: Wissensstadt oder Stadt des Unwissens?
In Berlin hat man mit Standortentscheidungen wie Adlershof lange auf eine Suburbanisierung des Wissens gesetzt
Auch Berlin hat seine Erfolgsgeschichten. Eine davon ist die Biotechnologiefirma Epigenomics, deren Gründer Alexander Olek neulich mit dem Deutschen Gründerpreis geehrt wurde. Doch es ist weniger das Verfahren, Methylierungsmuster von Genen sichtbar zu machen, das die Firma für Stadtforscher interessant macht, sondern die Standortentscheidung. Um hoch qualifizierte Mitarbeiter überhaupt nach Berlin locken zu können, hat Olek seine Firma weder in der Nähe des Universitätsklinikums Benjamin Franklin noch im Biotechnologiepark Buch oder in der Wissenschaftsstadt Adlershof angesiedelt. Vielmehr sitzt Epigenomics mitten im Geschehen – am Hackeschen Markt. „Investitionen in den Raum haben eine Halbwertszeit von 30 bis 50 Jahren“, sagt der am IRS in Erkner arbeitende Soziologe Ulf Matthiesen. „Die Halbwertszeiten des Wissens und seiner Raumanforderungen werden aber immer kürzer.“
Diese Aussage steht in erstaunlichem Kontrast zu den Standortentscheidungen der Nachwendezeit. So wurden alleine in Adlershof Milliarden investiert, um einen so genannten „Sticky Place“ zu schaffen, der als integrierte „Stadt der Wissenschaft und Wirtschaft“ nicht nur Synergieeffekte nutzt, sondern groß und kopmplex genug ist, um weitere Entwicklungen hervorzurufen. Ähnliches ist, wenn auch in kleinerem Maßstab, in Berlin-Buch oder in Golm bei Potsdam geschehen. „Diese Politik der grünen Wiese im Hinblick auf Forschung und Technologie“, sagt Matthiesen, „war fatal.“
Oleks Standortwahl zeigt, wohin es eigentlich gehen müsste, weg von künstlichen Standorten, rein ins urbane Umfeld. Was aber für die „kreative Klasse“ selbstverständlich ist, ist andernorts noch nicht angekommen. „Warum beklagt sich die Humboldt-Uni, dass sie keinen Gründerpark hat?“, fragte sich auf der IRS-Tagung der Raumplaner Peter Zlonicky. „Das Gründerzentrum der Humboldt-Uni ist doch der Hackesche Markt.“
Während in Wissenschaft und Wirtschaft längst neue Formen von Netzwerkorganisationen Einzug gehalten haben, setzt die Berliner Stadtentwicklungspolitik noch auf die alte Schule. Nicht nur in Adlershof, sondern auch am Alexanderplatz. „Dort hatte sich mit den Künstlern im Haus des Lehrers ein kreatives Potenzial konzentriert, das man unbedingt als Akteur mit einbeziehen müsste“, meint Ulf Matthiesen. Die Politik des Senats ist dagegen eine andere. Weg mit den Künstlern, her mit Einzelhandelsfläche, egal, ob sie einmal leer steht oder nicht. Mit einer Stadt des Wissens hat das wenig zu tun, mit einer Stadt des Unwissens dagegen umso mehr. UWE RADA
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