piwik no script img

Arbeitsbedingungen bei LieferdienstenKonsum kann uns nicht retten

Marie Frank
Kommentar von Marie Frank

Der umstrittene Lieferdienst Gorillas könnte bald vom Markt verschwinden. Eine gute Nachricht im Kampf gegen Ausbeutung ist das jedoch nicht.

Im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen müssen alle Ar­bei­te­r*in­nen zusammenhalten Foto: Monika Skolimowska/dpa

S eit mittlerweile schon mehr als einem Jahr protestieren in Berlin regelmäßig Angestellte von Liefer-Start-ups gegen ihre schlechten Arbeitsbedingungen, allen voran die „Rider“ von Gorillas. Getan hat sich seitdem wenig, die Löhne sind immer noch niedrig, die Ausrüstung ist schlecht, und von betrieblicher Mitbestimmung kann keine Rede sein. Dennoch sieht man auf den Straßen immer noch jede Menge meist migrantische Kurier*innen, die in ihren großen Rucksäcken die Last unserer Bequemlichkeit auf dem Rücken tragen. Stellt sich die Frage: Wann hat diese moderne Form der Sklaverei endlich ein Ende?

Die gute Nachricht ist: womöglich schneller als gedacht. Ex­per­t*in­nen für Lebensmittel-Onlinehandel sind sich einig, dass der Kampf um die Straße in der Inflationskrise an Dynamik gewinnen wird. In Zeiten, in denen die Nebenkostenabrechnung zum Schreckgespenst wird und Butter so viel kostet wie eine Packung Pralinen, geht Sparen eben vor Komfort.

Dass der einstige Pionier der europäischen Lebensmittel-Lieferbranche Gorillas nun möglicherweise von seinem Konkurrenten Getir übernommen wird, weil er immer mehr Marktanteile verliert, ist dabei erst der Anfang. Ob am Ende nur ein Player übrig bleibt, die Kurierdienste von Supermarktketten geschluckt werden oder das ganze System kollabiert, das bis heute keinen Cent Profit eingefahren hat, wird sich zeigen.

Die schlechte Nachricht: Nicht die Kun­d*in­nen haben dafür gesorgt, dass rücksichtslose Aus­beu­te­r*in­nen wie Gorillas vom Markt gedrängt und für ihre schlechten Arbeitsbedingungen abgestraft werden. Schließlich ist Getir dasselbe in Lila, nur ohne Affenlogo. Die viel beschworene Macht der Kon­su­men­t*in­nen kommt an ihre natürliche Grenze: das Angebot.

Denn einen nachhaltigen Lebensmittel-Kurierdienst, der seine Ar­bei­te­r*in­nen fair bezahlt und ihre gesetzlich verbrieften Rechte respektiert, gibt es in dieser Branche schlichtweg nicht – warum auch sollte ein solches Unternehmen in dieses unprofitable Risikokapital-Segment einsteigen? Schließlich wird der Kampf um Marktanteile und In­ves­to­r*in­nen im wahrsten Sinne auf dem Rücken der Angestellten ausgetragen. Denen dürfte es am Ende egal sein, welches Unternehmen sie schlecht bezahlt.

Was bleibt also im Kampf gegen ausbeuterische Konzerne? Eine Abstimmung mit den Füßen, indem wieder alle wie früher selbst im Supermarkt einkaufen gehen? Das wäre ein Anfang, allerdings zeigt die Erfahrung, dass sich die Zeit nicht zurückdrehen lässt und es immer Kun­d*in­nen geben wird, die entgegen allen moralischen Bedenken trotzdem bei Schurken-Konzernen bestellen, wie das Beispiel Amazon zeigt. Zumal Supermärkte auch nicht immer Leuchttürme guter Arbeit sind, Union Busting gibt es schließlich auch bei Aldi.

Die Kraft der Solidarität

Klar ist, Konsum wird uns nicht retten. Nicht die Macht der Konsument*innen, sondern der Ausgebeuteten kann echte Veränderung bewirken. Statt sich den Regeln des Marktes von Angebot und Nachfrage zu unterwerfen und nach individuellen Lösungen für strukturelle Probleme zu suchen, müssen wir dem Kapitalismus die Kraft der Solidarität entgegensetzen. Heißt: Der Kampf von Ku­rie­r*in­nen für bessere Arbeitsbedingungen ist nicht allein Sache der Kurier*innen, sondern von allen Lohnarbeiter*innen.

Der Neoliberalismus hat es geschafft, die Ar­bei­te­r*in­nen zu vereinzeln, auf eine kalkulier- und vermarktbare Summe an Bedürfnissen zu reduzieren und gegeneinander auszuspielen. Es ist an der Zeit, diese Logik zu durchbrechen, Gemeinsamkeiten zu erkennen, sich gegenseitig zu unterstützen und die Forderungen nach mehr Lohn, weniger Arbeit und mehr soziale Gerechtigkeit, die Millionen Menschen einen, gemeinsam auf die Straße zu tragen. Der Preis, den wir sonst zahlen, ist sehr viel höher als die Liefergebühr für ein überteuertes Stück Butter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Marie Frank
Leiterin taz.berlin
Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Es ist nicht als Konter gegen den Artikel gemeint, ich will nur darauf hinweisen, dass viele neurodivergente Menschen als auch kranke, schüchterne, Introvertierte usw sehr gerne Lieferdienste nutzen, weil für sie der Weg in den sensorisch überlasteten Supermarkt tatsächlich eine Qual ist. Sie erfüllen also durchaus eine soziale Funktion, diese Gorillas.

  • Die Beschäftigten der Lebensmittellieferdienste sind nichts anderes als Schaukelburschen ( Anschieber von Schiffschaukeln). Keine Ausbildung und miese Bezahlung. Das Geschäftsmodell ist Ausnutzung von Notlagen zu Gunsten von Bürgern, die zu faul zum Kochen sind und sich auch mal bedienen lassen möchten. Diese Geschäftsmodelle/Startups gehören verboten und bekämpft.

  • Ich habe bislang nicht mal verstanden, wie diese Lieferdienste überhaupt funktionieren. Ruft man da an und sagt: "Bitte ein Kilogramm Äpfel, am besten die und die Sorte und bitte nicht zu große Früchte"?