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Architekturprofessor über Barcelona„Kalt und leer im Neubauviertel“

Aus der einstigen sozialdemokratischen Vorzeigestadt Barcelona wurde ein Luxushostel. Wohnungsdezernent Josep María Montaner will das ändern.

Das de Meurons Forum (Vordergrund) und das Neubauviertel Diagonal Mar (Hintergrund). Foto: Imago/Westend61
Interview von Klaus Englert

taz: Herr Montaner, als Architekturprofessor haben Sie die Entwicklung des „Modells Barcelona“ ausführlich untersucht. Was lief denn in den letzten Jahren schief?

Josep María Montaner: Das „Modell Barcelona“ ist verblasst, es ist zu einer Marke geworden. Nach dem Wahlsieg des Wahlbündnisses „Barcelona en Comú“ (Barcelona gemeinsam) im Juni dieses Jahres ist jetzt aber die Chance da, ein anderes Barcelona, eine sozialere und gerechtere Stadt zu schaffen. Wir streben ein partizipatives Modell der Stadt an. Dazu stehen uns die Mittel zur Verfügung. Barcelona hat die Fähigkeit, sich neu zu erfinden – ausgehend von den realen Bedürfnissen der Menschen und nicht den Amtsstuben.

Sie lehnen ja nicht gänzlich das „Modell Barcelona“ ab. In den achtziger Jahren spielte die Abkehr von der stark zentralistischen Franco-Diktatur eine große Rolle. Ebenso die Idee einer umfassenden Demokratisierung der Stadt.

Das stimmt. Die anfängliche Entwicklung war gut. Das „Modell Barcelona“ entstand in den achtziger Jahren, als sich die spanische Gesellschaft mehr und mehr demokratisierte. Damals entstanden vermehrt öffentliche Einrichtungen und Plätze. Pasqual Maragall, der 1982 Bürgermeister von Barcelona wurde, ließ sich von der Idee einer aufgeklärten, demokratischen Stadtgesellschaft leiten, die nicht im Widerspruch steht zu den privaten Kräften des Marktes. Maragall ließ private Investitionen durch öffentliche Instanzen kontrollieren, so gelang ihm ein Ausgleich zwischen privaten Investoren und städtischen Interessen.

Auf was kann eine grundlegende Erneuerung des einst weltweit gelobten „Modells Barcelona“ denn aufbauen?

Zunächst einmal: Es bleiben viele Errungenschaften ­übrig. Doch der öffentliche Stadtraum zum Beispiel, der anfangs für alle da war, wurde zusehends privatisiert. Ein negativer Wendepunkt war das Internationale Forum der Kulturen von 2004. Die Veranstaltung war ein Misserfolg, das Neubauviertel Diagonal Mar um Herzog & de Meurons Forum-Gebäude blieb kalt und leer. Barcelona wollte sich damals erneuern, doch der Versuch misslang kläglich. Die neoliberale Stadtpolitik setzte sich verstärkt in der Zeit von Bürgermeister Xavier Trias durch, der zudem dafür verantwortlich ist, dass sich die Wohnungen an der Avinguda Diagonal extrem verteuerten. Die neue Stadtregierung, der ich angehöre, wird vieles rückgängig machen und einen sozial ausgeglichenen Urbanismus einführen.

Die sichtbarste Veränderung in Barcelona lässt wohl an den extrem angestiegenen Touristenzahlen ablesen. Wird die Stadt diesen Massen noch Herr?

Sie haben recht, die Touristenmassen schnellten sprunghaft nach oben. In den letzten 10 Jahren haben sich die Zahlen vervierfacht, von 2 auf 10 Millionen Besucher. Wenn ich die Kreuzfahrtschiffe hinzuzähle, können bei jedem neuen Schiff 20.000 hinzukommen. Der neue Tourismus ist grenzenlos, konsum­orientiert, schnelllebig und oberflächlich. Hält das an, bringt er die Stadt zum Kollaps.

Bild: Roger Fonts/Ajuntament Barcelona
Im Interview: Josep María Montaner

geboren 1954, Architekt und Architekturprofessor. Wechselte im Frühjahr 2015 in die Politik. Mitglied von „Barcelona en Comú“, und unter Bürgermeisterin Ada Colau nun Wohnungsdezernent. Autor der Tageszeitung El País. Letzte Buchveröffentlichung: „La arquitectura de la vivienda colectiva. Políticas y proyectos de la ciudad contemporánea“, Barcelona 2015.

Warum?

Diese Situation hat auch zu Auswüchsen im Hotelsektor geführt. Viele Stadtviertel leiden unter dem Druck neuer Hotels. Betroffen sind historische Plätze und Straßenzüge, aber auch Fußgängerzonen, die von den Investoren bevorzugt ­werden. Es besteht die Gefahr, dass diese Stadtteile zugrunde gehen. Deswegen war es richtig, dass die Trias-Regierung ein Hotel-­Moratorium einführte, um den ­Weiterbau von Hotels vor allem in der Altstadt zu stoppen. Doch dieses Moratorium wurde aufgekündigt, was die bereits angespannte Lage weiter verschärfte.

Was können Sie jetzt tun?

In Anbetracht der schwierigen Wohnsituation diskutieren wir derzeit, einige Hotels zurückzubauen, um sie in Sozialwohnungen zu verwandeln und damit die Wohnungslage zu entspannen. Gleiches beabsichtigen wir mit den Touristenwohnungen, vorausgesetzt, wir können uns mit den Eigentümern einigen. Zusammen mit allen Beteiligten arbeiten wir an neuen Wohnungsmodellen, um den vielen Bedürftigen in unserer Stadt neuen, preiswerteren Wohnraum bieten zu können.

Als Wohnungsdezernent leiten Sie auch den „Patronato Municipal de la Vivienda“. Welche Leitlinien für eine neue Wohnungspolitik schweben Ihnen denn vor?

Auf dem Wohnungsmarkt Barcelonas haben wir circa 80.000 leer stehende Wohnungen, im Besitz von privaten Eigentümern, Immobilienfirmen oder Bankgesellschaften. Zur gleichen Zeit gibt es unter den Wohnungssuchenden 30.000 mit einer Wohnungsberechtigung. Nicht zu vergessen die Touristenwohnungen. Sie verschärfen die Wohnsituation in den Vierteln, weil zahlreiche Einheimische zum Auszug gezwungen sind. Viele Bürgerinitiativen in den barrios erheben sich gegen diese Ungerechtigkeiten. Deswegen sitzen heute nicht die großen internationalen developer am Verhandlungstisch, sondern Vertreter von Bürgerinitiativen. Die Zielsetzungen des „Patronato Municipal de la Vivienda“ sind: architektonische Qualität gewährleisten sowie Sozialwohnungen, die gut erreichbar und gut ausgestattet sind.

Um welche Größenordnung geht es da?

Uns geht es darum, in einer Stadt, in der es mehr Privatbesitz als im restlichen Spanien gibt, die Anzahl der Sozialwohnungen von 30 auf 50 Prozent zu erhöhen; zu einer Neubewertung von Grund und Boden beizutragen; die Renovierung der Bestandsgebäude voranzubringen; neue Formen des Eigentums zu begünstigen, jenseits von Grunderwerb und Miete, bis hin zu kooperativen Modellen. Persönlich denke ich an kollektive und partizipative Formen, die Autoren wie der französische Psychoanalytiker Félix ­Guattari entwickelt haben. Einige von meinen Universitätskollegen, die „Barcelona en Comú“ mitbegründeten, gehen in dieselbe Richtung. Beispielsweise Joan Subirats und Gerardo Pisarello, der Stellvertreter von Bürgermeisterin Ada Colau. Wir lassen uns von einer subjektiven, an den Menschen orientierten Stadt leiten, von einer Ökosophie, so wie sie Félix Guattari in dem Buch „Die drei Ökologien“ entwickelt hat.

Sie sagen, die neue Stadtregierung unter der Federführung von Ada Colau und „Barcelona en Comú“ wagt einen Neustart. Wie denn?

Ich plädiere für eine kritische Fortentwicklung des Modells einer sozialen Stadt. Ildefons Cerdà, der Begründer von Barcelonas moderner Stadterweiterung im 19. Jahrhundert, setzte sich immer für eine soziale und gerechte Stadtplanung ein. Das ist für uns die Leitidee. Es gilt, die Stadtplanung grundlegend zu verändern, Profite zu sozialisieren, mehr Sozialwohnungen und öffentliche Räume zu schaffen – das ist das Fundament des Urbanismus. In den letzten vier Jahren ist dieser Urbanismus zugrunde gegangen.

Sie haben kürzlich Ihr Buch „Die kollektive Wohnung“ veröffentlicht. Die soziale Verantwortung steht bei Ihnen an erster Stelle?

Vor 20 Jahren hat sich das Feld grundlegend verändert: Die globalen Finanzakteure verhalten sich zusehends rücksichtslos, wenn sie Projekte in den Stadtvierteln durchsetzen wollen. Rücksichtslos gegenüber sozialen, ökologischen und städtischen Verhältnissen. Ende der neunziger Jahre übertrug die Stadtverwaltung der amerikanischen Immobiliengesellschaft Hines die Macht, große Teile des Neubauviertels Diagonal Mar sozusagen nach Gutdünken zu gestalten. Investorenwünsche dominierten. Das war die schlimmste Phase in Barcelonas Stadtplanung.

Was passierte?

Es herrschte die Haltung vor, der beste Deal bestünde darin, ein städtisches Grundstück meistbietend zu verscherbeln. Unter der letzten Stadtregierung sind zwar einige Sozialwohnungen gebaut worden, ebenso Wohnungen für Menschen, die von Zwangsräumungen betroffen waren. Aber das reicht nicht aus. Letztlich wollen wir erreichen, dass sich die Finanzierungsbedingungen für bestimmte Wohnungsprojekte ändern und der Finanzsektor eine größere Verantwortung gegenüber der Gesellschaft übernimmt. Wir streben ein neues Stadtmodell an, das auf Teilhabe und wirkliche Einflussnahme der Bürger gründet, um eine Wohnungspolitik und eine Stadtplanung durchzusetzen, die ihren Namen verdient.

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