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Wo die Uhren anders laufen

Journalismus im Minenfeld (1): In Kasachstan mit seinem autokratischen Präsidenten Nasarbajew leben Kritiker gefährlich. Wie gefährlich, das erlebt Sergei Duwanow gerade am eigenen Leib

aus Taschkent PETER BÖHM

In Kasachstan ist erneut ein regierungskritischer Journalist und Oppositionspolitiker hinter Gittern gelandet. Polizeiliche Maßnahmen und tätliche Angriffe der Sicherheitskräfte gegen Journalisten sind in dem ölreichen zentralasiatischen Land keine Seltenheit, aber in dem jüngsten Fall gibt es Anzeichen, dass die Regierung so weit gegangen ist, einem Journalisten ein Gewaltverbrechen anzuhängen, das er nicht begangen hat – einen Tag bevor er in die USA fliegen sollte, um über Menschenrechte in Kasachstan zu referieren und den Journalistenpreis der New Yorker Internationalen Liga für Menschenrechte entgegenzunehmen

Am 28. Oktober wurde Sergei Duwanow in seiner Datscha in der Nähe von Almaty festgenommen und kurz darauf der Vergewaltigung einer Minderjährigen angeklagt. Einen Tag nach seiner Verhaftung begann er einen Hungerstreik und wird seit Freitag (8. November) zwangsernährt. Duwanow ist Herausgeber des wöchentlichen Bulletins der größten kasachischen Menschenrechtsorganisation und Mitglied der Oppositionspartei Republikanische Volkspartei. Er gilt als einer der prominentesten Kritiker des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew.

Nach Duwanows Darstellung kamen am Abend vor seiner Verhaftung Nachbarn zu Besuch, um seine Sauna zu benutzen. Mit ihnen kam ein Duwanow unbekanntes 14-jähriges Mädchen. Nach dem Genuss eines von den Nachbarn mitgebrachten Tees wurde er bewusstlos und erst am nächsten Morgen von Beamten des Innenministeriums geweckt – die ihm eröffneten, dass die Mutter der 14-Jährigen ihn der Vergewaltigung ihrer Tochter beschuldigt.

Duwanow war erst im Juli von der Nachfolgeorganisation des KGB, dem Nationalen Sicherheitskomitee (NSK), der „Verletzung der Würde und der Ehre des Präsidenten“ angeklagt worden, nachdem er einen Artikel über ein – inzwischen von der Regierung eingeräumtes – Schwarzkonto berichtet hatte. Der Artikel endet mit dem Appell, das bleierne System Nasarbajews nicht länger fraglos zu akzeptieren.

Und einen Tag bevor der Journalist im August auf einer Tagung der OSZE in Warschau über Pressefreiheit und Menschenrechte in Kasachstan sprechen sollte, wurde er von drei maskierten Männern im Treppenhaus seines Wohnhauses übel zugerichtet. Trotz seiner Verletzungen fuhr er nach Warschau. Außerdem wurde seine Mutter auf offener Straße überfahren, und der Fahrer flüchtete. Duwanow behauptet, die Polizei habe alles getan, um die Identität des Täters nicht bekannt werden zu lassen.

Verdächtig an der neuerlichen Anklage gegen den Journalisten ist vor allem, dass das Präsidentenamt 90 Minuten vor Duwanows Verhaftung schon ein Fax mit Tipps versendete, wie die Verantwortlichen auf einer Pressekonferenz zu dem Fall mit Fragen umgehen sollten. Kasachischen Medien liegt das Schreiben mit der Zeile des Sendezeitpunktes vor. Zuerst versuchte sich die Regierung damit zu verteidigen, dass die Uhr des Gerätes falsch eingestellt war. Regierungskritiker glauben, dass der NSK die falschen Beschuldigungen gegen Duwanow eingefädelt hat. Die Organisation untersteht direkt dem Präsidenten.

Der Fall Duwanow ist nicht das erste Mal, dass die kasachische Regierung im Verdacht steht, sich äußerst schmutziger Methoden gegen kritische Journalisten zu bedienen. Im August prügelten drei hochrangige Polizisten den prominenten Fernsehjournalisten Arthur Platonow krankenhausreif (siehe taz vom 20. August), kurz zuvor erhängte sich die Tochter der Herausgeberin einer regierungskritischen Zeitung in Polizeigewahrsam, „weil sie heroinsüchtig war“.

Das Mädchen galt als Musterschülerin und hätte am Tag nach ihrem Tod ihr Universitätsdiplom mit Auszeichnung entgegennehmen sollen.

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