piwik no script img

Täter mit Ausgang

Vergewaltigungs-Prozess: Auf der Anklagebank sitzt auch die forensische Psychiatrie. Der Fall hatte im Vorjahr die SPD in Bedrängnis gebracht

Noch 1999 hatte ein Gutachter vor der Gefährlichkeit eines Ausgangs gewarnt.

von KAI VON APPEN

Offiziell geht es im Verfahren gegen Andreas P. (34) seit Mittwoch um zwei Vergewaltigungen auf dem Gelände des Klinikums Nord. Tatsächlich stehen aber vor allem die Vorwürfe gegen die forensische Psychiatrie – die Abteilung in Ochsenzoll, in der Sexualstraftäter untergebracht sind – im Mittelpunkt. Und so nutzt Opfer-Anwältin Karin Prasetyo den ersten Verhandlungstag vor allem, um zu verdeutlichen, dass für sie eigentlich nicht P. auf die Anklagebank gehört, sondern die TherapeutInnen, die ihn frei herumlaufen ließen.

Der Fall hatte im Mai 2001 Schlagzeilen gemacht und überdies CDU und Schill-Partei mit Munition im Bürgerschaftswahlkampf gegen die verantwortliche Gesundheitssenatorin Karin Roth (SPD) versorgt: P. war 1991 wegen mehrerer Vergewaltigungen und einem Mordversuch zu 10 Jahren Haft verurteilt worden. Da er vom Gericht als „krank“ eingestuft wurde, verbüßte er seine Haftstrafe in den geschlossenen Abteilungen von „Haus 18“ und „Haus 9“. Therapieangebote nahm er bereitwillig an. Seit Ende 1998 genoss P. daher immer mehr Lockerungen: Zuletzt konnte er sich ohne Bewacher täglich eineinhalb Stunden frei auf dem Gelände bewegen. Alle 14 Tage hatte er Stadtausgang für Einkäufe. Er besaß zudem Universalschlüssel für mehrere Häuser und Stationen.

Die Lockerungen waren angeordnet worden, obwohl P. noch 1998 während einer Therapie-Sitzung von seinen „dranghaften“ Vergewaltigungsphantasien im Fall einer U-Bahn-Zufallsbegegnung berichtet hatte. Und obwohl ein externer Gutachter 1999 davor warnte, P. wegen seiner „Gefährlichkeit ohne Bewachung“ Ausgang zu gewähren.

Auf Patrizia B. (14) traf er am 4. Februar 2001 zufällig beim Sonntags-Ausgang auf dem ansonsten menschenleeren Klinikgelände. Sie vertraute ihm, weil sie ihn wegen der Schlüssel für einen Therapeuten gehalten hatte, und folgte ihm ins leerstehende Haus 37. Im Prozess gibt P. an, dass sie für 50 Mark freiwillig mit ihm geschlafen habe. Dagegen hatte Patrizia B. damals vor der Polizei – im Verfahren bislang nur als Video eingespielt – ausgesagt: „Er hat mich zu Boden geworfen und gesagt: ‚Ich werde dich vergewaltigen.‘“

Für Anwältin Prasetyo verfügte P. „zumindest trotz Therapien offenbar nicht über die rote Lampe, die ihn bei einem Aufeinandertreffen mit einer Frau vor dem Hinausschießen über das Erlaubte warnte“. Prasetyo vertritt das zweite Opfer Kerstin W. (30). W. war im Vorjahr wegen psychischer Labilität im Klinikum Nord aufgenommen und zunächst mit Psychopharmaka ruhig gestellt worden. Nachmittags, auf der Suche nach dem Cafe “Patiententreff“, stieß sie auf P., der ihr scheinbar behilflich war, dann aber schnell zur Sache kam: „Ich hab sie gefragt, ob sie mit mir schlafen wollte“, gesteht er vor Gericht. Sie habe kategorisch abgelehnt. Später, so P.s Wahrnehmung, habe sie jedoch zugestimmt, „aber nur mit Kondom“. „Ich habe seit den Lockerungen immer eins dabei, wenn sich eine Gelegenheit ergibt.“ Als sie sich denn doch gegen ihn wehrte, sei er in “Panik“ geraten und zu seiner Station zurückgerannt.

Der Prozess geht am Montag – wohl unter Ausschluss der Öffentlichkeit – mit der Vernehmung der beiden Frauen weiter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen