Architektur und Erinnerungspolitik: Der Turmbau zu Potsdam
Die Rekonstruktion der Garnisonkirche in Potsdam ist weiterhin umstritten. Kritisiert wird die starke Verbindung zur rechtsradikalen Geschichte.
Der Turmsockel steht, die Betondecke ist gegossen. Das erste Etappenziel der Rekonstruktion des Potsdamer Garnisonkirchturms ist längst erreicht. 17 Meter hoch ist er gewachsen, entgegen aller Kritik und Proteste. Auch die weltweite Coronapandemie hat daran nichts ändern können.
Jahrzehntelang haben Privatpersonen, Vereine, Politik und die evangelische Kirche auf die Rekonstruktion dieses Werks des preußischen Barock hingearbeitet. Lange sah es so aus, als würde auch noch das historische Kirchenschiff komplett nachgebaut. Dann stünde die Garnisonkirche wieder in Potsdams Mitte, als wäre zwischen 1914 und 1945 nie etwas geschehen. Doch während der Turm immer mehr zur Tatsache wird, bleibt eine darüber hinausgehende Rekonstruktion fraglich.
„Wir denken jetzt weniger intellektuell als früher,“ sagte der Historiker Paul Nolte, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Garnisonkirche, „dafür mehr visuell.“ Und begründete einst so das Bauvorhaben: „Und weil wir visuell denken, entsteht auch das Bedürfnis nach Rekonstruktionsarchitektur. Wir wollen uns an die Vergangenheit erinnern, aber nicht abstrakt. Sondern an authentischen Orten. Deshalb bauen wir wieder auf.“
Dekoriert mit Gewehren und Schwertern
Im Jahr 1730 hatte der Architekt Philipp Gerlach mit dem Bau der historischen Garnisonkirche begonnen. Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. hatte ihn damals beauftragt, eine evangelische Kirche für die Militärgemeinde zu errichten. Der 88 Meter hohe Turm wurde mit zahlreichen Reliefbildern von Gewehren und Schwertern verkleidet. Auch die Engel im Kirchenschiff trugen Soldatenhelme. Und auf der Spitze des Turms thronte neben Reichsapfel, Kanone und Kreuz der preußische Adler. Auf der Wetterfahne war zu lesen: „Nec soli cedit“, der Leitspruch des Soldatenkönigs. „Selbst der Sonne weicht er nicht“.
Die Ikonografie der Architektur war unmissverständlich: Hier sollten der preußische Staat, sein Militär und die reformierte Kirche eins sein. 2.800 Soldaten hatten auf den Holzbänken der Kirche Platz, Rückenlehnen gab es nicht. Die Krypta wurde zur Königsgruft. Nachdem der preußische Soldatenkönig hier seine letzte Ruhe fand, wurde auch Sohn Friedrich II. dort beerdigt.
Die Dresdner Frauenkirche, das Berliner Schloss oder die Potsdamer Garnisonkirche – im heutigen Deutschland wird wiederaufgebaut. „Die Rekonstruktionswelle, die wir gerade erleben, besteht vor allem aus Bauten, die sich auf die Zeit vor 1919, also auf vor der Weimarer Republik, beziehen“, stellt der Kasseler Architekturhistoriker Philipp Oswalt fest. Schlösser, Kirchen und Stadtzentren – sie fungieren identitätsstiftend.
Antidemokratische Trutzburg
Und so erleben wir derzeit, so Oswalt, „den Versuch, das deutsche Selbstverständnis zurückzuverwurzeln, jenseits von 1949, dem Entstehungsjahr des Grundgesetzes, oder jenseits von 1919, dem Beginn der Demokratie“. Ist die Rekonstruktion der Garnisonkirche dafür ein extremes Beispiel?
In der Weimarer Republik galt sie tatsächlich als antidemokratische „Trutzburg“, sagt der Historiker Matthias Grünzig. Dort „kultivierten Nationalisten, Antidemokraten und Antisemiten aller Couleur ihren Hass auf die Demokratie“. Die Garnisonkirche wurde zum Sehnsuchtsort antirepublikanischer und nationalistischer Kräfte. Der 21. März 1933, an dem Adolf Hitler gemeinsam mit Reichspräsident Hindenburg die Eröffnung des Reichstags feierte, ging als Tag von Potsdam in die Geschichte ein. Der Höhepunkt des Staatsakts, der symbolische Schulterschluss von Nazis und Preußentum, wurde in der Potsdamer Garnisonkirche zelebriert. Und in historischen Aufnahmen festgehalten, wie Hitler Hindenburg die Hand reicht und sich vor diesem verneigt.
Noch in der Bundesrepublik gründete Oberstleutnant a. D. Max Klaar 1984 die Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel. Zunächst galt es, das Garnisonglockenspiel samt seinen militaristisch-chauvinistischen Aufschriften zu rekonstruieren. Die Kirche war gegen Ende des Zweiten Weltkriegs schwer beschädigt worden und in der Bombennacht des 14. April 1945 vollständig ausgebrannt. 1968 wurde die Ruine auf Beschluss der DDR-Führung gesprengt. Auf dem Grundstück entstand ab 1971 ein modernes Rechenzentrum.
Das neue Glockenspiel wurde 1991 dann tatsächlich der Stadt Potsdam übergeben und mangels Kirche auf einer Wiese installiert. Die Traditionsgemeinschaft fing an, Spenden für die Rekonstruktion der Garnisonkirche zu sammeln. Ihr Vorsitzender Klaar war auch Vorsitzender des Verbands Deutscher Soldaten, der sich für die Amnestie und Rehabilitation Angehöriger der Wehrmacht einsetzte. Bereits die Aufstellung des Glockenspiels war umstritten, ist es doch mit revisionistischen Inschriften versehen. Neben dem Spruch „suum cuique“ („Jedem das Seine“), der am Eingang des KZ Buchenwald zu lesen ist, werden Soldatenverbände wie der Kyffhäuserbund und die schlesischen Truppen geehrt. Widmungen an die ehemaligen deutschen Ostgebiete wurden entfernt.
Klaar wurde vom Bundesverteidigungsminister schließlich als rechtsextrem eingestuft. Er überwarf sich auch mit der evangelischen Landeskirche im Streit über die spätere Nutzung der Rekonstruktion als Erinnerungs- und Lernort. Dass Frauen in der Kirche predigen dürften oder homosexuelle Paare getraut werden, lehnte er ab. „Wer eine Bußstätte zum Bekenntnis deutscher Schuld errichten will, folgt mosaischer Lehre“, schrieb er. Mosaisch benutzten die Nationalsozialisten als Synonym für jüdisch.
Der Bund unterstützt das Projekt
Man entledigte sich des rechtsradikalen Oberstleutnants und stellte sich 2004 mit der „Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche“ neu auf. Seit 2017 hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Schirmherrschaft inne. Der Bund unterstützt das Projekt mit 18 Millionen Euro. Eigentlich wollte man sich auf Spenden verlassen, doch die flossen nur spärlich.
„Für mich ist klar, dass die Rekonstruktion der Garnisonkirche extrem mit rechtsradikaler Geschichte verbunden ist“, sagt Kritiker Philipp Oswalt. So sehen es auch viele Potsdamer und versuchten mit der Initiative „Potsdam ohne Garnisonkirche“ einen Bürgerentscheid zu erwirken. Dies scheiterte an Tricks und Formalien.
Kaum eine andere Stadt hat sich nach 1989 so verändert wie Potsdam. Im Krieg zerstörte Barockbauten wurden rekonstruiert, während DDR-Gebäude systematisch abgerissen wurden. Die Rekonstruktion des Stadtschlosses wurde 2014 eingeweiht, möglich gemacht durch eine 20-Millionen-Euro-Spende von SAP-Mitbegründer Hasso Plattner. 2016 eröffnet schräg gegenüber der rekonstruierte Palast Barberini, ein Privatmuseum, das die Kunstsammlung von Plattner beherbergt.
Vertreter der Ostmoderne
Einer der letzten architektonischen Vertreter der Ostmoderne ist das Rechenzentrum, direkt neben dem rekonstruierten Kirchturm. Auch dessen Abriss bis 2023 ist beschlossene Sache. Steht der Bau doch auf dem Areal, das für die Rekonstruktion des Kirchenschiffes vorgesehen sein soll. Auch dagegen regt sich großer Protest. Das Gebäude ist heute ein wichtiges Zentrum der Potsdamer Kultur- und Kreativszene. 200 Künstler*innen sind mit ihren Ateliers darin heimisch geworden.
Die Kritiker haben auch neue Argumente. „Es gibt eine Vorentscheidung, die unter dem Deckel gehalten wurde“, sagt Oswalt. 2019 hat er gemeinsam mit 100 Intellektuellen in einem offenen Brief Änderungen in Konzept und Architektur der Garnisonkirchen-Rekonstruktion gefordert. Die Landessynode der evangelischen Kirche hatte ihre Finanzierung eines 6-Millionen-Euro-Kredits davon abhängig gemacht, dass keine historische Rekonstruktion des Kirchenschiffs erfolge. Und dies grundbuchrechtlich abgesichert.
Die Stiftung will nun darüber hinweggehen. Dabei sei „das Nebeneinander von rekonstruiertem Turm und Rechenzentrum – gerade in dieser räumlichen Enge – extrem spannungsvoll“, und erzähle viel, so Oswalt.
So ähnlich sieht das auch Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD). Er will das Rechenzentrum vor dem Abriss bewahren und ist gegen die Rekonstruktion des Kirchenschiffes. Er favorisiert ein Konzept, in das auch Potsdamer Gedenkstätten, Jugendbildungs- und Museumsstandorte einbezogen werden, um in einem neuerlichen Architekturwettbewerb bis 2022 zu einer zeitgemäßen Lösung zu gelangen.
Dem „teilweisen oder vollständigen Erhalt des Rechenzentrums“ muss aber auch die Stiftung Garnisonkirche zustimmen. Das ganze Projekt wird finanziell hauptsächlich vom Bund getragen. Und noch immer fehlen 5 Millionen Euro allein für die Fertigstellung des Turms. Aber, kann eine Stiftung gegen den Willen von Stadt und Landeskirche weiter an ihren alten Plänen festhalten? Es scheint überfällig, dass die Stiftung den Kritikern entgegenkommt.
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