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Die Lage war noch nie so ernst

Wieder ein Machtwort des Kanzlers: Reißt euch zusammen, und keine Widerrede! Schon gibt’s lauten Widerspruch. In der SPD geht’s drunter und drüber

aus Berlin LUKAS WALLRAFF

Wirklich gute Tage gibt es für Gerhard Schröder seit dem Wahlsieg kaum noch. Doch gestern war ein ganz besonders schlechter. Schuld daran hatten ein Maulwurf und ein Weihnachtsmann, beide aus den eigenen Reihen.

Als Weihnachtsmann führte sich Sigmar Gabriel ein. Ausgerechnet Schröders Nachfolger als Ministerpräsident in Niedersachsen drosch in aller Öffentlichkeit auf den Kanzler ein. Er sei „ganz sicherlich nicht damit zufrieden“, was er in den letzten Wochen von der Bundesregierung und dem Parteivorsitzenden der SPD, Gerhard Schröder, erlebt habe, sagte Gabriel, in dessen Bundesland Anfang Februar gewählt wird, bei einer Buchvorstellung in Berlin. Aus der Regierungspolitik seien „Konzepte nicht deutlich geworden“, es sei nicht gelungen, „die Konsistenz“ der Reformen zu erklären, ja, leider sei der Eindruck entstanden, dass die Politik der letzten Wochen „nicht gut durchdacht“ sei.

Dann baute sich der Ministerpräsident aus Hannover vor einem Weihnachtsbaum im Foyer der Bundespressekonferenz auf und gab ein Interview nach dem anderen, in denen er dem Kanzler widersprach und bei seinem Vorschlag blieb, die Vermögensteuer wieder einzuführen. Ein Weihnachtsgeschenk für linke Wähler, aber für den Kanzler der Mitte ein Schuss in den Rücken.

Der Maulwurf hatte Schröder den Tag schon vorher versaut. Da hatte der Kanzler und Parteivorsitzende noch am Montagabend im SPD-Vorstand ausdrücklich um Geschlossenheit gebeten und alle anwesenden Genossen dringlich zur Zurückhaltung ermahnt. Was er im Moment am wenigsten brauchen könne, seien öffentliche Widerworte, weitere Berichte über internen Streit bei den Sozialdemokraten und eine Fortsetzung der Steuererhöhungsdiskussion.

Und was musste er dann am Dienstagmorgen bei der Zeitungslektüre feststellen? Einer aus der Vorstandsrunde hatte offenbar nichts Besseres zu tun, als Journalisten brühwarm über einen Streit im SPD-Vorstand und über Rücktrittsdrohungen des Kanzlers zu berichten. Das Schlimme daran: Es stimmte. Jedenfalls so ungefähr.

Der Maulwurf war nicht nur bei Bild auf Seite eins gelandet. Das hätte man noch auf eine böswillige Interpretation der Springer-Presse zurückführen können. Doch auch die Frankfurter Rundschau zitierte des Kanzlers Ausspruch aus der Vorstandssitzung: „Wer glaubt, dass er es besser machen kann, der soll es machen.“ Umso hilfloser wirkten die Dementis. SPD-Generalsekretär Olaf Scholz versicherte zunächst treuherzig: „Das, was wir heute in den Zeitungen lesen durften, hatte mit der gestrigen Vorstandssitzung nichts zu tun.“ Im ersten Ärger sprach Scholz sogar von einer „intriganten und verfälschenden Berichterstattung, der wir jetzt etwas entgegenzusetzen haben.“

Stattdessen wurde alles nur noch schlimmer. Schon die Schimpftirade des Generalsekretärs verriet die Nervosität im Umfeld des Kanzlers, schließlich galt die Rundschau bislang nicht gerade als Ausbund an intriganter Regierungsfeindlichkeit.

Dummerweise bestätigte dann ausgerechnet Superminister Wolfgang Clement indirekt das Angebot des Kanzlers, seinen Platz zu räumen. „Es hat sich aber keiner gemeldet“, berichtete Clement von der Vorstandssitzung.

Nur zwei Gerüchten widersprachen die prominenten Genossen vehement. Clement sieht sich nicht als Schröders Kronprinz („Das ist Unsinn“) und Gabriel glaubt nicht, dass er es besser machen könnte als der Kanzler („Nein“). Aber helfen? Helfen muss sich der Kanzler selbst.

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