: Fördern oder fordern?
In der Debatte um Auswege aus der Dauerarbeitslosigkeit stießen die radikalen „neuen Wege“ auf Ablehnung bei den rund 300 Besuchern des taz-kongress-termins in Bremen
BREMEN taz ■ Der taz-kongress on tour rief, und viele, viele kamen. Die Kesselhalle des (ehemaligen) Schlachthofes war voll, als es am Donnerstagabend um „Neue Wege der Arbeitsmarktpolitik“ ging. Denn seit zwanzig Jahren gibt es ein immer komplizierteres Instrumentarium – aber gegen die Arbeitslosigkeit scheint das wenig zu helfen.
„Fördern und fordern“ ist das neue Motto der Bremer Sozialhilfepolitik, „Fallmanager“ sollen sich der Sozialhilfeempfänger, denen eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt eingeräumt wird, besonders intensiv widmen. Katja Barloschky, die Geschäftführerin der privaten Bremer Arbeit GmbH, verspricht sich von einem „verbindlichen Beratungsangebot“ mehr Vermittlungserfolge als durch die bisherige Betreuung. Karoline Linnert, Sozialpolitikerin der Bremer Grünen, verwies dagegen auf die haushaltspolitischen Vorgaben: Das Motto „Fördern und fordern“ soll der Kommune Sozialausgaben sparen helfen, und bei den „begleitenden Hilfen“ werde schon heftig Personal abgebaut. „Fördern – fordern – fallen lassen“ sei eine böse Ergänzung dieses „neuen Weges“ der aktivierenden Sozialhilfe.
Etikettenschwindel
Und Hilmar Schneider vom Bonner „Institut Zukunft der Arbeit“ verwies darauf, dass solche „neuen Wege“ der Arbeitsmarktpolitik die Lage – offiziell vier, de facto aber eher sechs Millionen Arbeitslose – kaum ändern würden. Strukturelle „Fehlanreize“, so Schneider, seien für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich, das Problem ernst: Den Betroffenen würde oft die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und damit ein Stück ihrer menschlichen Würde verweigert. Krass formuliert – so deutliche Worte wählte Schneider dann doch nicht – müsste man sagen, dass unter dem Etikett „Sozialstaat“ Verwahrlosung organisiert wird.
Denn dieser Sozialstaat, so Schneider, subventioniere das Nichtstun – und das so nahe an der unteren Tarifgrenze, dass es für viele lukrativer ist, ein wenig schwarz dazuzuverdienen als ein Angebot des „ersten Arbeitsmarkts“ anzunehmen. Derzeit, meint Schneider, sei es „ökonomisch rational“, gering entlohnte Arbeit zu verweigern.
Wer als Ausweg nun nicht die Sozialhilfe kürzen will, müsse über „social workfare“ nachdenken, also eine Art Arbeitspflicht als Gegenleistung für Sozialhilfe. Dann stehe als Alternative: „Arbeit für Sozialhilfe oder Arbeit für geringen Lohn“.
Es folgten heftige Reaktionen beim aufgebrachten Bremer Publikum, das Schneider durch Zwischenrufe immer wieder aus dem Konzept brachte. Und unerwarteter Zuspruch: Ein grüner Firmengeschäftsführer berichtete, dass er deutlich mehr Stellen im Angebot habe, als er interessierte Bewerber aus dem ABM-Milieu finde. Nur für diejenigen, die wirklich nicht die Erwartungen des ersten Arbeitsmarkts erfüllen könnten, müsse man also Angebote schaffen – die anderen mehr „fordern“.
„Arbeit ist besser als Nichtarbeit“, formulierte auch der Bremer Unternehmerverbands-Vertreter Ortwin Baum: Es gebe durchaus Tarifgruppen, deren Verdienst aufgestockt werden müsse, um für Sozialhilfeempfänger attraktiv zu werden. Sonst wandere die Arbeit aus.
Mit dem Bundessozialhilfe-Gesetzbuch unter dem Arm opponierte die Bremer Grüne Karo Linnert gegen die vorgeschlagenen radikal neuen Wege. Das Sozialstaatsgebot des Grundsgesetzes schütze die Menschen vor Arbeitgeberwillkür. „Wir brauchen starke Menschen, die auch nein sagen und sich gegen zu niedrige Löhne wehren können“, formulierte sie unter viel Beifall.
Sind die „strukturellen Fehlanreize“ also gewollt? Gehört zur Würde des starken Menschen auch das Recht auf Arbeit? Gibt es gegen die Dauerarbeitslosigkeit mehr als das Prinzip „Hoffnung auf die Konjunktur“? Fragen für weitere Debatten blieben reichlich. KLAUS WOLSCHNER
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