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Arbeitsrechtlerin über Fleischindustrie„Die Arbeitnehmer sind machtlos“

Ein Schlachtbetrieb in Schleswig-Holstein verlangt von seinen Arbeitern Verschwiegenheitsverpflichtungen und droht mit Schadensersatzforderungen.

Umstrittene Branche: Protest gegen die Fleischindustrie Foto: Daniel Bockwoldt/dpa
Gernot Knödler
Interview von Gernot Knödler

taz: Frau Brors, eine Verschwiegenheitspflicht etwa zum Gehalt, wie von der Deutschen Schlacht und Zerlegung (DSZ) in Bad Bramstedt gefordert, steht ja in vielen Arbeitsverträgen. Was ist denn daran problematisch?

Christiane Brors: Verschwiegenheitsklauseln sind üblich und auch zulässig, wenn der Arbeitgeber ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse hat. Das gilt aber nicht für das Gehalt und allgemeine Dinge, die der Arbeitnehmer im Betrieb kennenlernt. Das ist viel zu weitgehend. Mit berechtigtem Interesse sind Betriebsgeheimnisse gemeint, mit denen der Arbeitnehmer nicht zur Konkurrenz laufen darf.

Die DSZ fordert Schadenersatz, wenn die Vereinbarung gebrochen wird.

Das ist auch nicht rechtens. Die Verschwiegenheitsklausel war schon zu weit gefasst, sodass sie unwirksam ist. Dann kann sich daran auch keine Rechtsfolge knüpfen. Und eine Formulierung, dass man sich allgemein schadensersatzpflichtig machen kann, wäre ebenfalls viel zu weit gefasst. Denn der Arbeitnehmer haftet nicht für jede Fahrlässigkeit.

Warum schreiben die dann so was rein?

Dass Klauseln verwendet werden, die rechtswidrig sind, passiert schon mal im Arbeitsrecht, insbesondere vor dem Hintergrund, dass diese Vertragswerke oft nicht angegriffen werden und Arbeitnehmer nicht klagen. Benutzt werden solche Vertragswerke auch, um Arbeitnehmer einzuschüchtern.

Uni Oldenburg
Im Interview: Christiane Brors

52, Richterin a.D. ist Professorin für Arbeitsrecht an der Universität Oldenburg. Sie hat über betriebliche Interessenvertretung promoviert.

In dem Vertrag wird die Arbeitszeit mit 40 bis 50 Wochenstunden angegeben.

Es ist nicht möglich, eine solche Arbeitszeit zu vereinbaren. Die nach dem Arbeitszeitgesetz übliche Arbeitszeit von acht Stunden kann zwar verlängert werden, der Arbeitgeber muss aber in einem Ausgleichszeitraum darauf achten, dass im Schnitt die acht Stunden nicht überschritten werden. Eine regelmäßige Arbeitszeit von 50 Wochenstunden – das geht nicht.

Die DSZ sieht eine Ausbildungszeit vor, die der Arbeitnehmer bei einer Kündigung vor dem Ablauf von zwei Jahren bezahlen muss.

Nach der Klausel soll der Arbeitnehmer den Lohn der ersten beiden Monate zurückzahlen. Es ist zwar unter bestimmten Voraussetzungen möglich, den Arbeitnehmer über Rückzahlungsklauseln von Schulungskosten an den Betrieb zu binden. Hier handelt es sich jedoch um bereits verdienten Lohn, zudem im Mindestlohnbereich. Das ist ebenso eine unwirksame Klausel.

Wie kann man sich wehren?

Die Arbeitnehmer sind da relativ machtlos. Wenn sich der Arbeitnehmer weigert, mehr zu arbeiten, kann er in der Praxis unter Druck gesetzt und mit einem Rausschmiss bedroht werden. Das wird bei vielen Arbeitnehmern dazu führen, dass sie die Rechte, die sie haben, gar nicht geltend machen.

Wie würde das gehen?

Man kann die Behörden darauf hinweisen, dass die Arbeitszeit regelmäßig überschritten wird. Aber das werden sich sehr wenige Arbeitnehmer trauen, erst recht ausländische Arbeitnehmer.

Wäre die Gewerkschaft der bessere Ansprechpartner?

Man könnte sich an den Betriebsrat wenden, aber in vielen Subunternehmen der Fleischindustrie bestehen gar keine Betriebsräte. Man kann sich an die Gewerkschaft wenden, aber gerade die Arbeitnehmer aus dem Ausland bräuchten erst mal die nötigen Informationen. Die Leute, um die es hier geht, sind meist nicht in der Gewerkschaft.

Der Gesetzgeber ist in den vergangenen Jahren auf die Probleme aufmerksam geworden. Woran hapert es noch?

Der Gesetzgeber hat überlegt, Werkverträge in diesem Bereich zu verbieten. Das ist der falsche Weg. Man müsste darauf achten, dass die gesetzlichen Arbeitsbedingungen eingehalten und kontrolliert werden – am besten mit einer verpflichtenden und transparenten Arbeitszeitkontrolle, die von den Behörden überwacht wird. Dazu müsste noch ein höherer Mindestlohn kommen sowie Überstundenzuschläge.

Was müsste wer dafür tun?

Man könnte einen Tarifvertrag abschließen, der für allgemeinverbindlich erklärt wird. Damit hätte man auch Leute erfasst, die nicht in der Gewerkschaft sind. Der Gesetzgeber sollte das anstoßen. Wenn die Tarifvertragsparteien das nicht hinbekommen, müsste die Arbeitszeiterfassung im Arbeitszeitgesetz geregelt werden. Der EuGH hat Deutschland ohnehin dazu verpflichtet, eine objektive, verlässliche und zugängliche Arbeitszeiterfassung einzurichten.

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3 Kommentare

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  • Es regt mich wirklich auf, dass wir hier unseren Rassismuskampf feiern, indem wir "I can't breathe" skandieren, aber den wahren Rassismus vor unserer Tür komplett ausblenden. Wer bei uns rechtlos und in sklavenartigen Arbeitsverhältnissen schuftet, sind die rumänischen Schlachthofarbeiter und Erntehelfer. Sieht man je solche Gestalten im öffentlichen Raum, denkt man nur daran, seine Tasche festzuhalten und sich dagegen zu wappnen, dass man unangenehme Körpergerüche einatmen könnte.



    Der Blick der Menschen sagt uns, dass sie selbst nicht an ihre Rechte glauben, und daraus schließen wir, dass wir sie unfreundlich behandeln, jedenfalls keinesfalls so wie unseren lieben Nachbarn, oder vielleicht am besten gleich ganz übersehen.

    Bei der nächsten "Black lives matter"-Demo werde ich mir eine entsprechende Plakatbeschriftung ausdenken. Wenn's denn hilft.

  • Im Zusammenhang mit einer Unterlassungsklage gegen den Verdi-Gewerkschafter Özay Tarim berichtete die taz am 07.04.20 über Kötter Security:



    “(…) Das Essener Unternehmen mit seinen bundesweit 18.500 Beschäftigten gilt als gewerkschaftsfeindlich: Noch heute gebe es bei „Kötter Aviation“ Mitarbeiter*innen mit Arbeitsverträgen, in denen das Streikrecht einfach unterlaufen werde, bestätigte Gewerkschaftssekretär Tarim der taz. „Im Falle von Arbeitsmaßnahmen verpflichtet sich der Arbeitnehmer, an diesen nicht teilzunehmen“, heißt es darin. Zwar habe Kötter dies per Aushang am schwarzen Brett in Frage gestellt – doch neue Verträge gab es nicht. (…)“



    Die Unrechtmäßigkeit diese Streikverbotsklausel scheint offensichtlich - außer Verdi - niemanden zu interessieren.

  • Wenn CDU und SPD ein Problem hätten mit der Ausbeutung von Subunternehmern, dann hätten sie das Paketbotengesetz nicht auf Paketboten beschränkt, sondern generell geregelt, dass Generalunternehmen dafür haften, dass Nachunternehmen sämtliche Arbeitnehmerrechte einhalten. In allen Branchen.