: „Tony Marshall muss ran“
Schlagerproduzent und Ex-Fußballprofi Jack White begründete 1974 mit dem Lied „Fußball ist unser Leben“ eine lange Singtradition der deutschen Fußballnationalmannschaft vor Weltmeisterschaften. Seit 1998 herrscht Sangesstille. Kann das gut gehen?
von GUNNAR LEUE
taz: Herr White, Sie haben 1974 für die deutsche Fußballnationalmannschaft das Lied „Fußball ist unser Leben“ geschrieben und mit ihr zusammen eingespielt. Danach wurde sie Weltmeister. Diesmal gibt es kein Lied. Ein schlechtes Omen?
Jack White: Ach, nein. Aber schade finde ich es schon, dass so was nicht mehr gemacht wird.
Wer ist denn 1974 auf die Idee mit dem Lied gekommen?
Die Idee kam vom Musikmanager und -verleger Hans R. Beierlein, der auch einen guten Draht zum DFB hatte. Weil ich seit meinen Liedern für Tony Marshall oder Jürgen Marcus als König des deutschen Schlagers galt, hatte mich Beierlein gefragt, ob mich die Sache interessieren würde. Das tat sie natürlich, denn so was gab es ja bis dahin zumindest in Deutschland noch nicht.
Und Sie haben dann nebenbei den Song geschrieben?
Nicht nur den. Ich hatte in zwei Tagen eine ganze LP mit Fußballsongs für die DFB-Auswahl geschrieben, sowohl die Musik als auch die Texte. „Fußball ist unser Leben“ kam vor der Weltmeisterschaft 1974 als Single heraus und wurde ein Hit.
Weil der Song so gut war oder weil die Sänger kurz darauf Fußballweltmeister wurden?
Es hat natürlich geholfen, dass die Mannschaft später den Titel gewann, aber es war auch der Song. Ich sage immer: Wenn die alte Oma nicht ans Radio geht und lauter macht, dann hast du keinen Hit. Dann kannst du lauter Plakate kleben und draufschreiben: Kauf mich!, das bringt alles nichts. Die Musik muss die Leute packen, und das tat sie bei dem Stück.
Die deutschen Fußballtugenden und die deutschen Schlagertugenden waren damals durchaus ähnlich. Es ging sehr entschlossen und offensiv zur Sache, sozusagen über den Kampf zum Spiel?!
Ich wollte unbedingt etwas Volkstümliches schreiben, denn der Fußball ist nun mal volkstümlich. Ich produziere Schlager, um Stimmung zu bringen und die Leute ins Herz zu treffen, genau wie der Fußball. „Schöne Maid“, das ich für Tony Marshall geschrieben hatte, wurde ein Millionenhit, weil er Fröhlichkeit und etwas Positives ausstrahlte. So hatte ich mir das auch bei dem Lied für die Nationalmannschaft vorgestellt.
Franz Beckenbauer und Gerd Müller waren ja schon vorher als Schlagersänger aufgefallen. Hatten Sie da bereits mitgemischt?
Nein. Franz Beckenbauers Schlager „Gute Freunde kann niemand trennen“ wurde von Hans Bertram produziert, der allerdings auch mich als Sänger entdeckt hatte und dem ich meinen Namen Jack White verdanke.
War Beckenbauer auch beim Einspielen von „Fußball ist unser Leben“ der Leitwolf der Nationalmannschaft?
Er war auch im Studio ein Vorbild. Die ganze LP wurde an einem Nachmittag eingesungen, die Spieler brauchten ja nur auf ein vorproduziertes Band mit einem Profichor singen. Man merkte auch schnell, dass sich eigentlich keiner richtig vorbereitet hatte. Manche Spieler fühlten sich zudem nicht sehr wohl auf diesem Platz. Wolfgang Overath versteckte sich zum Beispiel immer ganz hinten, während sich der Franz und auch Paul Breitner vorn voll einsetzten. Es waren ja immerhin zwölf Lieder, bei denen die Mannschaft jedes Mal mitzusingen hatte. Zwei davon hat der DFB allerdings rausgeschmissen, dafür kamen dann Instrumentallieder auf die LP.
Warum das denn?
Angeblich gefielen die beiden Lieder dem DFB nicht. Ich hatte dann einfach meinem Freund Fritz Walter vorgeschlagen, sie mit den Altinternationalen inklusive der 54er Weltmeisterelf einzuspielen. Bei der Aufnahme in einem Berliner Hotel waren schließlich 33 ehemalige Auswahlspieler inklusive fast aller 54er Weltmeister dabei. Und die hatten das, anders als die aktuellen Nationalspieler, auch sehr ernst genommen. Vom Lied „Schwarz und weiß sind unsre Farben“ wurden immerhin dreißigtausend Singles verkauft. An die LP „Fußball ist unser Leben“ kam das natürlich nicht heran, denn die verfehlte nur knapp Goldstatus.
Sie begründeten 1974 eine Tradition, die immerhin bis 1994 reichte. Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit der Nationalelf mit Udo Jürgens, Michael Schanze, Peter Alexander und Village People?
Abgesehen von Udo Jürgens’ Song „Buenos días, Argentina“ 1978 gab es doch nur noch Flops. Entweder stimmten die Lieder nicht oder die Produktion oder beides. Unsere Idee bestand außerdem darin, nicht einen großen Künstler vor die Mannschaft zu stellen, sondern die allein singen zu lassen. Das wurde ja nach 1974 nie wieder gemacht. Überhaupt nicht verstanden hatte ich allerdings, wieso die deutsche Nationalmannschaft 1994 zusammen mit Village People auftrat und englisch sang.
Der DFB wollte mit der Entscheidung für die bekennende Schwulenband Village People anscheinend Weltoffenheit und Modernität demonstrieren …
… kann ja sein, doch die Musik und die Nationalelf müssen selbstverständlich auch zusammenpassen. Dass sie beim DFB keine Ahnung von Musik haben, ist natürlich nicht schlimm. Aber man kann sich ja auch beraten lassen.
Die Fifa hat vor dieser WM den Song „Boom“ der US-Popfrau Anastacia zur offiziellen Turnierhymne erklärt. Dagegen rührte sich heftige Fankritik, weil die Nummer und ihre Sängerin nichts mit Fußball zu tun hätten. Können Sie das verstehen?
Ich habe den Song noch nicht gehört. Sensationell fand ich aber den WM-Song von Ricky Martin 1998. So stelle ich mir eine Fußballnummer vor. Wenn man jedoch anfängt, Kunst zu machen, oder nur aus Marketinggründen sagt: Das ist jetzt der Song zur WM!, braucht man sich nicht wundern, wenn die Fans sauer sind. Wenn man einen Fußballsong macht, muss es auch um Fußball gehen oder um Stimmung, die ins Stadion passt. Ich bin immer noch der Meinung, dass man in Deutschland so eine Fußballnummer mit Tony Marshall machen muss.
Deshalb ist auf Ihrem Label jüngst die Völlerhommage „Rudi“ von Tony Marshall und Sohn erschienen?
Der Song ist nicht von mir. Er wurde mir angeboten, und ich fand ihn gut, aber niemand weiß natürlich, ob es tatsächlich ein Hit wird.
Hatten Sie eigentlich mal eine Vereinshymne für Tennis Borussia Berlin komponiert, deren Präsident Sie von 1992 bis 1995 waren?
Man hatte mich damals tatsächlich gefragt, aber auf die Idee wäre ich nie gekommen. Um Gottes willen. Das mit TeBe war ohnehin der schlimmste Fehler meines Lebens.
Warum hatten Sie den Posten überhaupt übernommen? Wollten Sie Elton John nacheifern, der sich lange den FC Watford leistete?
Überhaupt nicht, die Sache war ganz einfach. 1991 hatte Bundeskanzler Helmut Kohl gesagt, die Hauptstadt Berlin sei nicht umzugsfähig ohne einen Bundesligaklub. Einige Herren aus der Berliner Wirtschaft kamen damals auf mich zu und sagten: Wir müssen was für den Berliner Fußball tun. Man meinte eigentlich Hertha, aber der Klub war mir zu skandalös. Ich dachte gleich an TeBe, das als sauberer Traditionsverein galt. TeBe wollte ich so ein bisschen nach Münchner Vorbild aufbauen, wo auch irgendwann die richtigen Leute kamen und den FC Bayern in die Hand nahmen. So war meine Vision.
Einen illustren Förderkreis hatten Sie damals in der Tat zusammenbekommen, unter anderen mit Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Fritz Walter und Dieter Thomas Heck!
Das klang alles schön, doch das Geld aus der Wirtschaft kam nicht rüber. Nach dem Mauerfall herrschte zunächst eine unglaubliche Goldgräberstimmung in der Stadt, aber am Ende passierte nichts. Der Aufbau von TeBe war letztlich an mir hängen geblieben. Es ging auch prima los, aber uns fehlte in den entscheidenden Momenten oft das Quäntchen Glück. Man kann den Sport eben nicht programmieren. Nachdem ich viel Geld versenkt hatte, zog ich mich wieder zurück, um mich voll auf meinen Beruf zu konzentrieren. Seit der TeBe-Zeit habe ich auch eine völlig andere Sicht auf das Fußballgeschäft. Ich beneide niemanden, der in einem Verein die Hauptverantwortung trägt und noch dazu in seine eigene Tasche greifen muss.
Sie haben sich als Geschäftsmann im abgebrühten Showbiz durchgesetzt, aber das Fußballgeschäft unterschätzt?
Ja, das muss ich schon sagen. Es ist ein ganz brutales Geschäft, in dem auch einige Illusionen kaputtgegangen sind. Ich hatte mir das viel einfacher vorgestellt.
Obwohl Sie selbst mal aktiver Fußballer waren und es als Profi sogar bis zum PSV Eindhoven schafften.
Ja, aber das war eine völlig andere Zeit. Ich hatte bei Viktoria Köln unter Trainer Hennes Weisweiler ein Grundgehalt von 160 Mark im Monat, pro Punkt gab’s noch mal vierzig Mark. Selbst in Eindhoven, mit dem ich holländischer Vizemeister wurde, kam man auf lediglich dreitausend bis viertausend Gulden. Doch das Geld spielte damals noch nicht eine so dominierende Rolle wie heute. Der Sport stand mehr im Vordergrund.
Warum haben Sie trotzdem sehr plötzlich 1966 die Töppen an den Nagel gehängt?
Schon als Kind wollte ich immer Sänger werden. Davon bin ich eigentlich auch während meiner Fußballerjahre nie abgekommen. Ob nach einem Sieg oder einer Niederlage – im Bus habe ich hinterher stets auf der Klampfe gespielt und Stimmung gemacht. Genauso wie auf Weihnachtsfeiern und wo es sonst noch ging. Der Produzent Hans Bertram, der schon Roy Black herausgebracht hatte, hörte davon durch seinen Skatkumpel Hennes Weisweiler. Weil er wohl mal einen singenden Fußballer interessant fand, lud er mich während meiner Zeit in Eindhoven zu Probeaufnahmen ein. Nachdem ich einen Plattenvertrag bekam, hatten sich alle meine Träume erfüllt, und ich hörte sofort mit dem Fußball auf. Obwohl im Kicker sogar mal geschrieben stand, ich sei im Blickfeld von Bundestrainer Sepp Herberger. 15 Schallplatten sind von mir als Sänger erschienen, ehe ich mich lieber aufs Komponieren und Produzieren beschränkte.
2006 findet die Fußballweltmeisterschaft wie 1974 in Deutschland statt. Würden Sie dann gern noch einmal ein Lied für die Nationalmannschaft schreiben?
Das würde ich gern, das habe ich Franz Beckenbauer auch schon gesagt. Ich traue es mir auch immer noch zu, den richtigen Song zu schreiben und zu produzieren. Einen, der knallt, wenn alle mitziehen.
Wie ist Ihr WM-Tipp für die durch keinen vorherigen Sangesbeitrag motivierte deutsche Nationalelf?
Viertelfinale wäre prima, der Rest eine Sensation. Jedenfalls drücke ich ganz fest die Daumen.
GUNNAR LEUE, 39, lebt als freier Journalist in Berlin. Er ist Fan des 1. FC Union
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