: Der Romantizismus der Gewalt
Gegen die Verwechslung von Personenkult mit politischer Geschichte: In „Starbuck – Holger Meins“ von Gerd Conradt steckt ein Essay über den Terrorismus als künstlerische Aktion und die Überwindung der Militanz
Eine so genannte „aktionsgruppe starbuck – fraktion berliner filmstudenten 2001“ an der dffb rekonstruierte Holger Meins’ verschollenen Agitprop-Klassiker „Herstellung eines Molotow-Cocktails“. Der kulturkritische Hebel wurde dabei allerdings antiglobalistisch bei der Logoästhetik angesetzt und Niketown als Objekt neuer Anschläge vorgeschlagen. Wurde die Geschichte der RAF auch zu Tode erzählt, die Hochachtung vor ihrer Militanz ist immer noch lebendig.
In dieser Hinsicht gibt es kaum einen Unterschied zwischen den kulturell aktiven Generationen, und auch in einer anderen scheinen die Unterschiede gering zu sein: Personenkult funktioniert immer reibungsloser als Darstellungsmittel für zeitgeschichtliche Zusammenhänge. Das muss zwar nicht gleich so dümmlich abgehen wie in Christopher Roths „Baader“, der aus den Terroristen der ersten Generation Vorkämpfer in Geschmacksfragen machte. Aber wenn der Mensch und sein Charakter das Interessante an der Politik der Militanz sein soll, dann stellt das zwar Nähe her, trübt aber den Weitblick.
Die dffb-Klasse von 66 hat nun also nicht nur einen Terroristen, sondern mit Gerd Conradt auch einen seiner Dokumentaristen hervorgebracht. Der Kommilitone von Holger Meins und Harun Farocki geht in „Starbuck – Holger Meins“ auf Spurensuche und findet das Porträt eines Mannes, dessen skeptischer, strenger Blick einen Glauben an Moral, Integrität, Gerechtigkeit verbürgt und dessen hagerer Körper Rigorosität geradezu verbildlicht. Diese Rigorosität drängte es zunächst auf künstlerische Felder. Meins malte sich durch expressionistische Landschaften, fotografiert sich durch neusachliche Selbstporträts und es ist deutlich, dass Kunst für ihn eine schwer wiegende Tätigkeit ist. Dann werden seine Leinwände und, seit der dffb, auch seine Filme – „Starbuck“ zeigt Ausschnitte daraus – zu einem Mittel für agitatorische Zwecke.
Vor allem aber hangelt sich diese Dokumentation an Holger Meins’ Lebensleiter hoch: Hamburg, Protestantismus, Pfadfinder, Kunstschule, dffb, Schah, Ohnesorg, SDS, K 1, RAF, Gefängnis und Hungertod mit 33. Zeitzeugen, Zeitgenossen, Weggefährten, Bekannte und Dozenten beglaubigen die Umstände und liefern Charakterbeschreibungen oder Stimmungsbilder: „Es war eine wichtige Zeit“ (Michael Ballhaus) oder „a wild, wild time“ (Wolfgang Petersen). Auch an einer objektivierenden Stimme in der Gestalt von Ex-BKA-Kommissar Alfred Klaus fehlt es nicht. Allerdings ist die Auskunftsfreude dieser oft bekannten und eigens für die Dokumentation befragten Köpfe meistens weniger eindrucksvoll als das Stock-Material mit Interviews, die zu verschiedenen Zeiten mit Meins’ Vater Wilhelm geführt wurden. Durch das Engagement für seinen inhaftierten Sohn konnte sich der kleinbürgerliche Mann eine eigenständige Meinung über die fragwürdige Rolle der Verfolgungs- und Justizbehörden bilden.
In den Siebzigerjahren war es nicht ungewöhnlich, im Terrorismus einen künstlerischen Akt zu sehen, die Erneuerung einer romantizistischen Expansion von Kunst in Lebenswelt. Im Kern von „Starbuck“ steckt ein Essay über die Verbindungen zwischen Meins’ Politik- und Kunstbegriff und über die Frage, inwieweit die strengen, quasireligiösen Forderungen nach künstlerischer Radikalität, Unmittelbarkeit und Konsequentheit auch zu Handlungsanweisungen im Politischen wurden. Zwar wird dieses Thema von den Zwängen der chronologischen Darstellung mehr oder weniger verdeckt, tritt aber gegen Ende von Conradts Films noch einmal hervor.
Im Gefängnis hat sich Holger Meins zum ersten Mal mit Mondrians reduktionistischer Abstraktion beschäftigt. Manfred Blessmann, der mit Meins auf der Kunstakademie war und schon zu Beginn des Films dessen frühe Bilder liebevoll und kenntnisreich kommentiert, ist erstaunt: Im Moment der Einsicht seines Scheiterns habe Holger Meins aus seinem Hass herausgefunden und eine letzte Wende vollzogen, die das „utopische Potential“ auch im Bereich eher symbolischer Übertretungen billigte. MANFRED HERMES
„Starbuck – Holger Meins“. Regie: Gerd Conradt. Deutschland 2001, 90 Min.
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