: „Mit dem Rücken zur Wand“
Die Israelin Galit und der Palästinenser Youssef engagieren sich gemeinsam in einer Berliner Friedensgruppe, die ein Ende des Nahostkriegs fordert – auch wenn das nicht alle verstehen
Das Gespräch moderierte PHILIPP GESSLER
taz: Galit, was hörst du von deiner Familie und deinen Freunden in Israel: Wie ist die Stimmung dort?
Galit: Ich telefoniere mit ihnen. Es ist ziemlich schlimm geworden. Die Atmosphäre ist sehr gewalttätig. Von meiner Familie höre ich Hass gegen die Palästinenser und viel Angst vor ihnen. Aber von meinen Freunden aus einer humanitären Organisation höre ich, dass sie Angst haben, die Lage könnte schlimmer denn je werden für die Palästinenser. Der Kontakt zwischen dieser Organisation und den Palästinensern ist nur noch über Telefon möglich. Sie befürchten, dass der Kontakt völlig abbricht.
Wie ist das mit euren Verwandten und Freunden: Können die verstehen, dass ihr in einer Friedensgruppe zusammen mit Palästinensern, Juden und Israelis aktiv seid?
Youssef: Sie haben damit kein Problem. Ich bin in einer muslimischen Familie aufgewachsen, die offen ist für alle Religionen. Ich habe eine christliche Mittelschule besucht. Meine Großeltern haben herzlich von ihren jüdischen Nachbarn in Akko – der Stadt, von wo meine Familie stammt – gesprochen. Akko liegt heute in Nordisrael.
Galit: Meine Mutter ist nicht einverstanden damit, dass ich in einer Friedensorganisation tätig bin. „Was suchst Du da drin?“, fragt sie. Im Augenblick redet sie nicht mit ihren palästinensischen Nachbarn. Das sei nicht die Zeit. Es gebe niemanden, mit dem man reden könne.
Vor einigen Monaten gab es Spannungen in eurer Gruppe: Die Mehrheit wollte, dass bei einer Mahnwache für den Frieden am Kudamm keine Palästina-Flagge gezeigt wird. Deshalb erschienen die Palästinenser nicht mehr zur nächsten Demo. Sind solche Spannungen üblich in der Gruppe?
Galit: Manchmal verstehen wir Israelis nicht die Empfindlichkeiten der Palästinenser, manchmal sie nicht unsere. Da gibt es Probleme.
Was sind das für Empfindlichkeiten?
Galit: Manche Israelis und Juden verstehen nicht, dass israelische Symbole für Palästinenser nicht akzeptabel sind. Die Araber haben oft keine Ahnung von der israelischen Geschichte – ich habe in den letzten zwei Jahren entdeckt, wie wenig ich über die palästinensische Geschichte weiß. Es gibt nicht unbedingt einen großen Krach. Aber unter der Oberfläche ist man sehr schnell verletzt.
Youssef: An den Mahnwachen beteiligten und beteiligen sich nicht nur Aktivisten der Nahost-Gruppe. Diese Diskussion gab es mit der Vereinigten Palästinensischen Gemeinde. Sie sehen die palästinensische Fahne als ein Symbol für die Rechte des palästinensischen Volkes. Das ist das Symbol des geforderten Staates, für den man seit Jahrzehnten kämpft. Dies führte zu der Diskussion in der Nahostgruppe und mit den anderen Beteiligten.
Youssef, gibt es Momente, da du dich schämst für deine Landsleute – etwa, wenn auf der Pro-Palästina-Demonstration am Samstag in Berlin ein palästinensisches Mädchen mitläuft, dem sein Vater Attrappen von Dynamitstangen umhängte?
Youssef: Ich bin sehr empört. Wir haben für ein Ende der Besatzung und für den Frieden demonstriert. Nicht für die Selbstmordattentate. Solche Symbole hatten auf der Demo nichts zu suchen. Leider ist der Mann von den Organisatoren nicht bemerkt worden, sonst hätte man ihm die Teilnahme an der Demonstration untersagt. Ich bin aber auch über die Presse verärgert, die fast ausschließlich dieses Bild ausgesucht hat und nicht objektiv über die Demo berichtet hat. Warum sehen wir nicht die Friedenstransparente? Warum benutzt man diese Bilder, um die Palästinenser und Solidaritätsgruppen zu diffamieren und als Zielscheibe hinzustellen? Warum diese Hetze? Das ist für das Zusammenleben in Deutschland schädlich und gefährlich.
Galit, Du warst auf der gleichen Demo. Wenn du so etwas siehst wie das Mädchen mit den Dynamitstangen: Fühlst du dich dann nicht fehl am Platze?
Galit: Grundsätzlich sehe ich das als einen Fehler des Vaters. Aber ich verstehe diese Empörung. Ich bin voll einverstanden mit Youssef: 35 Jahre lang wurden die Palästinenser nur unterdrückt. Ich als Person habe nichts zu tun mit Nationalität, mag weder die israelische noch die amerikanische, deutsche oder palästinensische Fahne. Von mir aus braucht es überhaupt keine Fahne. Aber ich verstehe die Palästinenser: Sie haben noch nie ihre nationalen Rechte bekommen. Sie haben bis heute keinen eigenen Nationalstaat. Was mich störte, waren die Steine, die gegen die Britische Botschaft flogen: Ich bin gegen jede Gewalt. Ich versuche hier und in Israel andere Wege aufzuzeigen.
Youssef, was tust du, wenn du unter deinen Landsleuten antisemitische Sprüche hörst?
Youssef: Antisemitisch ist übertrieben. Manchmal sind es palästinensische Jugendliche, die auf Juden schimpfen. Das ist ärgerlich und bedauerlich! Sie können zwischen der Besatzungsmacht und den Juden nicht unterscheiden. Konkret: Wenn ich das mitbekomme, dann setze ich mich mit denen auseinander. Auf der Demo war ein etwa 14-jähriger Junge, der Juden verfluchte. Ich habe ihn gehalten und gefragt, was er damit ausdrücken und erreichen will? Ob er nicht den Unterschied zwischen einer israelischen Besatzung und Juden kennt? Auf der vorletzten Demo habe ich die Leute darauf aufmerksam gemacht, dass wir jüdische und israelische Freunde haben, die für die Rechte der Palästinenser eintreten und mit uns mitlaufen. In ihrem Kopf gab es ein großes „Klick“, der für das ganze Leben hält. Das ist ein Teil der Aufklärungsarbeit, die wir Palästinenser bei den Jugendlichen machen und weiter machen wollen.
Mit Erfolg?
Youssef: Es ist unsere Aufgabe aufzuklären, Vorbild zu sein. Wenn Juden auf einer Soli-Demo für Palästina mitlaufen, freuen sich die Jugendlichen. Sie lassen die antijüdischen Sprüche. Ich vermute, für immer.
Eure Gruppe spricht sich für die Auflösung der Siedlungsgebiete, ein Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge und die Bildung eines souveränen Staates Palästina aus. Gibt es in eurer Gruppe ein Konzept, wie das zentrale Problem Jerusalem gelöst werden kann?
Galit: Ich habe eine sehr radikale Lösung: Entweder teilt man die Stadt halb, halb. Oder man zerstört die ganze Stadt. Ich habe da zehn Jahre lang gelebt, das ist schon meine Stadt: Wenn aber so viel Hass von dort kommt, wenn so viel Blut fließt aus dieser Stadt, die für mich lange Zeit nicht mehr heilig sein kann, sollen die Bulldozer kommen – so wie jetzt in der 2. Intifada bereits allein in Jerusalem über 130 Häuser von Palästinensern durch Bulldozer zerstört wurden.
Youssef: Jerusalem ist eine heikle heilige Stadt. Ostjerusalem soll die palästinensische Hauptstadt werden. Eine Teilung und eine internationale Beobachtertruppe wäre mittelfristig eine Lösungsmöglichkeit. Längerfristig wünsche ich mir das Zusammenwachsen, nicht nur von Jerusalem, auch von den dann zwei Staaten. Alle drei Religionsgemeinschaften können in diesem Land zusammenleben. Von dieser Vision bin ich nicht abgekommen. Ohne einen gleichberechtigten Staat Palästina neben Israel sehe ich momentan aber keine vernünftige Lösung. Es ist viel Blut vergossen worden. Bis beide zusammen leben können, wird es noch lange dauern. Die Besatzung zu beenden, wäre der erste Schritt.
Es gibt in Deutschland den Vorwurf, auch von Juden und Israelis, dass die Berichterstattung über Israel antiisraelisch, ja manchmal antisemitisch sei. Wie siehst du das, Galit?
Galit: Ich denke nicht, dass die Deutschen antiisraelisch eingestellt sind. Ich glaube, es gibt hier eher ein anderes Problem: den Philosemitismus. Manchmal erlebe ich die Deutschen so unreif. Es ist wie ein Umschlag vom Antisemitismus der Nazizeit in einen Philosemitismus jetzt. Manche loben mich, weil ich aus Israel komme. Das finde ich auch ziemlich diskriminierend. Es gibt hier sicherlich auch Antisemitismus. Aber ich habe ihn bisher nicht erlebt.
Youssef: Ich finde, die Berichterstattung über den israelisch-palästinensischen Konflikt ist selten objektiv. Sie ist einseitig. Eher proisraelisch, auch polarisierend proisraelisch – es tut mir leid. Auch wie die Politiker auf der Pro-Israel-Demo in Frankfurt am Main geredet haben, war einseitig. Wir sahen in den Medien deren Redebeiträge in großer Ausführlichkeit. Doch kein einziger Ausschnitt einer der Reden der Pro-Palästina-Reden vom 13. April war zu sehen oder zu hören. Dabei waren die dortigen Reden eindeutig: gegen die Besatzung, für zwei Staaten und für Frieden.
Man kann den Eindruck haben, dass der Judenhass unter den Palästinensern wächst.
Youssef: Der Antisemitismus ist ein europäisches Problem, kein palästinensisches. Der Hass wächst gegen die israelische Besatzungsmacht, nicht gegen die Juden. Ich will nicht bestreiten, dass es Palästinenser gibt, die nicht mit Juden zusammenleben wollen. Das ist aber die Minderheit. Man verharmlost die Tragweite dessen, was in Nazideutschland geschah, verfälscht die Geschichte, wenn man den Vergleich zu Palästina zieht.
Es gab Palästinenser, die auch in Berlin den Hitlergruß gezeigt haben.
Youssef: Das waren keine politischen Gruppen. Das waren Jugendliche, die weder von der Politik noch von der Geschichte Ahnung haben. Es ist unsere Aufgabe, sie aufzuklären. Das machen wir auch. Ehrenamtliche Mitarbeiter von der Vereinigten Palästinensischen Gemeinde gehen gezielt in Berliner Schulen, um mit den arabischen Schülern zu sprechen, um sie politisch aufzuklären. Ich kenne keine palästinensische Vereinigung in diesem Land, die jemals mit Rechtsextremisten zusammen gearbeitet oder rechtsextremistische Äußerungen gemacht hätte. Wenn in dieser Stadt der Vorwurf gegen Palästinenser geäußert wird, sie seien antisemitisch, ist das sehr gefährlich. Eine solche Diffamierung und Polarisierung ist unakzeptabel.
Glaubt ihr, dass bei euren Volksgruppen eure Idee vom Frieden eine Zukunft hat? Oder ist die Lage so eskaliert, dass ihr langsam die Hoffnung verliert?
Youssef: Ich werde die Hoffnung nicht verlieren. Den Frieden kann man leider nicht herbeirufen. Wir müssen dafür kämpfen. Wie der palästinensische Dichter Mahmoud Darwish sagt: „selbst mit dem Rücken zur Wand“.
Galit: Ich bin nicht bereit, die Hoffnung zu verlieren. Ich bin nicht optimistisch zur Zeit. Trotzdem bin ich bereit, in der Minderheit zu sein in Israel. Es gibt doch eine Chance für den Frieden. Es wird dauern und wird nicht immer leicht. Man muss sich viel Mühe geben, den anderen kennen zu lernen. Es wird nur klappen zwischen uns Menschen. In die Politiker setzte ich nicht die kleinste Hoffnung.
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