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Deutschland hat ein Türkenproblem

Ein polemischer Rückblick auf deutsche Stimmen und Stimmung zur türkischen Zuwanderung und die Kassandra-Rufer des Abendlandes

„Die Bundesrepublik hat kein Ausländerproblem, sie hat ein Türkenproblem. Diese muslimische Diaspora ist im Prinzip nicht integrierbar. Man soll sich nicht freiwillig Sprengstoff ins Land holen.“ (Der Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler im taz-Interview vom 10. 9. 2002)

Deutschland hat ein Türkenproblem. Seit dreißig Jahren. Aber keiner tut was. Und das, obgleich der Spiegel bereits 1973 in einer Titelgeschichte warnte: „Die Türken kommen – rette sich wer kann. Berlin, München oder Frankfurt können die Invasion kaum noch bewältigen: Es entstehen Gettos, Kriminalität und soziale Verelendung wie in Harlem.“ Damals lebten eine Million Türken im Land.

Aber die Kassandra-Rufe des Spiegels blieben unerhört. Die Türken wurden immer mehr und heute leben bereits 2,5 Millionen von ihnen in Deutschland. Dabei hat sich eine großdeutsche Koalition viel einfallen lassen, die Invasion zu stoppen. Kleinbürger wählten in den Achtziger- und Neunzigerjahren fleißig Parteien wie die „Republikaner“ und die DVU in die Landesparlamente. Und seit Anfang der Achtzigerjahre beschwören Bürgertum und rechte Skinheads vereint die Türkengefahr.

„Mit großer Sorge beobachten wir die Unterwanderung des deutschen Volkes durch Zuzug von Millionen von Ausländern und ihren Familien, die Überfremdung unserer Sprache, unserer Kultur und unseres Volkstums“, verkünden 1981 elf Professoren im „Heidelberger Manifest“. Und der Herausgeber des Berliner Tagesspiegels forderte: „Mehr Wohnungen, weniger Türken.“ Weniger Türken, das heißt, Türken raus! Die Böhsen Onkelz verstanden das und antworteten 1982 mit dem Song: „Türken raus, Türken raus aus unserem Land. / Geht zurück nach Ankara.“

Türken raus! Das wollte auch Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) und bereitete ein Rückkehrprogramm vor, dass sein Nachfolger Helmut Kohl umsetzte. „Ein konfliktfreies Zusammenleben wird nur möglich sein, wenn die Zahl der Ausländer bei uns begrenzt und langfristig vermindert wird, was vor allem die großen Volksgruppen der Türken betrifft“, meinte der damalige Innenminister Friedrich Zimmermann schon 1983 vor dem deutschen Bundestag. Das fanden Skinheads und Neonazis auch, erschlugen 1985 zwei Türken in Hamburg und verbreiteten in Berlin den „Anti-Türken-Test, made in Buchenwald – copyright 1986 by Hitler und Hess“. Und die Gruppe „Werwolf“ lieferte 1990 den Soundtrack zu Zimmermanns Rede in dem Song „Volk steh auf“: „Wollt ihr ’ne Zukunft für unser Land / Ich hoffe, ihr habt es jetzt erkannt / Wir müssen kämpfen für unsere Rasse / Deutsches Volk, beweise deine Klasse / Deutschland, Deutschland, du musst wählen / dann kann dein Volk wieder, wieder leben.“

Ausländer, die brauchen wir nicht, meint der rechte Mob. Ausländer, die brauchen wir nicht, meint, auch ein einflussreicher Teil des Bildungsbürgertums. „Bislang war die Bevölkerung nie wirklich auf Zuwanderung angewiesen. Sie konnte gut ohne sie auskommen. Deshalb empfand sie sie häufiger als Last denn als Gewinn“, schreiben die Zeit-Herausgeberin Marion Dönhoff und Helmut Schmidt im Herbst 1992 in ihrem Bestseller: „Ein Manifest. Weil das Land sich ändern muss“. Wenige Tage später fand die Antitürkenparty ein jähes Ende.

Ein paar proletarische Jungs nahmen den Diskurs der Eliten ernst und legten in Mölln (1992) und Solingen (1993) ein paar Sprengsätze. Das Bürgertum schämte sich, gab sich ahnungslos und meinte nun ganz scheinheilig wie die Zeit: „Türken in Deutschland: Erst seit ihre Häuser brennen, nehmen wir sie wahr.“

Es folgten harte und schwere Jahre: Lichterketten, Bekenntnisse zu Multikulti, Aufstand der Anständigen. Nicht mehr mit Inbrunst, sondern nur noch leise und verbrämt wurde das Lied vom gefährlich, fremden Türken in den letzten zehn Jahren gesungen. Es klang dann so, wie der CSU-Beitrag zum Zuwanderungsgesetz aus dem Jahr 2001: „Wenn wir die Identität unseres Landes bewahren wollen, ist eine Begrenzung der Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten weiterhin unabdingbar.“

Aber zehn Jahre Buße sind genug. Denn der Türke und Muslim bleibt, was er ist: dem deutschen Wesen fremd. Deshalb braucht Deutschland Männer wie Hans-Ulrich Wehler. Männer, die aufrütteln, wenn das Bürgertum erschlafft und deshalb wie Wehler mahnen: „Man kann Kulturgrenzen nicht in einem Akt mutwilliger Selbstzerstörung einfach ignorieren.“

Hans-Ulrich Wehlers Thesen zu der Nichtintegrierbarkeit der Türken und der Muslime in die Europäische Union und in Deutschland sind also weder neu, noch besonders originell. Interessant ist lediglich der Zeitpunkt der Veröffentlichung – ein Jahr nach dem 11. September. Verständigten sich ein großer Teil der öffentlichen Meinung noch vor einem Jahr, dass es sich bei den Terroranschlägen um keinen Konflikt zwischen westlicher und islamischer Welt handle, machen nun ganz andere Stimmen die Musik. Zumindest in der liberalen Zeit, dem Zentralorgan des deutschen Bildungsbürgertums. Mit Dienstantritt Josef Joffe als Herausgeber finden Stimmen, die auf den interkulturellen Dialog setzen, die das Gemeinsame zwischen Europa, der Türkei und den arabischen Staaten betonen, nur noch wenig Gehör. Rückenwind erhalten dagegen Kulturessentialisten wie Wehler, die den Islam als einen „militanten Monotheismus“ sehen, „der seine Herkunft aus der Welt kriegerischer arabischer Nomadenstämme nicht verleugnen kann.“

EBERHARD SEIDEL

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