: Nie mehr schiefe Winkel
Vor 160 Jahren tobte der Große Brand in Hamburg. Zwischen 20.000 und 70.000 Menschen wurden obdachlos. Das Alte Rathaus an der Trostbrücke flog nach einer Sprengung in die Luft
Von BERNHARD RÖHL
„Fü-er! Fü-er in de Diekstraat!“, brüllten Nachtwächter am 5. Mai 1842 gegen ein Uhr nachts in der Deichstraße. Aus dem Haus mit der Nummer 42 – heute erinnert noch eine Plakette daran – schlugen zuerst die Flammen des Großen Brandes. Vor 160 Jahren tobte das Großfeuer durch Hamburg.
In seinem 1892 veröffentlichten Buch „Der Große Brand und der Wiederaufbau von Hamburg“ schildert Julius Faulwasser den Beginn: „Signalschüsse der Soldaten auf den Wachen, das Anziehen der Sturmglocken durch die Türmer rief die durch Amt und Pflicht zur Hilfeleistung verbundenen Mannschaften schnell herbei, und bald nach ein Uhr war auch bereits der Spritzenmeister Repsold an der Brandstätte erschienen. Genährt aber durch die gewaltigen Warenvorräte in den Speichern, nahm das Feuer schnell einen bedrohlichen Umfang an.“
Bis fünf Uhr fraß sich der Brand bis zur Steintwiete durch. Spritzenmeister Repsold wusste, dass in New York und Charleston Sprengungen dazu dienten, das Feuer aufzuhalten. Mitglieder des Senats und der Deputation der Feuerkasse untersagten ihm diese Maßnahme, weil sie keine hohen Entschädigungssummen an die Hauseigentümer entrichten wollten. Später musste doch gesprengt werden, aber es nützte kaum noch etwas. Am 6. Mai flog das Rathaus an der Trostbrücke, da, wo heute der Sitz der Patriotischen Gesellschaft ist, in die Luft. Am Graskeller verhielt das Feuer nach einer Sprengung, aber der Wind trieb die Flammen weiter über den Jungfernstieg, wo „Streits Hotel“ durch eine Sprengung vernichtet wurde. Salomon Heine, der Vater des Dichters Heinrich Heine, gestattete ausdrücklich, dass auch sein Haus am Jungfernstieg gesprengt werden durfte.
Der Jungfernstieg lag danach zunächst in Trümmern. Von hier aus drehten die Flammen in Richtung Pferdemarkt – der seit 1946 Gerhart-Hauptmann-Platz heißt – und Binnenalster ab. Nach der Nikolaikirche brannte am 7. Mai auch die Petrikirche nieder. Das letzte vom Feuer betroffene Gebäude befand sich in der Straße Kurze Mühren. Heute befindet sich skurrilerweise dort die Hamburger Feuerkasse. Am Grünstreifen des Stadtwalls endete der Große Brand, daran erinnert der Name der Straße Brandsende, die vom Ballindamm abgeht.
Als die Feuersbrunst am 8. Mai erloschen war, hatte sie schätzungsweise 20.000 bis 70.000 Menschen obdachlos gemacht, damals lebten rund 160.000 Personen in Hamburg. 51 Tote und 130 Verletzte gehörten zu den Opfern der Katastrophe. 1749 Häuser, 1508 Säle, 474 Keller, 102 Speicher und 7 Kirchen fielen den Flammen zum Opfer.
Die obdachlosen Frauen, Männer und Kinder mussten unterdessen notdürftige Quartiere beziehen, zuerst in Zeltlagern und öffentlichen Gebäuden. Auf dem Jungfernstieg, in der Esplanade, vor dem Dammtor, in St. Georg und im Hammerbrook entstanden Buden mit Notwohnungen. Die Mieten für normale Wohnungen stiegen in die Höhe.
Gerüchte tauchten schnell auf, nach denen Ausländer die Brandstifter gewesen seien. Es kam zu regelrechten Hetzjagden, bei denen ein Mann starb und elf verletzt wurden, unter ihnen acht Engländer. Die wahre Ursache des Brandes wurde nie ermittelt. Die Polizeibehörde bedauerte diese Pogrome.
Heinrich Heine, bereits seit Jahren in Paris, berichtete für die Augsburger Allgemeine Zeitung am 26. Mai über das Echo, das der Brand jenseits des Rheins hervorgerufen hatte: „Es übersteigt alle Begriffe, wie gewaltig das Mitgefühl hier alle Volksklassen erfasste, als sie von dem Unglück hörten, das jene ferne deutsche Stadt betroffen hat, deren geographische Lage vielleicht den wenigsten bekannt war.“ Der Dichter beklagte: „Und mein armes Hamburg liegt in Trümmern, und die Orte, die mir so wohl bekannt, mit welchen alle Erinnerungen meiner Jugend so innig verwachsen, sie sind ein rauchender Schutthaufen. Am meisten beklage ich den Verlust jenes Petriturmes – er war über die Kleinlichkeit seiner Umgebung so erhaben. Die Stadt wird bald wieder aufgebaut sein, aber es wird doch nicht mehr mein altes Hamburg sein, mein altes, schiefwinklichtes, schlabbriges Hamburg.“
Im November 1843 reiste Heine von Paris nach Hamburg und sah die verwüstete Stadt. Den Besuch verewigte er in „Deutschland – ein Wintermärchen“, als er schreibt: „Die Stadt, zur Hälfte abgerannt, wird aufgebaut allmählich. Wie‘n Pudel, der halb geschoren ist, sieht Hamburg aus, trübselig.“
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