: Lieber schlecht als echt?
Auch gegenüber negativen Umweltstatistiken ist Skepsis angebracht. Das zeigt die Diskussion um Björn Lomborgs furiose Polemik gegen die Umweltschützer und die von ihnen verwendeten Daten
von KONRAD LISCHKA
Dafür dass Björn Lomborg ein unwissenschaftliches und irrelevantes Buch geschrieben haben soll, regen sich erstaunlich viele Menschen auf. Und das schon seit knapp vier Jahren. Damals veröffentlichte der dänische Statistikprofessor Lomborg in der Zeitung Politiken vier lange Artikel mit der zentralen These, dass es der Umwelt wesentlich besser gehe, als Umweltschützer behaupteten. Später fasste er diese Artikel in einem Buch zusammen. Die englische Ausgabe „The Skeptical Environmentalist“ erschien vergangenes Jahr, die deutsche Übersetzung kommt im August auf den Markt. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Diskussion über Lomborgs Thesen auch hier nicht anders verlaufen wird als in Skandinavien, Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Auch dort hat nur eine Minderheit der Kritiker und Jubler bemerkt, dass Lomborgs Buch in zwei Teile zerfällt, die man besser getrennt bewertet.
Zunächst kritisiert Lomborg – von Dänemarks konservativer Regierung inzwischen zum Chef eines neuen „Instituts für Umweltbewertung“ ernannt – den Umgang vieler Umweltschützer mit den Statistiken. Beispiel Ernährung: 1968 schrieb etwa Paul Ehrlich in seinem Buch „The Population Bomb“, in den Siebzigerjahren würden hunderte von Millionen Menschen verhungern. Hunderte von Millionen sind aber keineswegs verhungert. Lomborg zitiert aktuelle Berichte der UN-Welternährungsorganisation, die belegen, dass die tägliche Kalorienaufnahme pro Kopf weltweit seit 1961 um 24 Prozent gestiegen ist, in Entwicklungsländern sogar um 38 Prozent. Trotz Bevölkerungswachstums sinkt der Anteil hungernder Menschen, und zwar laut FAO-Statistiken in den Entwicklungsländern von 45 Prozent im Jahr 1949 auf 18 Prozent im Jahr 2001 und – laut Prognosen – auf 12 Prozent im Jahr 2010.
Das Worldwatch Institute, dessen „State of the World“-Berichte Lomborgs liebstes Ziel sind, hat wiederholt behauptet, in den vergangenen Jahrzehnten sei die Waldfläche bedenklich geschrumpft. Anhand derselben UNO-Statistiken belegt Lomborg, dass man beim längeren Vergleichszeitraum zwischen 1950 und 1994 weltweit eine Zunahme der Waldfläche beobachten kann. Bei diesem Beispiel zeigt sich allerdings deutlich, wie der eine Teil von Lomborgs Buch fließend in den anderen übergeht. Denn er will nicht nur den Umgang mit Statistiken kritisieren, er will zugleich beweisen, dass es der Welt viel besser geht als angenommen. Doch leider begeht er in diesem Teil die gleichen Fehler, die er anderen vorhält.
Wenn Lomborg etwa schreibt, die Waldflächen nähmen zu, zieht er Plantagen und Urwälder zusammen und zählt Monokulturen zur Waldfläche, was im Hinblick auf die Kapazitäten der grünen Lunge legitim sein mag. Dass die Zunahme von Monokulturen allerdings relevant im Hinblick auf die Artenvielfalt ist, unterschlägt er.
Die Kritik an diesem zweiten Teil von Lomborgs Buch, das im Untertitel schon mit „Measuring the Real State of the World“ angekündigt wird, ist also berechtigt. Den „wahren“ Zustand der Welt beschreibt es gewiss nicht. Problematisch sind die zusammengefassten Daten, auf deren Basis Lomborg globale Aussagen trifft. Hier werden lokale Wirkungen unterschlagen, die bisweilen dramatisch sind. Beispiel Bevölkerungswachstum: Auch wenn global gesehen die Weltbevölkerung nicht so stark wächst wie befürchtet, sinkt das Wachstum nicht überall gleich stark. Was passiert in Entwicklungsländern, was in riesigen, überbevölkerten Städten wie São Paulo mit seinen 18 Millionen Einwohnern?
Die Kritiker Lomborgs stürzen sich immer auf diesen Teil des Buchs. Sie zeigen die Unzulässigkeit einiger Schlussfolgerungen auf. Nur: Warum attackiert niemand den anderen, gelungeneren Teil? Warum zeigt niemand auf, dass die von Lomborg behauptete selektive Auswertung von Statistiken im Namen der zu schützenden Umwelt gar nicht stattgefunden habe?
Vielleicht erklärt das ein Zitat eines der prominentesten Kritiker Lomborgs. Stephen Schneider, Biologieprofessor an der Stanford University, sagte im Oktober 1989 dem US-Magazin Discover folgendes: „Einerseits sind wir als Wissenschaftler ethisch zu wissenschaftlicher Methodik verpflichtet, also die Wahrheit zu sagen … Aber andererseits sind wir nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Menschen. Und wie die meisten Menschen wollen wir eine bessere Welt, was in diesem Kontext bedeutet, das Risiko eines potenziell katastrophalen Klimawandels zu senken. Um das zu erreichen, müssen wir breite Unterstützung gewinnen, die Fantasie des Publikum einnehmen. Das schließt natürlich ein, so viel Medienaufmerksamkeit wie möglich zu bekommen. Also müssen wir erschreckende Szenarien bieten, vereinfachende, dramatische Kommentare abgeben …“ Kurz: Manchmal ist es für Schneider offenbar okay, als Wissenschaftler selektiv mit Statistiken umzugehen. Und daher ist für ihre Leser zwingend erforderlich, was zur Zeit noch fehlt: Skepsis. Warum nur werden Studien, Analysen, Kommentare von Unternehmen und Regierungen kritisch hinterfragt, die von Umweltschutzorganisationen aber nicht?
Denn auch wenn Interessengruppen behaupten, für die Gemeinschaft zu sprechen, muss man ihnen Eigeninteressen unterstellen. Forschungsgelder, Spendengelder, Aufmerksamkeit, Einfluss – nach all dem streben Interessengruppen in Demokratien. Gerade das sollen sie ja tun. Aus ihrem freien Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Meinungen entstehen politische Entscheidungen, die so etwas wie den Mehrheitswillen repräsentieren. Allerdings gehört zum freien Wettbewerb auch eine Verantwortung der Kunden dieser Meinungsanbieter, nämlich die Verantwortung, kritisch zu hinterfragen und gegeneinander abzuwägen. Für nichts anderes plädiert Lomborg.
Dass dies nun endlich eingefordert wird, kann der Umwelt nur nützen. Denn die glänzenden Verkaufszahlen von Lomborgs Buch zeigen, dass immer mehr Menschen das Vertrauen in die Umweltbewegung verlieren. Es ist zu befürchten, dass diese Menschen Lomborgs „wahren“ Zustand der Welt für gültig halten. Gesunde Skepsis an einigen Aussagen der Umweltbewegung bedeutet nicht gleich, an eine großartige Zukunft unter allen Bedingungen zu glauben.
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