piwik no script img

Angst um ein Stück Freiheit

Ein möglicher Angriff gegen den Irak löst am Golf Entsetzen aus. Nicht nur wäre er das Ende von zehn Jahren Frieden für die irakischen Kurden, auch für die Türkei und Jordanien überwiegen die Risiken

von JÜRGEN GOTTSCHLICH

Für Dick Cheney scheint der Fall klar: „Die Risiken des Nichtstuns sind weitaus größer als das Risiko des Handelns.“ Was Cheney als „Kampf gegen den Terror“ preist, soll nun vor allem gegenüber Irak gelten. Vor Kriegsveteranen beschwor der US-Vizepräsident in der letzten Woche die Gefahr Saddam Hussein in derart grellen Farben, dass selbst Mitglieder seiner Partei nur noch mit dem Kopf schüttelten.

Besonders besorgt sind die Kurden im Irak. Seit die UNO nach dem Golfkrieg 1991 dort eine Flugverbotszone ausrief, die durch die US-amerikanische und britische Luftwaffe kontrolliert wird, hat sich im kurdischen Norden ein De-facto-Staat etabliert, der der größten ethnischen Minderheit im Irak ein Maß an Freiheit beschert hat, wie es die drangsalierten Kurden seit Jahrzehnten nicht erlebt haben.

Seit US-Präsident Bush davon spricht, den „Job im Irak“ zu Ende bringen zu wollen, um das „Werk meines Vaters“ zu vollenden, geht in den kurdischen Bergen die Angst um. Immer wieder haben gerade die irakischen Kurden die Erfahrung machen müssen, dass sie von fremden Mächten instrumentalisiert werden. Speziell die USA sind in den Augen der beiden dominierenden politischen Führer im Nordirak, Dschalal Talabani und Masud Barsani, kaum glaubwürdig. In den 70er-Jahren bereits war der Vater von Masud Barsani, ein Guerillaführer der kurdischen Befreiungsbewegung, vom damaligen US-Außenminister Henry Kissinger schmählich verraten worden. 1991 hatte Bush Senior die Kurden im ausgehenden Golfkrieg erst zum Aufstand ermuntert und dann fallen gelassen; und noch Mitte der 90er-Jahre ließ Clinton eine groß angelegte CIA-Operation, die mit kurdischer Hilfe Saddam stürzen sollte, in letzter Minute abblasen – etliche Unterstützer wurden ausgeflogen, Tausende blieben irritiert zurück. „Dieses Mal“, erklärte deshalb Dschalal Talabani kürzlich, „werden wir den Amerikanern nicht blind in einen Krieg folgen“.

Zu viel steht auf dem Spiel. Für die Kurden waren die letzten Jahre, verglichen mit den jahrzehntelangen Kämpfen zuvor, ein „goldenes Zeitalter“. Obwohl offiziell von einem eigenen Staat nicht gesprochen wird, sind doch Institutionen entstanden, die dem kurdischen Autonomiegebiet einen staatsähnlichen Charakter verleihen. Zudem geht es den Menschen wirtschaftlich vergleichsweise gut. Das Geld, das die UNO den Kurden aus dem irakischen „Oil for Food“-Programm überweist, sorgt zusammen mit den Einnahmen aus Transitgebühren für die Öllaster, die von Kirkuk aus über kurdisches Territorium in die Türkei donnern, für bescheidenen Wohlstand. Ein neuer Krieg könnte die Aufbauarbeit der letzten zehn Jahre vernichten.

Der kurdische De-facto-Staat im Nordirak wird vor allem in Ankara seit Jahren misstrauisch beobachtet. Ein Krieg gegen Saddam dürfe auf keinen Fall zu einem kurdischen Staat führen – das schärft die türkische Regierung allen US-Emissären immer wieder ein, die in den letzten Monaten in Ankara sondieren, unter welchen Bedingungen die Türkei bereit wäre, einen Feldzug gegen Saddam aktiv zu unterstützen. Die gegensätzlichen Interessen in Ankara und im kurdischen Arbil und Suleimaniye haben schon zu wachsenden Spannungen an der türkisch-irakischen Grenze geführt: Die Türkei lässt die Öllaster aus dem Irak nicht mehr passieren, und die türkische Armee baut bereits präventiv im Nordirak ihre Stellungen aus – angeblich um Flüchtlinge im Falle eines Krieges bereits auf der irakischen Seite abzufangen. Tatsächlich wohl eher, um im Falle eines Falles vor Ort präsent zu sein.

Doch die Abneigung gegen einen neuerlichen Irakkrieg entspringt nicht nur der Unsicherheit in der Kurdenfrage. Die Türkei hat bereits durch den Golfkrieg eine Milliarde Dollar verloren, die zuvor durch den Handel mit Bagdad jährlich verdient wurden. In letzter Zeit hatte der Handel gerade wieder etwas zugenommen. Aus Sicht Ankaras überwiegen die Risiken eines Krieges die Unsicherheiten des Status quo erheblich, weshalb der türkische Premier Ecevit seinem Kollegen im Weißen Haus bereits mehrfach versucht hat klarzumachen, dass die Eindämmungspolitik gegen den Irak letztlich sehr erfolgreich war und Saddam für die Nachbarstaaten keinerlei Gefahr darstelle.

Was für die Türkei gilt, trifft in noch größerem Maße auf Jordanien zu. Das zweite potenzielle Aufmarschgebiet der US-Armee in einem Krieg gegen Saddam würde unweigerlich zwischen alle Fronten geraten. Das kleine Königreich ist gänzlich vom Handel mit dem Irak abhängig. Zudem hegt die überwiegend palästinensische Bevölkerung deutliche Sympathien für Saddam. Das Risiko eines Krieges könnte für das jordanische Königshaus zur Überlebensfrage werden. Denn ausgerechnet der andere Nachbar Jordaniens, Israel, ist das einzige Land der Region, das in Wa- shington auf einen Feldzug gegen den Irak drängt. Eine Beteiligung Israels aber würde Jordanien kaum überstehen.

Doch die echten Großmacht- strategen in Washington ficht das kaum an. Die Besetzung Iraks, so ihre Vorstellung, soll die Landkarte im Nahen Osten ja gerade verändern. So taucht Hassan, der Onkel des jungen jordanischen Königs, schon bei Treffen der irakischen Opposition auf, um dezent auf den Anspruch des haschemitischen Königshauses auch auf den verwaisten irakischen Thron zu verweisen. Über vieles wird debattiert und spekuliert. Die Haschemiten gehen nach Bagdad, die Palästinenser bekommen Jordanien und Israel sein gelobtes Land auf der Westbank – eine „Lösung“, von der Scharon schon seit Jahrzehnten träumt. Für die Türken haben US-Strategen wie Richard Perle auch noch ein Lockangebot im Gepäck: Sie sollen das Protektorat über die irakischen Kurden und ganz nebenbei die Ölförderung in Kirkuk übernehmen. Dann, so Perle in einem Beitrag für die New York Times, wären sie als EU-Anwärter gleich viel attraktiver.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen