziehung der Angehörigen nicht mehr denkbar.
Wie weit eine „Heilung“ möglich ist, bleibt vor allem für die achtzig Prozent der Kranken dahingestellt, die nach der ersten schizophrenen Episode Rückfälle erleiden. Doch selbst wenn die Welt im Kopf nicht verschwindet, ist ein erfülltes Leben mit der Krankheit möglich. Davon berichtet der schizophrene irische Journalist Harry Cavendish in der Zeitschrift The Lancet: „Ich habe meine eigene strenge, aber vernünftige Göttin entwickelt, die ich Ezmerelda nenne … Kürzlich sagte ich zu meiner Betreuerin, dass alles, was ich je wollte, die Freiheit ist, ich selbst zu sein und mein Leben in Frieden zu leben. Das habe ich nun, und sie stimmt mir zu – das ist genug.“
EVELYN HAUENSTEIN
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