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Arbeitskräftemangel in DeutschlandNeue Gräben tun sich auf

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Der Personalmangel verschärft die soziale Spaltung: Die einen können sich private Dienstleister leisten, die anderen werden unterversorgt sein.

Welche Tätigkeiten sind unverzichtbar? Protest für bessere Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen Foto: Christian Mang/imago

W enn das Chili con Carne im ICE-Bordrestaurant nur auf der Speisekarte steht, wenn es dort nichts mehr zu Essen, sondern nur noch Mineralwasser gibt, weil die Küche zu ist, „wegen Personalmangel“, wie der verbliebene Kellner erklärt, dann kann man das noch mit Humor nehmen. Das ist ja wie früher in der DDR, denkt man.

Welchen Personalmangel kann man verschmerzen, welchen nicht? Das könnte sich in Zukunft zu einer hochpolitischen Frage entwickeln. Denn Arbeitskräftemangel melden inzwischen fast alle Branchen. Am Donnerstag etwa verkündete der Industrie- und Handelskammertag, dass jeder dritte Ausbildungsbetrieb gar keine Bewerbungen auf Lehrstellen mehr erhält.

Wir werden um die Frage nicht herumkommen: Welche bezahlten Tätigkeiten sind noch am ehesten verzichtbar, was ist hingegen systemrelevant, also für die Versorgung der Bevölkerung dringend notwendig, und muss daher öffentlich gefördert werden? Unverzichtbar sind zum Beispiel Arbeitskräfte in Kitas, in Schulen, in der Pflege. Kitas und Pflegeheime verhängen Aufnahmestopps wegen Personalmangels.

Dem Arbeitskräftemangel in der sozialen und medizinischen Versorgung kann man nur begegnen durch bessere Gehälter, mehr Personal, im Zweifelsfall auch mit zusätzlichen Hilfskräften. Das erfordert womöglich auch etwas Flexibilität bei den Bildungsgängen, man kann nicht nur auf Ab­sol­ven­t:in­nen einer dreijährigen dualen Berufsausbildung hoffen. Vor allem aber kostet mehr Förderung mehr Geld.

Werden die Arbeitsbedingungen bei den öffentlichen und halböffentlichen „Systemrelevanten“ nicht verbessert und damit Personal gewonnen, tun sich künftig neue Gräben auf. Zwischen denjenigen, die auf Einrichtungen mit Unterversorgung angewiesen sind und jenen, die sich dann teurere private Dienstleistungen und Einrichtungen mit besserer Versorgung werden leisten können. Diese Gräben, die sich in anderen Ländern beobachten lassen, wären dramatischer, als wenn es mal keinen Eintopf gibt im ICE.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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13 Kommentare

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  • Die zum Arbeiten in die EU kommen wollen lässt man nicht rein und die die nicht arbeiten können oder wollen, zwingt man dazu. Verkehrte Welt.

  • Spannende Situation in einem Land mit offiziell 2,3 Millionen Arbeitslosen, einer Million in Schattenarbeitslosigkeit und weiterer Millionen in irgendwelchen prekären Bullshit-Jobs, die sofort gekündigt würden, täte sich eine anständige Arbeit auf.

    Massenarbeitslosigkeit also.

    Extrem schräg das alles.

    Pflegepersonal wäre überhaupt kein Problem, würden die Leute anständig bezahlt und stimmten die Bedingungen. Der Spiegel berichtete darüber.

    Und was ist mit den 2,1 Millionen jungen Leuten zwischen 21 und 35, die laut Berufsbildungsbericht ohne abgeschlossenen Ausbildung dastehen?

    Nun, im Moment wird gebaut was das Zeugs hält. Die hohe Zuwanderung braucht Wohnungen. Wird das so bleiben?

    Und gibt es Pläne für die kommende Wegdigitalisierung von Millionen Jobs?

    www.spiegel.de/wir...-a07a-90de90704a62

  • Warum lässt sich für diese Jobs in Deutschland denn kein Personal finden? Laut Bundesagentur für Arbeit gab es im Juni diesen Jahres 2.363.000 Arbeitslose in Deutschland. Sollte es nicht möglich sein, von diesen wenigstens einen Teil in Arbeit zu bringen?

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Stefan Schaaf:

      Im Prinzip haben Sie recht! Akademiker allerdings, die ja lange Zeit an der Uni verbracht haben, lassen sich nicht einfach zum Laubfegen in den Park abkommandieren. In der Vita darf sowas schon gar nicht erscheinen.

      Ich war auch mal arbeitslos. Ich habe ein Jobangebot bekommen und das war ein Missverständnis.



      Ansonsten hat man mir nur Steine in den Weg gelegt.



      Von aktiver Arbeitsvermittlung keine Spur.



      Die beste Arbeitsvermittlung ist, den Leuten höhere Löhne zu zahlen.

    • @Stefan Schaaf:

      Nein, denn bei den Arbeitgebetn hat sich im Kopf immer noch nicht eine wichtige Stellschraube gedreht:



      Dass Arbeitslose eben kein Abschaum sind, sondern Menschen, die Arbeit suchen! Ok, sie sind nicht unbedingt die jüngsten und schönsten Arbeitskräfte, haben eventuell auch schon Schäden erlitten in vorherigen Arbeitsverhältnissen - also körperlichen Verschleiß, Berufskrankheiten etc. - die eventuell eine Umschulung oder Neuorientierung erfordern. Anfänger mit über 40? Geht gar nicht!



      Oder vielleicht endlich doch?

  • Sollte es sich etwa rächen das die Politik auf den ach so tollen Dienstleistungssektor gesetzt hat? Nun fehlen Fachkräfte und die in die Dienstleistung abgedrängten haben nun mit den niedrigen Löhnen Probleme die aktuellen Krisen finanziell zu überstehen.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Andreas J:

      Beispiel Photovoltaik. Im Prinzip reicht ein Meister, der 5 Neulinge anlernt, nur für diesen Job. Danach können die 5 Neulinge wieder 25 Neulinge anlernen.

      Das geht aber nur, wenn die Leute anständig bezahlt werden.

      'Das gleiche Prinzip auf den Bürgerämtern. Um Personalaussweise auszugeben, muss man keine Raketenwissenschaft studiert haben.

      • @17900 (Profil gelöscht):

        Gerade in der Photovoltaik wurde eine ganze Branche politisch platt gemacht, bei der Windkraft lief es zum Schluss auch nicht mehr so. Fachkräfte wurden entlassen und mussten sich neu orientieren. Jetzt ist wieder Bedarf da und das Geheule wegen Fachkräften geht los. Das selbe bei Heizungen. Auf einmal wollen alle Wärmepumpen. Dafür muss auch erstmal genug Personal ausgebildet werden. Einem Freund von mir wurde letztes Jahr für sein Haus Gas empfohlen. Heute beißt er sich in den Arsch. Alles ändert sich zu schnell weil politisch und wirtschaftlich null Weitsicht herrscht. Da kommt auch der Arbeitsmarkt hinsichtlich Qualifikation und Verfügbarkeit nicht mit. Auch der Teil des Dienstleistungssektors der den Besserverdienenden für kleines Geld den Arsch hinterherträgt ist komplett überflüssig und bindet Arbeitskräfte.

  • Sehr geehrter Frau Dribbusch, letztlich beschreiben Sie in vorliegendem Artikel einfach nur die Folgen des Neoliberalismus, welche doch von Anfang an für jeden absehbar waren und sind.



    Insoweit schlage ich vor Ihre Frage wie folgt zu erweitern:



    Welche Aufgabenbereiche sollte - aus Sicht von uns Bürger*innen - der Staat als essentielle Bestandteile der staatlichen Daseinsfürsorge betrachten und unterhalten?



    Denn aus viel zu viel dieser Aufgabenbereiche der Daseinsfürsorge hat sich unser Staat längst verabschiedet. Und die Realität beweist, dass es eben doch NICHT der Markt regelt und schafft, hier funktionierende und bezahlbare Dienstleistung marktgerecht auf die Beine stellen zu können.



    Schon lang war und ist klar, dass Unternehmen KEIN Gewissen haben, was menschliche Empathie mit beinhaltet.



    Doch seitdem unsere Bundesrepublik sich dem Neoliberalismus verpflichtet sieht, hat auch der Staat KEIN Gewissen mehr.



    Denn Grundmaxime des Neoliberalismus ist es, dass jede:r seines Glückes Schmied ist!

    "Daher zum Teufel mit diesen Loosern, welche sich die Preise der privaten Dienstleister nicht (mehr) leisten können. Hätten sie halt in ihrem Leben mehr arbeiten und mehr Mut zum VIERT-Job haben sollen."

    Sad but true!

    ;-)

  • Nett, dass es in dem Kommentar um Kitas und Gedöns geht.



    Die Betriebe ohne Azubis sind aber sicher eher Klempner, Maurer, Zerspahner und wie sie alle heissen, bzw. hiessen. Da wird nicht nach öffentlicher Förderung gerufen. Dann regelt es der Markt. Der Kempner oder Spülmaschinentechniker kommt dann eben nicht oder für Unsummen. Das wird mindestens so schwere Auswirkungen haben, wie große Kitagruppen.



    Wer soll denn die Energiewende installieren? Der Dienstleistungssektor produziert nur indirekt.

    • @fly:

      Besser Handwerker ausbilden als Kita und Gedöns? Das ist zu kurz gedacht. Wenn wir in Kitas gut ausgebildete Pädagogen haben, dann fallen weniger Kinder durch das Leistungssieb unserer pädagogisch schlecht besetzten Schulen. Dort würden dann im geringeren Ausmass Analphabeten in die Gesellschaft entlassen, die bei keinem Handwerksbetrieb in die Lehre gehen können.

      • @Flachköpper:

        Schlecht besetzte Schulen und 50% eines Jahrgangs machen mittlerweile Abitur?



        In welchem Land leben Sie?

    • @fly:

      Das ist ein sehr relevanter Punkt.

      Ich weiß von Bekannten, die wirklich willig sind auch 30.000€ oder mehr für eine PV-Anlage zu investieren: Ja, erstmal sind keine PV-Anlagen lieferbar und selbst wenn:

      Es sind keine freien Handwerrkertermine auf absehbare Zeit zu bekommen, um sich das Ding installieren zu lassen.