: Schneepflug durch den Schrebergarten
Nach langem Zögern befürworten neben der CDU auch SPD und PDS den Bau einer 425 Meter langen Skihalle in Neukölln. 400 Kleingärtner, die für den Neubau ihre Zellen räumen müssen, sollen entschädigt werden
Skifahren in Berlin, das wär was. Schließlich donnerte schon in den Achtzigerjahren Markus Wasmaier den Teufelsberg hinunter beim ersten und einzigen Berliner Weltcupslalom. Ähnliches soll auch dem gemeinen Pistenraudi ab 2004 möglich sein – genauer gesagt ab Sommer 2004. Denn bis dann soll in Neukölln eine gigantische Halle gebaut werden, 425 Meter lang, 90 Meter breit und dauerhaft auf minus fünf Grad gekühlt.
Am Mergenthaler Ring soll sie stehen. Ein 16 Hektar großes Areal dort wird im Bezirksamt Neukölln als „Industriefläche“ geführt. Die Industrie hat sich bisher jedoch nicht eingefunden – stattdessen ackern dort seit einem halben Jahrhundert sechs Kleingartenvereine. Provisorisch. Denn ob Industrie oder nicht, schon seit den Dreißigerjahren verstauben in der Verwaltung Pläne, hier eine Autobahn zu bauen. Die wurden mit dem Mauerfall wieder aktuell. In fünf Jahren soll mit dem Bau begonnen werden. Und weil die Autobahn schön schmal ist, bleibt daneben Platz für die lange Halle.
Jedes Jahr im Februar kann der Pachtvertrag mit den Kleingärtnern von Seiten des Bezirksamtes gekündigt werden. Bis Jahresende müssten sie dann räumen. Das Wissen hat jeder Laubenpieper, wenn nicht im Kopf, so zumindest im Schreibtisch bei seinen Unterlagen.
Die Aufgabe, das „Brachland“ zu versilbern, kommt dem Liegenschaftsamt zu. Von dort aus drangen seit Februar Nachrichten gen Öffentlichkeit. Eine Investorengruppe wurde gefunden. Unter Führung der Gesellschaften „Fechner und Herden“ und „pmw“ sollen neben der Skihalle auch Outdoorsport, Gastronomie und ein Fitnessstudio entstehen. Eine Investition von 70 Millionen Euro, zudem entstehen 300 neue Arbeitsplätze. „Das ist ein enormer Imagegewinn für Neukölln“, freut sich die dortige Baustadträtin Stefanie Vogelsang (CDU).
Aber da sind ja noch die Kleingärtner, die sich über den Bau der Frosthalle erhitzen. „Lasst euren Schnee in Tirol“, riefen sie vergangene Woche vor dem Neuköllner Rathaus. Das blieb drinnen nicht ungehört. Denn nicht nur der Volksmund weiß: Ein Kleingarten sind vier Wählerstimmen. Bei 400 Kleingärten 1.200 Stimmen, plus Mutliplikationsfaktor. Und im September sind Bundestagswahlen.
So legten sich die Lokalpolitiker für ihre Kleingärtner ins Zeug. „Wir sind gegen die Skihalle“, verkündete etwa die PDS-Fraktionschefin Silvia Stelz letzte Woche. Den schwarzen Peter bekam die CDU und ihre Baustadträtin. „8, 9,10, Vogelsang soll geh’n“, schrien die Kleingärnter.
Doch Stefanie Vogelsang will nicht allein den Buhmann spielen. Am Mittwochabend verlangte sie ein klares Votum von der Bezirksverordnetenversammlung. Geschlagene zweieinhalb Stunden übertrafen sich die Parteien mit Nichtigkeiten zum einzigen Tagesordnungspunkt, „Investitionsvorhaben Skihalle“. Vogelsangs Frage, ob sie als Baustadträtin die Skihalle verhindern solle, wollten die Herren von der SPD und PDS nicht unter den Argusaugen einer Kleingärtnerdelegation beantworten. Klar positionierten sich nur die Grünen – pro Natur, pro Kleingärtner, contra Betonklotz. Aber die sitzen ja auch nicht mehr im Senat und müssen dort den Investoren nachlaufen.
Und die Gartenbefürworter haten noch einen Joker in der Hinterhand. Denn der diesjährige Kündigungstermin ist längst verstrichen. Regulär wäre das Gelände nun frühestens zum 1. Januar 2004 frei zur Bebauung – doch der Investor will schon im kommenden Sommer loslegen.
Am Ende der Debatte stand schließlich ein Kompromiss, den auch SPD und PDS mittrugen: Skihalle ja, aber zuvor soll der Investor die Kleingärtner angemessen entschädigen. 8.000 Euro gehen an jeden Parzellenbesitzer, und die Räumungskosten für die Lauben trägt der Investor.
Damit das ganzjährige Wintermärchen tatsächlich Wirklichkeit wird, bedarf es nun noch einiger Vertragsunterschriften. Die Verhandlungen zwischen Investor, Liegenschaftsamt und Kleingärtnern, verkündet der pmw-Projektentwickler Michael Waiser, stünden kurz vor dem Abschluss. WOLF VON DEWITZ
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