Arbeitgebergesetz in der Ukraine: Neoliberale Politik mitten im Krieg

Ein neues Gesetz verschlechtert die Rechte von Arbeitnehmern in der Ukraine. Das sorgt für Kritik von Linken und Gewerkschaften.

Zwei ARBEITER IN EINER Fabrik

Ihre Rechte werden im Krieg eingeschränkt: Zwei Arbeiter in Lviv Foto: Pavlo Palamarchuk/reuters

KIEW taz | Am Donnerstag machten sie noch einen letzten Versuch, das neue Gesetz zu verhindern. Abgeordnete der Partei „Vaterland“ von Julia Timoschenko, rund um den Gewerkschafter Michajlo Wolynez, brachten einen Gesetzentwurf gegen das Inkrafttreten eines Arbeitsgesetzes auf den Weg. Ob sie Letzteres damit noch stoppen können, bleibt fraglich.

Das ukrainische Parlament hatte das Gesetz am Dienstag in zweiter Lesung verabschiedet. Es soll die Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeit­gebern bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen vereinfachen. Das Gesetz Nr. 5371, so seine Autoren, soll den Verwaltungsaufwand erleichtern. Nun können Arbeitgeber und Arbeitnehmer selbst ihre Arbeitsverträge ausformulieren, sich über Beginn und Beendigung des Arbeitsverhältnisses einigen sowie über das Vergütungssystem, die Arbeitsbedingungen, Löhne, Zulagen, Prämien, Entschädigungen, Arbeits- und Ruhezeiten.

Das neue Gesetz soll bis zum Ende des Kriegsrechts in Unternehmen mit weniger als 250 Angestellten gelten und bei Arbeitnehmern, deren Lohn das Achtfache über dem monatlichen Mindestlohn von 140 Euro liegt. Das trifft auf 70 Prozent der Unternehmen zu.

An der Ausarbeitung des Gesetzes waren ukrainische Wirtschaftsverbände, die „Union Ukrainischer Unternehmer“ und Experten des USAID-Programms „Wettbewerbsfähige Wirtschaft der Ukraine“ beteiligt, berichtet der Pressedienst der Werchowna Rada der Ukrai­ne.

Auch Privatisierungen sollen vorangetrieben werden

Vonseiten der Gewerkschaften und Linken kommt Kritik an dem Gesetz. Früh waren die Gewerkschaften aus den gemeinsamen Beratungen ausgestiegen. Sie fürchten, dass die Arbeitgeber nun ganz auf Individualverträge setzen und Kollektivverträge an Bedeutung verlieren. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit hätten die Arbeitnehmer keine gute Verhandlungsposition beim Aushandeln von Individualverträgen.

„Leider hat sich das ukrainische Parlament wieder einmal auf die Seite der Reichsten geschlagen“, kommentierte Vitali Dudin, Vorsitzender der linken „Sozialen Bewegung“ und Arbeitsrechtler, das Gesetz gegenüber der taz. Es füge sich nahtlos in die Gesamtstrategie der neoliberalen Transformation ein. Und da gehe es um eine Deregulierung des Arbeitsmarktes.

Für Dudin ist es kein Zufall, dass man sich ausgerechnet jetzt an dieses Gesetz gemacht hat, seien doch die politischen Umstände für ihre Durchsetzung gerade sehr günstig. „Das Kriegsrecht erschwert einen Widerstand gegen solche Initiativen.“ Dudin fragt sich, warum unter Kriegsrecht ein Gesetz verabschiedet wird, das nicht im Interesse der Arbeitnehmer ist.

Letztendlich könnte das Gesetz Nr. 5371 die Kollektivverträge abschaffen, diese durch Individualverträge ablösen, erklärt Jura Samojlow, Vorsitzender der Unabhängigen Gewerkschaft der Beschäftigten in Metallindustrie und Bergbau (NPGU) in Kriwij Rih.

Die ukrainischen Gewerkschaften sind in der Defensive. Der Krieg zehrt an ihnen, viele sind derzeit an der Front, ­gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit. Ungefähr 30 Prozent aller Arbeiter haben seit dem 24. Februar ihren Job verloren, zitierte am Dienstag das Portal strana.news Timfej Milowanow, Präsident der Kiewer Schule für Wirtschaft.

Unterdessen erklärte Pre­mier­minister Denys Schmyhal, es sei nun an der Zeit, die Privatisierung von Staatseigentum zu erleichtern. Ein entsprechender Gesetzesentwurf zur Be­schleunigung der Privatisierung sei schon ausgearbeitet, zitiert „ukrinform“ den Premier.

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