Architektinnen-Ausstellung in Hamburg: Bauende Frauen
Seit 1919 können Frauen in Deutschland Architektinnen werden – und sind bis heute unterrepräsentiert. Einige stellt eine Ausstellung in Hamburg vor.
Überraschender vielleicht sind die Verhältnisse im Bereich der Architektur und des Bauwesens. Mittlerweile starten zwar mehr weibliche als männliche Erstsemester ins Architekturstudium – zum Wintersemester 2018/19 immatrikulierten sich etwa an der Technischen Universität Braunschweig 167 Studentinnen, das waren knapp 59 Prozent der Anfänger*innen. Die Quote bei den Bachelor-Abschlüssen lag 2018 ähnlich, beim Master waren es 60 Prozent Absolventinnen.
Aber: Unter den – Stand: 1. Januar 2019 – gut 48.000 freischaffenden Hochbauarchitekt*innen hierzulande machen, laut Statistik der Bundesarchitektenkammer, Frauen gerade mal 22,2 Prozent aus. Bezieht man angestellte, beamtete und baugewerblich tätige Architektinnen ein, ist es ein Drittel. Etwas besser sieht es unter den jeweils rund 3.000 freiberuflichen Stadtplaner*innen, Landschafts- und Innenarchitekt*innen aus; in der letztgenannten Fachrichtung herrscht sogar eine weibliche Majorität.
Andererseits: So richtig überraschen kann diese unterproportionale Präsenz auch nicht; weder angesichts der ausgesprochen äußerst konkurrenzbetonten, auf Selbstausbeutung setzenden und wenig familienfreundlichen Realität im operativen Geschäft – noch im historischen Rückblick, etwa auf die Möglichkeit der Ausbildung.
Wer war die erste Architektin?
1919 erhielten deutsche Frauen allgemeinen Zugang zum Hochschulstudium. Um 1900 bereits hatten zwar einige progressive Akademien, Kunstgewerbe- oder Technische Hochschulen sie aufgenommen, häufig jedoch nur als Gasthörerinnen. Als erste deutsche Architekturfakultät ebnete 1909 die Technische Hochschule Charlottenburg Studentinnen den Weg zu Prüfung und Diplom.
Eine Folge: Bis heute ist die Forschung etwas uneins, wer denn nun als allererste Architektin in Deutschland zu bezeichnen wäre. Emilie Winkelmann, die ab 1902 ein vollständiges, fünfjähriges Studium an der TH Hannover absolvierte – jedoch noch ohne Abschluss?
Oder war es doch Elisabeth von Knobelsdorff, die, nach Studien unter anderem in München, dann 1911 in Berlin den Grad des Diplomingenieurs erlangte, Note „Gut“? Beiden gemeinsam ist, dass sie im fortschrittlichen und wirtschaftlich florierenden Berlin ihre Berufstätigkeit aufnahmen: Winkelmann war ab 1907 freiberufliche „Architektin“ – der Titel unterlag damals noch keinem berufsrechtlichen Schutz – für eine großbürgerliche Klientel.
Knobelsdorff wirkte dagegen schwerpunktmäßig im öffentlichen Dienst, für den sie zusätzlich die Staatsprüfung ablegte. Vermutet werden aber einige noch frühere Pionierinnen der Profession, die zum Studium etwa auf die ETH Zürich ausgewichen waren: Dort war Frauen das Vollstudium schon im ausgehenden 19. Jahrhundert möglich.
Geschlechter-Schieflage
In Hamburg-Barmbek zumindest ist die Frage erstmal entschieden: Emilie Winkelmann ist die dienstälteste unter den Architektinnen in der Ausstellung „Frau Architekt“, die das Museum der Arbeit vom Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main übernommen hat.
Dort war die Schau im vergangenen Jahr zu sehen, und das DAM leistete parallel dazu gleich noch eine Art öffentlicher Abbitte: Unter den etwa 370 Ausstellungen, die das Haus seit seiner Eröffnung 1984 gezeigt hat, waren rund 100 monografisch – aber nur vier davon Architektinnen gewidmet. Im schon 1977 gegründeten Architekturmuseum der TU München war es bislang sogar nur eine einzige, und das im Jahr 2014, zur italienischen Architektin Lina Bo Bardi.
Wer „Frau Architekt“ in den dunklen, gestrengen Frankfurter Räumlichkeiten – Architekt: Oswald Mathias Ungers – gesehen hat, wird von der luftigen Neupräsentation in Hamburg angetan sein. Zu den ursprünglich 22 Porträts gesellen sich noch zwei Hamburgerinnen: Sibylle Kramer, aktuell verantwortlich für Teile der Neuorganisation der örtlichen historischen Museen. Und im Video erzählt Brigitte Kraft-Wiese, wie sie sich in der Baubehörde für den Erhalt der historischen Bauten im Gaswerk Hamburg-Bahrenfeld eingesetzt hat.
Eine lange Liste interessanter Frauen
Der Überblick verbleibt nicht im Historischen, selbst wenn dort die eigensinnigeren Persönlichkeiten zu finden sind. Da wäre etwa die Weimarer Republik mit einer Architektin wie Margarete Schütte-Lihotzky: Die gebürtige Wienerin und spätere Widerstandskämpferin erfand die durchrationalisierte „Frankfurter Küche“ für die dortigen Sozialbauprogramme; sie wurde etwa 10.000 Mal eingebaut.
Als die Architektin einen Kollegen aus dem Hochbauamt heiratete, musste sie wegen des „Doppelbeschäftigungsverbots“ von Ehepaaren in eine freie Honorartätigkeit wechseln. Oder Lilly Reich, von 1932 bis zu dessen Selbstauflösung im Jahr 1933 am Bauhaus Leiterin sämtlicher Werkstätten.
Zu entdecken wären jüdische Architektinnen wie Lotte Cohn oder Marie Frommer. Letztere ging aus Berlin erfolgreich ins Exil nach New York, Cohn war bereits in den 1920er-Jahren nach Palästina aufgebrochen: Sie wurde eine wichtige Architektin in Tel Aviv, beriet zudem jüdische Immigrant*innen aus Europa in der Existenzfindung. Oder die Architektinnen der DDR: Kaum jemand weiß um Iris Dullin-Grund, ab 1970 als Stadtarchitektin in Neubrandenburg für umfangreiche Neubau- und „Reko“-Maßnahmen zuständig.
Dem westdeutschen Stern war diese Karriere sichtlich suspekt: Die Illustrierte porträtierte sie 1966 als „naiv-gläubige Sozialistin“. In Westberlin konnte eine Architektin aber auch den ganz großen Skandal: Sigrid Kressmann-Zschach und der Steglitzer Kreisel stehen für einen spezifischen Filz aus Politik, Subventionen und amouröser Akquise.
Gemessen daran erscheinen die aktuellen Leistungsträgerinnen angepasst und geradezu blutleer. Sicher: Die Berlinerinnen Gesine Weinmiller und Almuth Grüntuch-Ernst sind Ordinaria an Universitäten, sie forschen, lehren, bauen, vereinbaren Familie und Karriere. Aber einzig Anna Heringer bekennt sich zur sozialpolitischen Dimension der Architektur: Ansässig in Oberbayern, arbeitet sie seit Langem an Projekten in Bangladesch, Afrika oder im ländlichen China, und das mit lokalen Handwerkern, „armen“ Materialien und Selbstbautechniken.
Dass sie, statt in der Ausstellung selbst, nur im begleitenden Videoprogramm gewürdigt wird, lässt eine Tendenz vermuten: „Frau Architekt“ ist heute, wer erfolgreich mitzuschwimmen versteht im Mainstream.
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