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Verschwiegenes von Welt

Eine illustre Jury kürt jedes Jahr die am meisten unterdrückten Nachrichten. Der Gründer der „Initiative Nachrichtenaufklärung“, Peter Ludes, lehrt an der International University Bremen

Anfang desJahres gibt es eine neue „Hitliste“ unterdrückter Nachrichten

Im Jahr 2002, dem Jahr der Euro-Einführung, berichtete die tagesschau in 1,3 Prozent ihrer Beiträge über die Europäische Union. Bei allen anderen deutschen Nachrichtensendungen kam das Thema noch nicht mal über die Ein-Prozent-Hürde. Und das, obwohl mehr als die Hälfte aller Gesetze hierzulande bereits durch Brüssel bestimmt sind.

Das ist nur eines der Themen, die Peter Ludes jedesmal den Kopf schütteln lassen, wenn er es sich um acht Uhr abends vor dem Fernseher gemütlich macht. Der Sozial- und Medienwissenschaftler, seit Anfang des Jahres Professor für „mass communication“ an der International University Bremen (IUB) hat in einem wissenschaftlichen Projekt über zehn Jahre lang Nachrichtensendungen der USA mit denen aus Ost- und Westdeutschland verglichen. Aus diesem Projekt erwuchsen nicht nur Erkenntnisse über die national unterschiedlichen Themen-Traditionen (Ludes: „In Amerika können Sie ein Jahr lang fernsehen und erfahren nicht, wie viele Arbeitslose oder Obdachlose es gibt“), sondern auch der Wunsch, den Themen einmal einen Weg zu bahnen, die aus Zeitgründen, aus journalistischer Schlurigkeit oder aus Medienzwängen heraus nicht vorkommen in den tagesthemen, der Frankfurter Allgemeinen, der taz und wie sie alle heißen.

Im Gründungsjahr 1997 schaffte es die Nummer eins der Top Ten der unterdrückten Nachrichten sogar bis in die Bildzeitung. „Die Demokratie der 3,8 Prozent“, hieß der von der Jury auserkorene Gewinner. Dahinter verbirgt sich die Tatsache, dass nur knapp vier Prozent der Deutschen Parteimitglieder sind – die halbwegs hohen Posten beim Arbeitsamt, beim Zollverein, bei ARD und ZDF, kurz: bei den öffentlichen Einrichtungen, aber nach Parteibuch vergeben werden. Andere Themen widmeten sich Überwachungstechniken der USA, den Gläubigern der verschuldeten Bundesrepublik, der Rechtssprechung im Fall vergewaltigter Behinderter: Die Täter kommen hier besser weg als bei „normalen“ Vergewaltigungen. Thema Nummer eins des vergangenen Jahres: die Monopolisierung des Trinkwassers.

„Wir bekommen mehrere hundert Vorschläge pro Jahr“ berichtet Ludes. Eine Studentenklasse – früher Studierende der Medienwissenschaften in Siegen, heute der Journalistik in Dortmund – recherchiert die Vorschläge und unterbreitet der Jury schließlich zehn Themen-Vorschläge. Die Jury, ihr gehören unter anderem die Chefin der Henri-Nannen-Journalistenschule Ingrid Kolb, der Intendant des Deutschland Radio Ernst Elitz und andere Journalisten und Medienwissenschaftler an – prüft dann noch einmal die Stichhaltigkeit des Themas. Ist es wirklich nicht vorgekommen in den bundesdeutschen, allgemein zugänglichen Medien? Basiert es auf zuverlässigen, überprüfbaren Quellen? Ist es tatsächlich für einen Großteil der Bevölkerung relevant? Wenn all diese Fragen mit Ja beantwortet sind, legen die Juroren ihre „Hitliste“ fest – im Februar kommenden Jahres die für 2002.

„Es gibt natürlich immer Spezialmedien, in denen die Themen doch irgendwie vorkommen“, weiß Ludes. Ziel der Initiative sei es aber, „dass sich wenigstens zehn Prozent der Bundesbürger“ – ungefähr so viele nehmen regelmäßig überregionale Medien wahr – „in einem ähnlichen Horizont bewegen“. Alles andere, so Ludes, sei hochgradig demokratiefeindlich.

Elke Heyduck

www.nachrichtenaufklaerung.de

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