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„Harburger Zelle“ im Visier der Welt

Am Dienstag beginnt in Hamburg der weltweit erste Prozess wegen der Anschläge vom 11. September. Die Anklage gegen Mounir El Motassadeq lautet auf Beihilfe zum 3000-fachen Mord und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung

von ELKE SPANNER

Die „Harburger Zelle um Mohammed Atta“ ist mehr als bloß der Arbeitstitel, den die Bundesanwaltschaft (BAW) gewählt hat, um die Attentäter des 11. September zu bezeichnen. Die Existenz einer solchen „Zelle“ ist vielmehr die Voraussetzung dafür, dass Mounir El Motassadeq überhaupt Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“ vorgeworfen werden kann – und damit Beihilfe zum Mord in über 3000 Fällen. Ab Dienstag wird dem Marokkaner vor der Großen Strafkammer des Hamburgischen Oberlandesgerichtes der Prozess gemacht. Die BAW will ihm nachweisen, dass er zusammen mit Todesflieger Mohammed Atta und den anderen Attentätern von New York und Washington die Anschläge geplant und vorbereitet hat. Dass er eine Art „Statthalter“ der Gruppe in Hamburg war, während die übrigen ihre Flugausbildung in den USA absolvierten. Motassadeq bestreitet, von den Attentatsplänen gewusst zu haben.

Für die BAW bedarf es der Annahme einer örtlichen Harburger „Zelle“, weil die Terroranschläge weltweit dem al-Quaida-Netzwerk unter Führung von Usama bin Laden zugerechnet werden. Vermuteter Hauptsitz der Organisation: Afghanistan. Es handelt sich somit um eine ausländische Gruppe – und strafbar war nach deutschem Recht bisher nur die Mitgliedschaft in einer inländischen Terrorgruppe. Das wurde inzwischen zwar durch das Sicherheitspaket geändert, das Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) nach dem 11. September vorgelegt hatte und das von der rot-grünen Mehrheit im Bundestag abgesegnet worden ist. Zum Zeitpunkt der Anschläge von New York aber galt der neue „Paragraf 129b“ noch nicht – und kann deshalb in diesem weltweit ersten Prozess um die Anschläge keine Rolle spielen.

Faktisch sind aber auch in den vergangenen Jahren immer wieder Angeklagte wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen „terroristischen Vereinigung“ verurteilt worden. Bekanntes Beispiel: Unterstützung der kurdischen Arbeiterpartei (PKK). Die Rechtsprechung hat als Voraussetzung dafür einen Ableger der ausländischen Gruppe in Deutschland entwickelt, eine „inländische Organisationseinheit“. Bei der PKK war man davon ausgegangen, dass deren AnhängerInnen hier streng hierarchisch in Gebiets- und Regionaleinheiten organisiert sind.

Schwerpunkt aller PKK-Prozesse, war deshalb der Nachweis einer solchen Organisationsstruktur. In dem großen Hamburger PKK-Verfahren 1996 hatte Richter Albrecht Mentz der Strafkammer des OLG vorgesessen – der auch den Prozess gegen Motassadeq ab Dienstag leiten wird. Die BAW geht davon aus, dass die Anschläge in den USA von der „Harburger Zelle“ vorbereitet und gesteuert wurden. Die bisher bekannten mutmaßlichen Mitglieder sollen sich hier zusammengeschlossen haben, um im Sinne von al-Quaida-Führer bin Laden tätig zu werden. Dazu gehörten laut BAW-Ermittlungen die Todesflieger Mohammed Atta, Marwan Al-Shehhi und Ziad Jarrah sowie der jetzt angeklagte Motassadeq, der am 10. Oktober in Hamburg verhaftete Abdelghani Mzoudi, die untergetauchten Said Bahaij und Zakariya Essabar sowie der Mitte September in Pakistan gefasste Ramzi Binalshibh.

In Zukunft wird es nicht mehr nötig sein, eine solche inländische „Zelle“ nachzuweisen. Nach dem neuen Paragrafen 129b kann auch die Mitgliedschaft in einer Gruppe verurteilt werden, die ihren Sitz nur im Ausland hat. Die Bundesgrünen hatten das zunächst abgelehnt, weil sie fürchteten, dass auch UnterstützerInnen von Befreiungsbewegungen erfasst werden, die gegen Unrechtsregime kämpfen. Der Kompromiss: Strafverfolgung gegen ausländische Terrorgruppen wird nur mit ausdrücklicher Ermächtigung des Justizministeriums möglich sein. Und dabei soll abgewogen werden, ob der Staat, gegen den sich der „Terror“ richtet, selbst die Menschenrechte achtet. Und die Täter, so eine weitere Bedingung, müssen zumindest in Deutschland fest leben oder hier eine Tat geplant haben.

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