: Schnüffeln erlaubt
EU darf bei Kartellverdacht Konzerne durchsuchen. Nationale Gerichte können das nicht mehr verhindern
FREIBURG taz ■ Verdacht auf Kartellbildung, Veracht auf Preisabsprachen: Bevor die EU-Kommission Geschäftsräume durchsuchen lässt, können nationale Gerichte zumindest prüfen, ob die Maßnahme „willkürlich“ ist. Dies hat jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem französischen Verfahren ausgeführt. Die EU-Kommission hatte wegen des Verdachts auf Bildung eines Chemikalienkartells eine Durchsuchung der nordfranzösischen Firma Roquette Frères angeordnet. Roquette hielt die Durchsuchung für unzulässig. Zwar sei sie nach französischem Recht von einem örtlichen Gericht genehmigt worden, dabei hätten diese Richter von der Kommission aber keine konkreten Informationen über die Vorwürfe gegen die Firma erhalten.
Diesen Fall nahm der EuGH nun zum Anlass, den Rechtsschutz gegen Durchsuchungsanordnungen der Kommission zu präzisieren. Danach kann ein nationales Gericht nicht die vollständige Herausgabe der Kommissionsakten fordern. Die Einschaltung von nationalen Gerichten vor einer Durchsuchung diene nur der Willkürkontrolle. Eine umfassende Überprüfung der Kommissionsanordnung ist nur im Nachhinein, durch eine Klage beim Europäischen Gerichtshof möglich.
Allerdings betont der EuGH nun, dass die Kommission einem nationalen Gericht zumindest so viel Informationen geben muss, dass eine Minimalkontrolle möglich ist. Angeben muss die Kommission zum Beispiel, was dem Unternehmen konkret vorgeworfen wird und welche Art von Beweismitteln gesucht werden. Nur dann könne das nationale Gericht ersehen, ob die Durchsuchung zum vorgesehenen Zweck „verhältnismäßig“ ist.
Wenn das nationale Gericht der Auffassung ist, dass die Kommission nicht genügend Informationen gegeben hat, dann darf es den Antrag auf eine Durchsuchung aber nicht einfach verweigern, so der EuGH, sondern muss vielmehr bei der Kommission nachfragen. Bei alledem, betonen die Europarichter, müssen nationale und Gemeinschaftsinstitutionen stets „loyal“ zusammenarbeiten.
Schon im Jahr 1989 hatte der EuGH erklärt, dass das EU-Grundrecht der Unverletzbarkeit der Wohnung auf Geschäftsräume bei Kartellverdacht nicht anwendbar bist. Geklagt hatte damals der deutsche Chemiekonzern Hoechst.
CHRISTIAN RATH
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