piwik no script img

Wegkatapultiert!

Prozessbeginn gegen einen Polizisten wegen Körperverletzung – jedoch ohne das vermutliche Opfer

1. Mai 2001, Berlin-Kreuzberg. „Was den Bayern ihr Maibaum, ist den Autonomen der 1. Mai in Kreuzberg“ – Zitat aus einer ZDF-Reportage über die Krawalle. Auf der Waldemarstraße steht der Demonstrant Ronny H. Mindestens zwei Backsteine hält er in den Händen, heißt es später. Einen will er werfen – ein Polizist verhindert das. Polizeikollegen eilen hinzu, der Aggressor wird abgeführt. Ende einer Geschichte. Autonome Gewalt, verhindert vom Freund und Helfer.

Nicht ganz – denn ein Teil dieser Geschichte findet sich auf dem Produktionsmaterial der ZDF-Reportage wieder. Zufällig filmt der Kameramann, wie ein Polizist auf den Demonstranten einschlägt.

Dank des Fernsehausschnittes wird der Aussage von Ronny H. Gehör geschenkt: nicht von ihm kam die Aggression, sondern von der Polizei. „Ich habe direkt eine aufs Maul bekommen“, so Ronny H. im Polizeiprotokoll. Ergebnis: Schürfwunden, Prellungen und Bluterguss.

Gestern nahm der Prozess seinen Anfang. Aufgrund der Abwesenheit von Ronny H. wurde der Prozess nach der Vernehmung der drei Polizisten vertagt. Verlierer der ersten Etappe ist Ronny H.: der Richter belegte ihn wegen seines unentschuldigten Fehlens mit einem Bußgeld von 200 Euro und erzwang sein Erscheinen am nächsten Dienstag: er soll polizeilich vorgeführt werden.

Als Zeugen treten nur Vertreter der Polizei auf. Zuerst der Angeklagte Karsten Z.: Er habe zwei seiner Kollegen gesehen, wie sie einen Autonomen „am Boden an den Beinen fixierten“. Der Oberkörper hingegen sei frei gewesen – also habe er geholfen. Beim Niederknien entdeckte er Backsteine bei Ronny H., die habe er „weggeschlagen“, oder, besser gesagt: „wegkatapultiert“.

Gesagt, gesehen: Mehrmals wurde der Fernsehausschnitt gezeigt. Jemand liegt am Boden. Ein Polizist schlägt mit der Faust auf den Kopf des Demonstranten ein – das sieht nicht danach aus, als ob er Backsteine fortnimmt und weglegt. „Ich habe nur ausgeholfen“, beteuert Polizeihauptmeister Z.

Anschließend berichten seine beiden Kollegen. Sie tun ihr Möglichstes, den Ranghöheren zu entlasten. Und wenn nicht, dann hilft der zeitliche Abstand. Wo die Backsteine waren? „Das kann ich direkt jetzt gar nicht sagen“, entgegnet ein Polizeiwachtmeister. Denn es sei ja alles schon so lang her. WOLF VON DEWITZ

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen