piwik no script img

Zurück ins Antiquariat der Polizei

Polizeipräsident Udo Nagel überzieht Kommissarsanwärter zwecks Anwesenheit an der Polizei-Uni mit Kontroll- und Überwachungssystem. Weiterer Schritt, die Fachhochschule wieder unter die Kontrolle des Polizeiapparats zu bringen

von KAI VON APPEN

An der Hamburger Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung/Polizei werden nach dem Willen von Polizeipräsident Udo Nagel wieder rigide Methoden angewendet: Mit Wirkung vom 1. Oktober hob Nagel die Anwesenheitsbefeiung vom Studienalltag auf. Alle KommissarsanwärterInnen im vierten und fünften Semester müssen ihre Anwesenheit bei Lehrveranstaltungen in einer Liste dokumentieren und belegen, Schummlern droht ein Betrugsverfahren.

Den 280 Neulingen des Anfangssemesters an der Polizei-Uni ist sogar bei unentschuldigtem Fehlen der Rausschmiss angedroht worden. „Die Studierenden werden wie potenzielle Gauner und Strolche behandelt“, sagt ein Insider, „das Überwachungs- und Kontrollsystem schafft nicht nur eine schlechte Atmosphäre, sondern öffnet Denunziation Tür und Tor.“

Auf der bayrischen Beamten-Fachhochschule war Nagel anderes gewohnt: Dort herrschte kasernenmäßige Disziplin, Zucht und Ordnung. Als Innenstaatsrat Walter Wellinghausen den Münchner nach Hamburg holte, konnte Nagel der Liberalität an der Polizei-Uni nichts abgewinnen. Dabei machte die gelockerte Anwesenheitspflicht in den letzten Semestern aus Sicht der DozentInnen pädagogisch durchaus Sinn. „Ein guter Student zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er sich in Lehrveranstaltungen den Hintern breitsitzt“, so Insider. „Für die Klausuren ist es manchmal notwendig, sich auch Wissen im Eigenstudium anzueignen oder Bibliotheken und Dienststellen aufzusuchen.“

Nach Nagels Plänen sollen die Studierenden nun durch Anwesenheit glänzen und müssen täglich durch Unterschriften ihr Dasein dokumentieren: für jede der vier bis sechs Lehrveranstaltungen pro Tag ein Kürzel (siehe Kasten). Obwohl das eine einschneidende Maßnahme ist, ist nach Informationen der taz hamburg der Personalrat nicht gehört worden. „Das von der Aufsichtsbehörde installierte Überwachungs- und Kontrollsystem überzieht die Studierenden mit ihrer gegenseitigen Überwachung und Kontrolle und nimmt sie zugleich in die Verantwortung für mögliches Fehlverhalten ihrer Studienkolleginnen und -kollegen“, monieren die Kritiker.

Der Plan bedeutet aber auch einen enormen Verwaltungsaufwand. Denn nimmt man alle Studiengruppen, so werden zurzeit pro Tag 2230 Einzelnachweise produziert, die überprüft werden müssten. Das macht für das Wintersemester 205.000 Eintragungen. Gibt es pro Studiengruppe pro Tag nur drei Beanstandungen, die durch Rückfrage oder Nachforschungen überprüft werden müssten, müssten mindestens zwei Beamte als Kontrolleure dafür freigestellt werden. Die Chefin der Polizei-Uni, Professorin Ulrike Hermann, hat daher bereits abgewunken: Das sei weder leistbar noch der pädadogischer Auftrag der Fachhochschule.

Fachleute bewerten das Vorgehen Nagels als einen weiteren Schritt Schwarz-Schills, die Hochschule wieder unter die Kontrolle der Polizeiführung zu stellen und die Fachhochschule in eine reine Polizei-Akademie umzugestalten. „Es herrschen wieder Zustände wie in den 60er-Jahren“, so Insider, „wie im Antiquariat.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen