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Bioprofi und Ökoschnucki

aus Alsfeld-Eudorf, Gräfelfing und Darmstadt HEIKE HAARHOFF

Alsfeld-Eudorf. Tagesordnungspunkt acht findet unter dem Titel „Perspektiven des ökologischen Landbaus in Deutschland“ statt. „Habt ihr etwas dagegen, dass die Presse anwesend ist?“, fragt Thomas Dosch. 30 Biobauern nicken, begeistert sehen sie nicht aus. In der Geschichte der Regionalversammlungen von Bioland ist das eine seltene Ausnahme und in der Krise der Ökobranche ein noch seltenerer Vertrauensvorschuss. „Die ganze Branche ist wie gelähmt“, sagt Thomas Dosch.

Dosch ist Bundesgeschäftsführer von Deutschlands mit 4.500 Betrieben größtem Ökoverband, er verbringt seine Zeit neuerdings mehr in Talkshows und Tagesthemen. Dank seiner fernsehgerechten Sprache – „Nitrofen ist das BSE des ökologischen Landbaus“ – auf der einen Seite, aber auch, weil ihm nachgesagt wird, er habe das Zeug, die zerstrittene Ökoszene trotz ihrer Krise zu einer wirkungsvollen Ökoagrarlobby zusammenzuschweißen.

An diesem Mittwoch wollte ihn in Berlin die Bundesministerin für Verbraucherschutz sprechen. Es ging um einen Entschädigungsfonds für nitrofengesperrte Betriebe. Doch Thomas Dosch weiß Prioritäten zu setzen, und so eröffnet er statt dessen im „Schäferhof“ im oberhessischen Alsfeld-Eudorf Tagesordnungspunkt 8 mit den Worten: „Der Nitrofenskandal ist insofern ein Ökoskandal, als es uns nicht gelungen ist, ihn früher aufzuklären.“ Pause. „Die Bios waren nicht in der Lage, die Verbraucher zu schützen, das ist die Enttäuschung über uns.“ Luft holen. „Wir müssen Konsequenzen ziehen, was die Grundausrichtung für unseren Verband angeht.“

Dosch hat ein Gespür für Stimmungen, und die unter den Versammelten im „Schäferhof“ ist nicht prächtig: 275 Agrarbetriebe in Deutschland dürfen ihre Ware bis auf weiteres nicht verkaufen – nicht etwa, weil sie illegal Nitrofen gespritzt hätten. Sondern weil Futtermittelhersteller, Behörden und Verbände ein knappes halbes Jahr lang nichts von verseuchten Eiern und Putenfleisch wussten oder wissen wollten und jetzt Mühe haben, das Giftfutter auf seinem Verbreitungsweg zu stoppen.

Kein Glück auf dem Misthaufen

Thomas Dosch blickt in die Runde, so als rechne er mit Schelte. Die kommt, aber weniger anklagend denn selbstkritisch. Ein Biobauer aus Bad Zwesten: „Ihr habt mit Mechanismen reagiert, die wir gerade von euch nicht erwartet hätten: wegducken, intern regeln, kleinreden.“ Ein langhaariger Hofladenbesitzer: „Ich bin über die Großstrukturen entsetzt, in denen der Ökomarkt gelandet ist: Plötzlich kontrollieren südoldenburgische Hühnerbarone die Szene. Plötzlich ist der Markt in Händen, in denen wir ihn nie haben wollten.“ Eine Landwirtin mit energischer Stimme: „Ich weiß nicht, was ich gegenüber meinen Kunden vertreten soll. In Broschüren vermitteln wir Eindrücke vom glücklichen Huhn auf dem Misthaufen, die der Realität nicht entsprechen. Wir brauchen einen Richtungsentscheid: Bio für alle, geht das überhaupt?“

Thomas Dosch kennt die Besorgnis – vor allem das Erschrecken in der Ökobranche über die eigene Größe. „Das Wachstum selbst hat nicht zu Nitrofen beigetragen“, sagt er, „aber der Skandal konnte auch entstehen, weil auch wir es mittlerweile mit krakenhaften Strukturen zu tun haben.“ Gerade in einer solchen Krise müsse die Branche mit einer Stimme sprechen – in einem noch diesen Monat zu gründenden Dachbündnis der Ökoagrarlobby (siehe Kasten). Von dem Bündnis verspricht sich Dosch effektivere Kontrollen. Dabei gehört Bioland nicht zu den Ökoverbänden mit der schlechtesten Informationspolitik. „Ach“, sagt Thomas Dosch , „das differenziert doch draußen niemand.“

Gräfelfing. Naturland feiert in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Bei seiner Gründung zählte der „Verband für naturgemäßen Landbau e. V.“ aus Gräfelfing bei München etwa 50 Mitglieder, Ökobauern aus Oberbayern. Heute sind es 29.000 Mitglieder, 1.830 Betriebe und 200.000 Hektar bewirtschaftete Fläche, verteilt über fünf Kontinente. Angesichts solcher Wachstumsraten könnte es Spaß machen, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, zumal im Jubiläumsjahr, doch Gerald Herrmann, dem Geschäftsführer, 43 Jahre und seit 16 Jahren bei Naturland, ist der Spaß lange vergangen, genauer gesagt seit vier Wochen und seit Nitrofen. „Seit wir als Hauptfeind ausgemacht wurden“, sagt er. „Seit man uns alles in die Schuhe geschoben hat.“ Er redet sich in Fahrt, spricht von „Brutalität“, „Imageschaden“, „fehlender Solidarität“, einer „Kampagne gegen Naturland“, davon, „dass wir das nicht verdient haben, so einseitig kaputt gemacht zu werden“ und schließlich, lauernd: „So, und was haben Sie heute vor?“ Erzählen Sie, wie es Ihrem Verband geht. Gerald Herrmann verschränkt die Arme, streckt sie auseinander, greift zum Wasser auf dem Tisch in der Gräfelfinger Bundesgeschäftsstelle, schenkt nur sein Glas voll, taxiert sein Gegenüber. Gerald Herrmann traut dieser Tage niemandem über den Weg, darüber kann auch sein legerer Kleidungsstil – gestreiftes Kurzarmhemd, Shorts, Sandalen – nicht hinwegtäuschen. Denn wenn im Skandal um Nitrofen in Ökolebensmitteln einer Opfer geworden ist, dann nicht die Verbraucher, nicht die ökologisch wirtschaftenden Landwirte, sondern: Naturland. „Wir haben Nitrofen nicht zertifiziert und auch nicht beigemischt.“ Das hat auch niemand behauptet. Der Vorwurf gegen Naturland lautet: Deutschlands zweitgrößter Ökoverband wusste bereits Anfang April von dem Krebs erregenden Pflanzenschutzmittel in Biolebensmitteln, informierte darüber aber weder die anderen Ökoverbände noch die Behörden noch die Öffentlichkeit. „Wir sind keine Vertuscher.“

Warum haben Sie Ihr Wissen für sich behalten? Immer die gleiche provozierende Frage. Gerald Herrmann ist gereizt. „Ich kann nicht mit 2.000 Parlamentariern reden und mit 3.000 Naturkostläden.“ Der Satz entfährt ihm so schnell. wie er ihn ungeschehen machen möchte. Schließlich geht es darum, einen erheblichen Glaubwürdigkeitsverlust wettzumachen. Also wirbt er um Verständnis. „Für uns war der Nitrofenfund im April ein Einzelfall. Wir haben nachgefragt: Wurden Behörden und Kontrollstellen informiert? Wurden die verseuchten Lebensmittel vom Markt genommen? Konnte eine akute Gefährdung der Verbraucher ausgeschlossen werden? Die Antwort lautete ja.“ Er müht sich um Gelassenheit. „Wir wollten nicht unnötige Hysterie verbreiten. Die Behörden sind doch zum damaligen Zeitpunkt auch nicht an die Öffentlichkeit gegangen.“ Als mildere kollektives Fehlverhalten die Schuld des Einzelnen.

Stille Rückholaktion

Dass Verbraucher, denen jahrelang suggeriert wurde, der Ökomarkt sei sicher, transparent und fair, solche Nichtinformierung als Vertrauensbruch empfinden müssen, egal ob der Verband dazu rechtlich verpflichtet war oder nicht, hat Herrmann unterschätzt. Denn für ihn ist der Naturkosthandel längst „nicht mehr ökoschnuckimäßig“. Stille Rückholaktionen wie im Fall des belasteten Putenfleisches seien überall „üblich“, auch in der Biobranche. „Was würde denn passieren, wenn als Einziger der Ökomarkt die Rücknahme belasteter Lebensmittel plötzlich öffentlich machte? Das Image seiner Produkte wäre am Ende.“ Verbandsintern wie -extern werde jetzt zwar durch eine Kommission geprüft, „an welchen Nahtstellen Kontrolle bzw. Kommunikation nicht funktioniert haben“. Daraus jedoch die Konsequenz zu ziehen, im Interesse des Verbraucherschutzes für Ökoprodukte Qualitätskontrollen auf Babynahrungsmittelniveau einzuführen, komme für Naturland nicht in Frage. „Das ist nicht bezahlbar. Unser Ziel ist nicht die Nische, sondern den Ökolandbau in die Fläche zu bringen.“ Mit allen Risiken, die das birgt. Naturland, sagt der Geschäftsführer, habe sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als erfolgreich entwickelt. Das hätten alle Konkurrenten, „die jetzt auf den Verband draufhauen“, zur Kenntnis nehmen müssen.

An der Tür lächelt er trotzig. „Wir verstehen Ökolandbau als Wirtschaftszweig und machen eben keine Gesinnungsprüferei bei unseren Mitgliedern.“ Gegenüber dem Naturland-Haus liegt der Parkplatz eines Pro-Markts, daneben rauscht die Autobahn.

Darmstadt. Vor dem Institut für biologisch-dynamische Forschung tollen Katzenbabys, Naturschutzgebiet und Demeter-Hofladen sind um die Ecke, und im Büro dazwischen bittet Dr. Peter Schaumberger, Agrarökonom und Geschäftsführer, zu ausgesuchten Ökosäften und darum, die Tür wegen der vielen Fliegen zu schließen. Demeter wurde 1924 gegründet und ist damit der älteste Ökoverband Deutschlands. „Wir arbeiten mit spirituellem Hintergrund. Wir betrachten einen Hof als Organismus, als Stoffkreislauf.“ Von Demeter-Broschüren und -Postern blickt stets das strenge Antlitz des Anthroposophen und Waldorfschulgründers Rudolf Steiner herab. Futter aus Tiermehl ist bei Demeter tabu. Kontrollen und Richtlinien gelten als die strengsten in der deutschen Ökoszene, die Mitgliederbeiträge als die höchsten. Demeter, mit 1.300 Betrieben die Drittgrößten, sind die Puristen unter den Ökolandwirten, sagen Kritiker. Peter Schaumberger sagt: „Unser Ansinnen ist nicht Marktführerschaft, sondern Qualitätsführerschaft.“ Umso größer war das Staunen, als bekannt wurde, dass auch ein Demeter-Hof nitrofenbelastete Wurst hergestellt hatte.

Keine Kompromisse

„Wir haben wirklich gedacht, dass bei uns so was nicht passiert“, sagt Peter Schaumberger so ruhig, als stünde er immer noch Schock. „Aber es ist passiert.“ Und das trotz strengster Auflagen: Höchstens 20 Prozent Futtermittel dürfen von Ökoherstellern, die nicht zu Demeter gehören, dazugekauft werden. „Da muss das Nitrofen drin gewesen sein.“ Konsequenz, sagt Peter Schaumberger, könne nicht sein, sich damit abzufinden, dass jedes noch so ausgeklügelte System Schwachstellen aufweist. „Wir werden unsere Kontrollen und Auflagen, was den Einsatz von Fremdfuttermitteln betrifft, noch einmal verschärfen müssen.“ Und, beinahe drohend, auf die konkurrierenden Ökoverbände gemünzt: „Wir jedenfalls werden immer weniger Kompromisse eingehen.“

Dass es mit dieser Haltung schwieriger wird, neue Mitglieder zu werben, nimmt man in der Demeter-Chefetage hin. „Wir hatten schon nach der BSE-Krise die niedrigsten Mitgliederzuwächse.“ Wenn Nitrofen zum gleichen Ergebnis führen sollte – sei's drum. „Wir haben den längeren Atem.“ Rudolf Steiner blickt streng von der Wand.

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