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Ulla Schmidt führt 1:0 gegen Rürup

Im Konsens geht der Umbau des Sozialstaats nicht. Das weiß der Vorsitzende der großen neuen Reformkommission der Bundesregierung, Bert Rürup. Sozialministerin Schmidt baut schon mal vor. 1:1 werden seine Vorschläge eh nicht umgesetzt

aus Berlin ULRIKE HERRMANN

Es war ein erstaunliches Beispiel des politischen Marketings: Da ernannte Bundessozialministerin Ulla Schmidt (SPD) gestern eine Reformkommission für die Sozialversicherungen – und schränkte gleichzeitig deren Erfolgsaussichten ein. Die Ministerin machte deutlich, dass sie „praktikable Vorschläge“ erwarte, wie das Renten- und das Gesundheitssystem umzubauen seien. Allzu radikal dürfen die erhofften „weit reichenden“ Konzepte also nicht ausfallen. Und ob sie Realität werden, wollte Schmidt auch nicht garantieren: „Ich würde nicht von einer Eins-zu-eins-Umsetzung sprechen.“

Kommissionschef Bert Rürup wiederum prognostizierte gestern illusionslos „Konflikte“ in dem neu geschaffenen Gremium. Denn Sozialreformen könnten „eigentlich nicht im Konsens abgewickelt werden“. Wie zum Trost schickte er hinterher: „Ein Konflikt ist nichts Schlimmes.“

Daher „antizipierte“ man die gängigen Interessengegensätze gleich bei der Besetzung des Gremiums, das den Titel „Kommission für die Nachhaltigkeit der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme“ trägt. Die 26 Mitglieder, die Schmidt gestern vorstellte, werden jedenfalls dafür sorgen, dass Streit aufkommt.

Da sind zum Beispiel die beiden Gewerkschaftsführer Klaus Wiesehügel und Ursula Engelen-Kefer, die Rürup als „Elemente dieser Gesellschaft“ titulierte, die „meinungsprägend“ seien. Ihnen stehen unter anderem der Unternehmersberater Roland Berger und Jürgen Husmann gegenüber, der der Hauptgeschäftsführung der Arbeitgeberverbände angehört.

Aber auch die Wünsche der Grünen mussten berücksichtigt werden. Sie hatten der Erhöhung der Rentenbeiträge auf 19,5 Prozent am Freitag nur zugestimmt, falls die Rürup-Kommission mit ihnen abgesprochen werde. „Ein Grüner – zwei Rote“, eine solche Besetzung sei nicht akzeptabel, hatte Parteichefin Claudia Roth gedroht.

Gestern nun zeigte sich die grüne Fraktionsspitze zufrieden, hatte man doch drei Gremienmitglieder durchgesetzt: die Bürokauffrau Nadine Franz und die Unternehmerin Dominique Döttling würden „die Interessen der jungen Generation vertreten“; außerdem ist die Chefin der Verbraucherzentralen, Edda Müller, Kommissionsmitglied geworden.

Da Rürup den Konflikt in seinem Gremium so explizit voraussieht, scheute er sich gestern nicht, seine umstrittenen Thesen der letzten Tage zu wiederholen. So verteidigte er die Idee, ab dem Jahre 2011 das Renteneintrittsalter jährlich um einen Monat anzuheben, bis es 2030 bei 67 Jahren liege. Denn die „Beschäftigungsannahmen“ der Rentenreform unter Riester – Rürup war damals Chefberater – seien „etwas zu optimistisch“ gewesen, daher müsse man „nachjustieren“. Übersetzt bedeutet dies, dass in Zukunft mehr Jobs fehlen als angenommen. Wie also sollen die Älteren künftig noch länger Arbeit finden? Diesen Widerspruch konnte Rürup gestern nicht recht auflösen und hoffte unpräzise auf die Hartz-Reformen für den Arbeitsmarkt.

Rürup wiederholte auch den Vorschlag, nach Schweizer Vorbild eine „Kopfprämie“ in der Krankenversicherung einzuführen. Unabhängig vom Einkommen würde jeder den gleichen Beitrag einzahlen; Rürup schätzt, dass Erwachsene gegenwärtig 200 Euro monatlich aufbringen müssten.

Ob er sich bei den anderen 17 Männern und 8 Frauen in seiner Kommission durchsetzen kann, wird man spätestens im Herbst 2003 erfahren. Dann soll der Abschlussbericht vorliegen. Rürup jedenfalls hofft darauf, „zeigen zu können, dass dieses Land reformfähig ist“. Und ehrgeizig ist er auch: „Ich strebe die 40 Prozent an“, sagte er gestern zur angepeilten Höhe der Lohnnebenkosten.

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