: Giftalarm an Bremer Schulen
An elf Schulen haben die PCB-Fahnder bereits Gift in der Luft entdeckt, das aus Deckenplatten und Fugen ausgast. In der GSO ist seit Donnerstag ein ganzes Stockwerk gesperrt. Schüler weigern sich, die Klassenzimmer zu benutzen
Der Mathe-Leistungskurs hat sich ein Plätzchen am Rande der Sportanlagen gesucht. Bücher und Hefte liegen auf der Tischtennisplatte, die SchülerInnen stehen im Kreis darum – Frischluft-Analysis im Sonnenschein. Doch die Idylle trügt. Denn nicht das schöne Wetter, sondern die giftige Luft in ihren Klassenzimmern treibt SchülerInnen und LehrerInnen ins Freie.
Die Nachricht kam Anfang der Woche. Mit bis zu 15.000 Nanogramm polychlorierten Biphenylen (PCB) ist jeder Kubikmeter Luft in den Klassenzimmern im Gebäude der Gesamt-Schule Ost (GSO) belastet – 50-mal mehr, als Experten für langfristig unbedenklich halten. Das hatten erste Stichproben ergeben. An der Walliser Straße herrscht seither der Ausnahmezustand.
PCB gilt als krebserregend, reichert sich im Fettgewebe an und schädigt das Hormon-, Immun- und Nervensystem. Bei Werten zwischen 300 und 3.000 Nanogramm pro Kubikmeter reicht es nach Ansicht der Behörden, bis zu einer endgültigen Sanierung gut zu lüften und besser zu putzen. Liegen die Werte darüber, muss sofort saniert werden. In mindestens 15 Räumen an der Walliser Straße ist das wahrscheinlich der Fall: Sie wurden bereits Anfang der Woche vorsorglich gesperrt. „Aber in den benachbarten Zimmern, wo nicht gemessen wurde, haben wir weiter Unterricht gemacht“, berichten Abiturienten. Erst auf ihren Druck hin gab die Schulleitung nach: Auf der dritten Etage wird jetzt nur noch unterrichtet, wenn Schüler und Lehrer einverstanden sind – also praktisch nicht.
In der Gesamtschule startete ein Großumzug: Alle fünften Klassen mussten ihre Zimmer verlassen, Tische, Stühle und Tafeln wurden in Freizeit- und Technikräume geschleppt, manche Kurse zusammengelegt – „ein Provisorium“, betont Schulleiter Franz Jentschke. Zu Unterrichtsausfällen sei es trotz des Chaos bisher nicht gekommen, versichert er. Stattdessen gab es jeden Tag ab der 6. Stunde hitzefrei. „Der Wettergott hat uns geholfen“, schmunzelt Jentschke.
Schlimmer ist die Situation in der Oberstufe und bei den Berufsschulen. Im Flur hängen Zettel, auf denen die Ersatz-Räume für die Kurse verzeichnet sind. Die Berufsschulen haben von vorneherein einige Kurse abgeblasen, auf den Raum-Plänen für die Oberstufe steht hinter einigen Stunden statt einer Zimmernummer ein Fragezeichen. „Das heißt, muss man selbst improvisieren“, erklärt die Lehrerin auf dem Schulhof: „Oder die Stunde fällt dann eben aus.“
Viele ihrer KollegInnen sind verunsichert. „Ich hab hier 24 Jahre lang unterrichtet“, sagt ein Französisch-Lehrer, der in der leeren Etage nach seinen Schülern sucht. Und: „Ich verstehe gar nicht, warum man hier nicht schon längst gemessen hat.“
Das versteht auch Personalrat Helmut Peter nicht. Schon vor zehn Jahren nämlich waren in der Gesamtschule West PCB-haltige Materialien entdeckt worden. Eine flächendeckende Untersuchung aller Bremer Schulen lehnten die Behörden damals jedoch ab. „Dabei wusste man doch bereits, wie gefährlich das Zeugs ist“, ärgert sich Peter.
Noch vor einem Jahr stritten die SenatorInnen darüber, wer die Messungen bezahlen sollte. Seit August sind jetzt 14 Schulen und vier Kindergärten untersucht worden. Elfmal fanden die Chemiker erhöhte PCB-Werte (siehe Kasten), in zweien lagen sie so hoch, dass Räume sofort gesperrt werden mussten. Dort wird jetzt in Containern unterrichtet.
Die Sanierung der Altlasten dürfte Millionen verschlingen. Denn das Langzeit-Gift PCB, das aus Deckenplatten und Dichtungen ausgast, lagert sich an anderen Stellen wieder ab. Im Ellener Feld etwa, wo die Gesellschaft Bremer Immobilien mbH (GBI) bereits ein stark belastetes Klassenzimmer entgiftet hat, mussten nicht nur die Decke, der Teppichboden und die Fenster herausgerissen, sondern sogar die Wände abgeschliffen werden. Für die GSO soll in drei Monaten ein Sanierungskonzept vorliegen. Unmöglich, findet Schulleiter Jenschke: „Das muss schneller gehen.“ Armin Simon
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