: Zauberhaftes Management
Ein Bundeskongress widmet sich ab heute der „Sozialen Stadt“. In Berlin hört man immer weniger zum Thema. Rot-Rot hat die letzten Fördermittel gestrichen. Quartiersmanager sollen’s richten
von UWE RADA
Vorbei die Zeit, in der Klaus Landowsky oder Hans Stimmann mit ihrer Forderung, das Neue Kreuzberger Zentrum am Kottbusser Tor abzureißen, eine wilde Debatte um „soziale Brennpunkte“ auslösten. Vorbei die Zeit, als sich in Prenzlauer Berg, dem nach der Wende „größten Sanierungsgebiet Europas“, Stadtplaner, Mieterberater und Selbsthelfer auf die Füße traten. Vorbei die Zeit, als in Berlin die „behutsame Stadterneuerung“ erfunden wurde. Jetzt haben wir das Quartiersmanagement. Und das reicht, zumindest in den Augen von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD).
Ohne größere Gegenwehr ließ er sich in den Haushaltsberatungen die Fördermittel für die Altbausanierung streichen, das gesamte Programm Bauliche Selbsthilfe und den größten Teil für die Plattensanierung. Selbst die Mietobergrenzen, im Koalitionsvertrag noch als Restbestand öffentlicher Mietpreispolitik vereinbart, stellt er zur Disposition. Das Gleiche gilt für die Kofinanzierung für EU-geförderten Stadterneuerungsvorhaben. Strieders Credo: „Wer sich höhere Mieten nicht leisten kann, soll wegziehen.“ Schließlich stünden genügend Wohnungen leer.
Mitten hinein in diesen stadtentwicklungspolitischen Offenbarungseid der rot-roten Koalition will sich ab heute die Bundes-SPD als Anwalt der „sozialen Stadt“ profilieren. So jedenfalls heißt ein Kongress, zu dem Bundesbauminister Kurt Bodewig und das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) laden (siehe Kasten). Das Ziel: „Ausgrenzungen entgegenwirken“ und die „Rahmenbedingungen“ für den „sozialen Ausgleich“ zu schaffen.
Mit dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ wollte Rot-Grün 1999 auf die zunehmende soziale und räumliche Spaltung in den Städten sowie die Konzentration gesellschaftlich benachteiligter Stadtbewohner in „sozialen Brennpunkten“ reagieren. Doch schon die Tatsache, dass Berlin in diesem Programm mit nur 15 Quartieren vertreten ist, zeigt, dass die einstige Sanierungshochburg längst an Bedeutung eingebüßt hat. Als im Jahr 2000 der erste bundesweite Wettbewerb „Soziale Stadt“ ausgelobt wurde, war unter den zehn Preisträgern nur ein Berliner Projekt, der Spielplatz „Marie“ in Prenzlauer Berg – von Anwohnern entworfen und nicht von Berlin, sondern mit EU- und Sponsorengeldern finanziert.
Wieso aber musste Berlin ausgerechnet seit 1998, also unter einem sozialdemokratischen Bausenator, diesen Bedeutungsverlust hinnehmen? Und warum hat ein rot-roter Senat diesen Trend nicht umgekehrt, sondern noch verstärkt? Als der Spiegel 1997 in reißerischer Manier in Neukölln die Berliner Bronx ausgemacht hatte, als der Sozialstrukturatlas der Gesundheitsverwaltung erstmals ein Ranking unter den Bezirken zuließ, und als der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann gleich 16 tatsächliche oder potenzielle „soziale Brennpunkte“ in Berlin entdeckte, hätte die Aufregung nicht größer sein können. Gleichwohl haben sich CDU-Hardliner, aber auch Senatsbaudirektor Hans Stimmann (SPD) mit ihren repressiven Vorschlägen nicht durchsetzen können. Die große Mehrheit, selbst der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), sah die Notwendigkeit, mehr in benachteiligte Quartiere und dort vor allem in Bildung zu investieren. Man wollte, das war damals Konsens, Verhältnisse wie in den USA langfristig vermeiden.
Doch dann wurde die Debatte um die „sozialen Brennpunkte“ zum Dauerthema, und man begann sich an die Neusortierung der Stadt in Arm und Reich, Oben und Unten, Deutsch und Nichtdeutsch zu gewöhnen. Das Ziel, „Ausgrenzungen entgegenzuwirken“ und „sozialen Ausgleich“ zu schaffen, überließ man fortan den urban professionals. Trotz der neuen Konjunktur, die das Thema „Soziale Stadt“ seitdem erfahren hat, hat sich an der Situation in den Problemquartieren, also den innerstädtischen Gründerzeitvierteln, aber auch den Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus, wenig geändert. Im Gegenteil: Vielerorts sind Arbeitslosigleit und Armut gewachsen, die Zahl der Bildungsverlierer gestiegen.
Dennoch ist es um Berlins soziale Brennprunkte still geworden. Einer der Gründe dafür liegt in der Wahrnehmung. Aus Neukölln sind die letzten Besserverdienenden, aus vielen Quartieren in Prenzlauer Berg die letzten Schlechterverdienenden fortgezogen. Nun ist man unter sich. Die einen hier, die andern dort. In den Problemgebieten sind die Probleme also nicht geringer geworden. Man redet nur weniger darüber, weil man vieles einfach nicht mehr mitbekommt und weil es denen, die darüber reden müssten, längst die Sprache verschlagen hat.
Und dann gibt es ja das von Strieder erfundene Quartiersmanagement. Auch das ist ein Ergebnis der wilden Diskussionen vor fünf Jahren – ein äußerst ambivalentes. Einerseits hat es tatsächlich eine längst überfällige Zusammenarbeit verschiedener Akteure vor Ort und auch die Aktivierung mancher Bewohnergruppen befördert. Andererseits liegt es wie Mehltau auf der Debatte und verstellt den Blick auf die tatsächlichen Entwicklungen. Wachsen die Missstände, kann Strieder sagen: Aber wir haben ja das Quartiersmanagement. Wendet sich das Blatt mancherorts zum Besseren liegt die gleiche Antwort auf der Hand.
So hilfreich einige Projekte vor Ort auch sein dürften – unter sozialer Stadt sollte man doch mehr verstehen als die bloße Moderation von Konflikten. Gleiches gilt für das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ – im Grunde nichts anderes als ein auf den Bundesmaßstab erweitertes Quartiersmanagement. Soziale Stadt hat immer auch etwas mit Chancengleichheit zu tun. Sie hat die Stadt als Ganzes im Blick, das Quartiersmanagement dagegen zwangsläufig nur Ausschnitte. Mehr noch: Im Grunde ist die „Asozialität“ der Stadt, also ihre räumliche wie soziale Spaltung geradezu die Voraussetzung für die Herausbildung benachteiligter Quartiere und deren Manager.
Die „soziale Stadt“, schreibt Christian Holl im Vorwort eines gerade erschienenen Buches mit dem gleichnamigen Titel, war ein Begriff der alten Bundesrepublik und gründete auf einem Wachstumsmodell, das der Gegenwart nicht mehr standhalte. Es gehe nicht mehr um Wachstum, sondern auch um die „Produktion von Überflüssigen“. „Wir wollen das nicht wahrhaben, sondern reden stattdessen noch vom Abbau der Arbeitslosigkeit“, beklagt sich Holl über den Stand der Debatte. Dabei werde sich an der Struktur unserer Städte zeigen, „wie unsere Gesellschaft der Herausforderung, dass das alte Wachstumsmodell nicht mehr greift, begegnen will“.
Wenn ab heute wieder über „soziale Stadt“ geredet wird, wird viel von good practice und empowerment die Rede sein und genauso viel von Bewohnern und Akteuren, die nach dem schleichenden Abgang des Staates auf die Stadtteilbühne treten. Von einer drohenden Amerikanisierung dagegen, wie es Holl zwischen den Zeilen durchklingen lässt, wird keiner sprechen wollen. Wir haben ja das Quartiersmanagement. Und den rot-roten Senat.
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