: Schill in seinem Amt zurückgehalten
Deeskalation à la Hamburg: Polizeiführung verbietet ihrem eigenen Innensenator, Demonstranten zu provozieren
Hamburgs Innensenator Ronald Schill wird zum Zündler an der Elbe. Schill schwadroniert von „hoch motivierten Polizisten und couragiertem Eingreifen“ gegen „Chaoten und gewaltbereite Militante“. Deeskalation schmäht er als „Einladung zur Gewalt“. Dass er erntet, was er selbst säte, ist Schill schwer begreiflich zu machen. Seine eigene Polizeiführung zieht inzwischen die Notbremse. Als der Innensenator am Samstag eine Demo durch den Szenekiez Schanzenviertel observieren wollte, griffen die Polizeidirektoren zur Deeskalationsstrategie – sie redeten Schill aus, sich den Demonstranten persönlich entgegenzustellen. Also konnte Schill, 44, in der Innenbehörde zurückgehalten, nur mit den Füßen scharren, als seine Beamten im Kiez Putz machten.
Auslöser von Szenen, wie sie die Hansestadt seit den Hochkampfzeiten um die Hafenstraße Ende der 80er und das Autonomenzentrum „Rote Flora“ Mitte der 90er nicht mehr erlebte, war die Räumung des Bauwagenplatzes „Bambule“ vor zwei Wochen. Uniformierte Hundertschaften eskortierten BauwagenbewohnerInnen, die teils seit 15 Jahren friedlich im Schanzenviertel lebten, bis nach Niedersachsen – wie Aussätzige im Mittelalter von Schergen vor die Tore der Stadt getrieben wurden.
Der tagelange Proteststurm, den Schill damit provozierte, dürfte seinen Höhepunkt noch nicht erreicht haben. Die Vertreibung Unerwünschter könnte zum Kristallisationspunkt all jener werden, denen der Hamburger Senat der harten Hände und der sozialen Kälte nimmt, statt zu geben. Was das Ziel des Hamburger Rechtspopulisten sein dürfte. Für ihn gibt es Gut und Böse. Seine Entschlossenheit nimmt wahnhafte Züge an.
Innensenator Schill, formell Hüter der Verfassung, geriert sich nicht zum ersten Mal wie ein Sheriff. Gern läuft er mit einer Pistole im Schulterhalfter herum. Seine Leibwächter vom Landeskriminalamt fordert er zum Wettschießen heraus. Was das Präsidium der Hamburger Bürgerschaft zu der Mahnung veranlasste, das Mitführen von Waffen im Landesparlament sei unerwünscht. Schill würdigte diesen Rüffel mit keiner Silbe.
Zimperlich ist Schill nie gewesen. Bei der Suche nach Sympathisanten schon gar nicht. Da greift der Hamburger Innensenator schon mal auf den ehemaligen Polizeidirektor Heinz Krappen zurück. Der habe ihm mitgeteilt, erzählt Schill, „wieder stolz auf die Polizei“ zu sein.
Schill und Krappen sind stolz auf Gewalt. Stolz darauf, dass Polizeihundertschaften in der Nacht zu Dienstag nach einem Fußballspiel des FC St. Pauli 269 Demonstranten rund um die Reeperbahn einkesselten, sie aus Wasserwerfern beregneten und stundenlang auf Wachen in Gewahrsam hielten.
Der Amtsrichter Ronald Schill hat sich früh einen zweifelhaften Namen als „Richter Gnadenlos“ gemacht. Seit gut einem Jahr ist er Chef der Innenbehörde – und zugleich der Scharfmacher. Kein Wunder, dass er jemanden wie „Kessel-Krappen“ zum Kronzeugen adelt. Der war als Polizeichef 1986 für den „Hamburger Kessel“ verantwortlich. Hunderte Atomkraftgegner ließ er damals bis zu 14 Stunden neben dem Pauli-Stadion einpferchen. Das brachte Krappen eine Verurteilung wegen 861-facher Freiheitsberaubung ein – und Schills Hochachtung: Rechtsbrecher wie dieser sind nach seinem Geschmack. SVEN-MICHAEL VEIT
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