TV-WAHLRUNDEN WÜRDEN AUCH DURCH MEHR TEILNEHMER NICHT BESSER: Kreuzverhöre statt Duelle
Schröder gegen Stoiber. Stoiber gegen Schröder. Bisher war völlig klar, wer an den großen Fernsehduellen vor den Wahlen zum Bundestag teilnimmt: die beiden Kandidaten der großen Parteien natürlich, denn nur die haben wirklich eine Chance, Bundeskanzler zu werden. Jetzt aber will FDP-Chef Guido Westerwelle auch mitmachen – schließlich nennt er sich neuerdings auch Kanzlerkandidat. Und als solcher will er jetzt sein Recht auf Zutritt zu der Kanzler-in-spe-Runde vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe erstreiten.
Tatsächlich macht es wenig Sinn, wenn Gegner einer Teilnahme des FDP-Kandidaten darauf verweisen, ein „Duell“ sei immer ein Zweikampf und verbiete daher eine Beteiligung von Dritten. Deutschland ist keine Präsidialdemokratie wie die USA. Die Wähler bestimmen nicht den Regierungschef, sondern die Zusammensetzung des Bundestages. Gerade die Tradition von Koalitionsregierungen in der Bundesrepublik erfordert, die kleinen Parteien zu berücksichtigen. Und zwar alle, nicht allein die, die sich als PR-Gag den Luxus eines eigenen Kanzlerkandidaten leisten. Die Antwort liegt aber auch nicht in einer Ausweitung der Runde – davon gibt es schon mehr als genug. Egal ob öffentlich-rechtlich oder privat. „Christiansen“, „Berlin-Mitte“ und die anderen Polittalk-Formate garantieren, dass auch in Hochwahlkampfzeiten der Bedarf an allgemein-unverbindlichem Statementaustausch gedeckt wird.
Was dagegen fehlt, sind Hintergrund und Tiefgang: Wenn in Großbritannien die Spitzenpolitiker aller Parteien einzeln von David Dimbelby oder seinem Bruder Jonathan ins Kreuzverhör genommen werden, erfährt das Wahlvolk am Bildschirm wirklich etwas über Persönlichkeit, Parteiprogramm und Politstrategien. Derartige Sendungen sucht man in Deutschland vergeblich. Nicht an Fernsehduellen mangelt es deshalb, sondern an kritischen TV-Journalisten, die sich jeden Kanzler- oder Ministerkandidaten einzeln und respektlos vornehmen. Die gibt es auch nicht aus Karlsruhe. Was nun, deutsches Fernsehen? STEFFEN GRIMBERG
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