: Kein El Niño im Erzgebirge
Die derzeitigen Hochwasser sind milde, betrachtet man sie in langen Zeiträumen. Klimaschutz ist trotzdem nötig – und mehr Platz für eingezwängte Flüsse
Zynisch gesagt: Im Vorfeld des Umweltgipfels in Johannesburg hätte der Umweltpolitik kaum etwas Besseres geschehen können. Die Sommersintflut 2002 verwandelt Bäche in reißende Flüsse und Flüsse in Ströme. Und alle sind sich einig: Die Auswirkungen des Klimawandels bleiben nicht mehr länger auf Bangladesch beschränkt. El Niño lässt jetzt auch in den Alpen und im Erzgebirge existenzvernichtende Fluten über die Menschen niedergehen. In den Medien und den Verlautbarungen der Umweltpolitiker gibt es eine Gewissheit: Das „Jahrtausendhochwasser“ an Elbe und Donau ist eine direkte Folge des menschgemachten Klimawandels. Nicht nur in Hinblick auf den UN-Nachhaltigkeitsgipfel in Johannesburg hätte diese Botschaft nicht passender kommen können. Im hiesigen Wahlkampf kann man gegen Union und FDP sticheln, weil die Opposition nach einem Wahlsieg die Subventionierung regenerativer Energien herunterschrauben will. Ferner lässt sich genüsslich die Frage stellen, welchen Umweltspezialisten Stoiber aus seinem Kompetenzteam auf den Hochwasserdamm stellen könnte. Am weitesten geht Greenpeace: Die multinationalen Erdölmultis sollen zum Schadenersatz für das Hochwasser herangezogen werden. Schließlich sind die transnationalen Erdölkonzerne am durch Menschen erzeugten Treibhauseffekt maßgeblich schuld. Somit scheint selbst juristisch klar zu sein: Vom Treibhauseffekt führt eine glasklare Indizienkette bis zu den absaufenden Stadtteilen in Prag und Dresden.
Die These ist verführerisch. Lässt sich mit der Kausalität „Klimawandel – Hochwasser“ doch enormer Druck auf eine Politik hin zur signifikanten Minderung der Treibhausgasemissionen erzeugen, zumal fast alle Medien auf diesen Zug aufspringen. Allein – die These ist bislang kaum zu belegen.
Was den leidgeprüften Anwohnern von Mulde, Elbe und Donau als nie dagewesene Katastrophe vorkommt, wiederholt sich statistisch gesehen je nach Region alle 50 bis 200 Jahre. Was man „seit Menschengedenken“ noch nie erlebt hat, spielt sich im Normbereich des Hochwasserabflussgeschehens unserer Flüsse ab – zumindest wenn man längere Zeitreihen analysiert.
Glaubt man seinem Gefühl, der Presse oder diversen Expertenmeinungen, dann müssen sich in den 80er- und 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts etwa am Rhein die Jahrhunderthochwasser gehäuft haben. Zu einem anderen Ergebnis kommt aber, wer die verbürgten rheinischen Hochwasserereignisse der letzten 700 Jahre auswertet. Der stellt nämlich fest, dass es im 20. Jahrhundert am Rhein gar keine Jahrhunderthochwasser gegeben hat. Im Gegenteil: Im Vergleich zu den vorhergehenden Jahrhunderten litt das vergangene nur unter eher milden Hochwassern. Aus den ausgewerteten Daten wird deutlich, dass auch alle Extremhochwasser in den letzten 700 Jahren verblassen, wenn man sie dem verheerenden Hochwasser von 1342 gegenüberstellt. Das Sommerhochwasser von 1342 am Rhein muss in die Kategorie „Jahrtausendhochwasser“ eingeordnet werden. Was unsere Generation als noch nie dagewesene Hochwasserflut empfindet oder in den betroffenen Regionen erleiden muss, ist über längere Zeiten gesehen eher als kleines Hochwasser einzustufen.
Bleibt die Frage, ob man aus den Klimamodellen nicht doch herausdestillieren kann, dass der menschgemachte Treibhauseffekt die Hochwassergefahr drastisch verschärft. Seriös nachweisen lässt sich das nicht. Es liegt in der Natur des Wetters, dass es chaotisch verläuft. Wetter- und Klimageschehen sind von einer Unzahl von Variablen abhängig, die sich auch mit Hochleistungsrechnern nicht eindeutig simulieren lassen. Das führt dazu, dass selbst die anerkannten Klimamodelle für die angenommene Erhöhung der Temperatur im Zeitraum von 1990 bis 2100 nur eine Bandbreite von 1,4 bis 5,8 Grad angeben können.
Wo selbst die Temperaturerhöhung nur derart unpräzise prognostiziert werden kann, lassen sich alle anderen Klimaphänomene, die von der Temperatur abhängig sind, noch viel ungenauer abschätzen. Vor allem die Veränderungen im Niederschlagsgeschehen sind bislang kaum zu prognostizieren. Eine Hauptquelle der Unsicherheit besteht darin, dass sich die Rückkopplungsprozesse zwischen dem Treibhauseffekt mit dem Wasserdampfgehalt der Atmosphäre noch nicht quantifizieren lassen. Genauso wenig sicher sind bislang die Rückkopplungsprozesse zwischen zunehmender Temperatur, erhöhter Luftfeuchtigkeit und Bewölkung zu simulieren.
Völlig zur Kaffeesatzleserei artet es aus, wenn die derart unsicheren Weltklimamodelle regionalisiert werden. Wenn man also beispielsweise versucht, globale Klimaeffekte auf europäische Regionen herunterzubrechen. Die Weltklimamodelle sind so grob gestrickt, dass aus den globalen Modellen keine Vorhersagen, beispielsweise für den Alpenraum oder für das Erzgebirge, abgeleitet werden können.
Man kann also derzeit noch nicht eindeutig vorhersagen, wie sich als Folge des Klimawandels der Niederschlag in einer Region konkret verändern wird. Wenn man aber nicht weiß, wie sich der Niederschlag im Erzgebirge unter dem Einfluss des Treibhauseffekts verändern wird, kann man noch viel weniger vorhersagen, wie sich das Hochwasserabflussgeschehen modifizieren wird. Einigermaßen sicher kann man nur annehmen, dass die Temperaturerhöhung auch zu einer Intensivierung des Wasserumsatzes in der Atmosphäre führen muss.
Ist das Nichtwissen über die Kette „Treibhauseffekt–Klimawandel–Niederschlag–Hochwasser“ an der Mulde ein Grund, die Hände untätig in den Schoß zu legen? Mitnichten! Man weiß zwar noch nicht, welchen Effekt der Treibhauseffekt in unseren Breiten auf das Hochwassergeschehen hat. Man kann aber genauso wenig ausschließen, dass der menschgemachte Anteil des Klimawandels künftig die Hochwassergefahr drastisch verschärfen wird. Damit bleibt die Verringerung der von Menschen erzeugten Treibhausgase die wesentliche Vorbeugungsstrategie. Bei der Trägheit der Klimasysteme wird der Erfolg einer solchen Strategie aber wohl erst unseren Enkeln zugute kommen.
Kurz- und mittelfristig ist es deshalb mindestens genauso wichtig, dass man Bächen, Flüssen und Strömen wieder den Freiraum zurückgibt, in dem die Hochwasserwellen mit geringeren Schäden als derzeit ablaufen können. Doch das menschliche Erinnerungsvermögen für Hochwasser ist gering. Daher verblasst die Einsicht in die Notwendigkeit, den Flüssen wieder Platz zu verschaffen, nach jedem Jahrhunderthochwasser verblüffend schnell. In den ehemaligen Flussauen liegt heute der Schäferhund-Trainingsplatz, der Maisacker oder auch ein Lkw-Montagewerk von DaimlerChrysler. Und wenn es dann seitens der Wasserwirtschaftsbehörden heißt, wir müssen die Dämme zurücknehmen, dann regiert wieder St. Florian: „Hochwasservorsorge? Selbstverständlich! Aber doch nicht ausgerechnet bei uns!“ NIKOLAUS GEILER
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