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Auf den olympischen Baustellen in Paris werden Ar­bei­te­r*in­nen ausgebeutet Foto: Florian Poitout/imago

Arbeiter auf Olympia-Baustellen in ParisEin Stück Plastik für ihre Rechte

Für die Olympischen Spiele im Sommer baut Paris neue Stadien. Viele Migranten arbeiten dort ohne Papiere. Doch sie wollen raus aus der Illegalität.

Von Lea Fauth aus Paris

E igentlich sollte es ein Pressetermin im kleinen Kreis werden, kein großes Ding: Die Eröffnung der Adidas Arena, einer Art Mehrzweckhalle für Sport-Events und Konzerte, eigens für die Olympischen Spiele im Norden von Paris errichtet.

„Guckt sie euch an, sie tragen Anzüge und Krawatten“, ruft ein junger Mann mit erhobenen Armen und deutet abwechselnd auf die Gäste am Eingang und das Gebäude. „Die können hier eine Besichtigung machen, aber wir, wir haben das hier aufgebaut!“ Wenige Meter neben ihm steht eine Gruppe von etwa 30 Menschen mit Bannern. „Keine Papiere? Keine Olympischen Spiele!“, skandieren sie. So kann man es auf einem Video vom 11. Februar sehen. Ein Stück Papier, beziehungsweise ein Stück Plastik – darum geht es hier.

Denn viele Bau­ar­bei­te­r*in­nen auf den olympischen Baustellen haben keinen legalen Aufenthaltsstatus in Frankreich. Sie nennen sich „Papierlose“ und haben in diesem Zustand kaum Rechte.

„Vergesst nicht, dass wir hier jahrelang ausgebeutet wurden“, ruft der Mann weiter. „Deshalb sind wir hier! Und wir gehen nicht weg.“ Peinlich berührt über diesen unerwarteten Auftritt lassen die Verantwortlichen der Adidas Arena Gitter aufstellen, um den Mini-Mob wenigstens vom Eingang fernzuhalten, durch den ja jetzt die Prominenz laufen soll: unter anderem die Bürgermeisterin Anne Hidalgo, der Adidas-CEO von Europa, der Präsident von Paris Basketball, Pressevertreter.

Bauen für Olympia

„Papierlose“ nennen sich in Frankreich diejenigen, die keinen legalen Aufenthaltsstatus haben, denen also die entsprechenden Papiere fehlen.

Gilets Noirs Die „Schwarz­westen“ sind eine Bewegung, die sich im November 2018 parallel zu der Bewegung der ­sogenannten Gelbwesten – ­Gilets Jaunes – gebildet hat. Hauptsächlich Papierlose sind hier organisiert, um für ihre Rechte zu kämpfen. Aufsehen erregte vor allem ihre Besetzung des Pariser Mausoleums „Panthéon“ 2019.

Die Adidas Arena heißt auch Arena II und wurde für die Austragung der Olympischen Spiele 2024 im Norden von Paris gebaut; die Arbeiten dauerten gut vier Jahre. Während der Spiele sollen in der Arena Wettkämpfe in Badminton und Turnsport ausgetragen werden. Später soll sie als Basketball-Stadion und für Konzerte dienen.

Bouygues ist ein milliardenschwerer Konzern, der sein Geld mit Immobilien, Bauaufträgen, Telekommunikation und Medien macht und in über 80 Ländern auf der Welt agiert. 2022 wurde Bouygues samt mehreren Tochterfirmen wegen Betrugs und Korruption von der Weltbank sanktioniert. Das Unternehmen wurde von Paris mit dem Bau der Arena II beauftragt. Lea Fauth

Doch die De­mons­tran­t*in­nen wollen sich nicht fernhalten lassen, drängen mit ihren großen Transparenten nach vorne, umrunden die noch nicht ganz aufgestellten Gitter und postieren sich noch näher an den Eingang. Die Störung der Eröffnung ist Teil eines seit Monaten andauernden, hartnäckigen Kampfes der Ar­bei­te­r*in­nen für ihre Rechte, dessen Ausgang noch wegweisend sein könnte.

Makha Diaby war bei der Protestaktion am 11. Februar dabei. Er hat mit eigenen Händen die Adidas Arena mit aufgebaut, hat dort bis Juli 2023 Schleif- und Malerarbeiten verrichtet. Der milliardenschwere Mega-Konzern Bouygues, ein Bau- und Telekommunikationsunternehmen, beauftragte für den Bau des Stadions mehrere Subunternehmen, die wiederum Menschen ohne Aufenthaltsstatus mit falschen Papieren auf der Baustelle arbeiten lassen. Makha Diaby ist einer von ihnen.

„Wir haben kaum Ausrüstung bekommen. Handschuhe, Kleidung, Schuhe… Das mussten wir alles selbst kaufen“, erzählt Diaby der taz. Obwohl man auf der Baustelle Sicherheitsschuhe benötige, kämen viele in günstigen, selbst gekauften Sneakers. Niemand kontrolliere das. Bei den Klebe- und Malerarbeiten, erklärt Diaby, brauche es wegen der giftigen Gase Masken. Die hätten sie zwar manchmal erhalten, aber: „Wir sollten so eine Maske drei Tage in Folge benutzen, obwohl man eigentlich jeden Tag eine neue braucht. Manchmal sagen sie auch: Nehmt halt ein Taschentuch.“ Einzig den Schutzhelm habe man verlässlich zur Verfügung gestellt bekommen.

Wir haben kaum Ausrüstung bekommen. Handschuhe, Kleidung, Schuhe … Das mussten wir alles selbst kaufen

Makha Diaby, Maler

Diabys Job ist keine informelle Arbeit im eigentlichen Sinne – sondern ein verbreitetes, im Stillen geduldetes System: „Unter Alias arbeiten“, nennt sich das. Es funktioniert so: Diaby hat einen Bekannten, nennen wir ihn X, der mit legalem Aufenthaltsstatus in Frankreich lebt. Diaby meldet sich auf der Baustelle mit dem Namen seines Bekannten X, erhält Lohnabrechnungen auf dessen Namen, und auch sein Gehalt geht auf das Konto von X. Dass Diaby gar nicht dieser X ist, sei ein offenes Geheimnis, interessiere die Unternehmen aber offenbar nicht, erzählt Diaby. So machten es viele Bauarbeiter*innen. Und da viele in ähnlicher Notlage wie Diaby sind, kommt es manchmal vor, dass X seinen Namen noch einem weiteren „papierlosen“ Bekannten leiht.

Sans Papiers demonstrieren in Paris dafür, Arbeitspapiere zu bekommen Foto: Lea Fauth

Es ist schwer vorstellbar, dass die Behörden von derartigen Fällen nichts mitbekommen: Wenn drei Menschen auf die Papiere von X Vollzeit arbeiten, arbeitet X – den Papieren zufolge – 24 Stunden am Tag. Der Staat spart damit Geld: Die drei Gehälter, die bei X eingehen, werden versteuert. Alle drei zahlen also ins System ein. Anspruch auf Krankenkasse, Arbeitslosenhilfe oder Rente hat aber nur einer von ihnen, nämlich X.

In einem solchen System können sich die Beschäftigten aus dieser unfreiwilligen Illegalität heraus nur sehr schlecht gegen niedrige Löhne und Regelbrüche wehren. Diaby sagt: Nach dieser Besteuerung durch die Lohnabrechnung von X blieben 50 bis 60 Euro am Tag übrig. An einem 8-Stunden-Tag sind das etwa 7 Euro die Stunde, was deutlich unter dem französischen Netto-Mindestlohn von 9,22 Euro liegt.

Die Olympischen Spiele sollen 2024 ein Glanz für Frankreich und seine Hauptstadt sein. Ein Aushängeschild. „Wir sind gerade dabei, das Abenteuer des Jahrhunderts zu erleben“, schwärmte Präsident Emmanuel Macron bei der Eröffnung des Olympischen Dorfs am 29. Februar, das ein paar Kilometer weiter nördlich von der Adidas Arena liegt.

Doch hinter den Kulissen glänzt nichts. „Es gab immer so viel Kritik an Katar, als dort die WM stattfand“, sagt ein anderer Bauarbeiter der taz. Er heißt Mody Diawara. „Aber auch hier gibt es Probleme.“ Der 38-jährige Malier ist bei einem anderen Megaprojekt tätig: dem Ausbau der Metrolinie 14. Eine selbstfahrende Metro, die den Flughafen Orly mit dem Pariser Stadtzentrum verbinden soll – in nur 14 Minuten statt wie bisher etwa einer Stunde. Damit alles noch schneller und unkomplizierter für den internationalen Besuch läuft.

Für Diawara selbst läuft es dafür umso komplizierter. „Ich lebe und arbeite seit sechs Jahren in Frankreich“, erzählt er, „und hatte trotz harter physischer Arbeit noch nie Urlaub.“ Mody Diawara ist aus Mali gekommen, weil dort Krieg herrscht und sein Geschäft zerstört wurde. Obwohl die französische Armee selbst in Mali im Einsatz ist, hat Diawara in Frankreich kein Asyl erhalten.

Hier in Paris ist Diawara in mehreren Kollektiven organisiert. Bei den „Sans Papiers de Montreuil“, aber seit 2019 auch bei den Gilets Noirs, den „Schwarzwesten“. Der Name ist eine Referenz auf die Bewegung der „Gelbwesten“, die 2018 Autobahnen blockierten und über Monate Massenproteste gegen soziale Ungerechtigkeit organisierten. Die Gilets Noirs dagegen sind ein Zusammenschluss aus vornehmlich eingewanderten Menschen, die meisten ohne Papiere, sowie ihren Unterstützer*innen.

Für die Gilets Noirs ist klar: Der Glanz rund um Olympia ist auch ein Hebel für den Kampf der Bauarbeiter*innen. Politik und Unternehmen reagieren sensibler auf Druck, weil sie die Olympischen Spiele möglichst störungsfrei über die Bühne bringen wollen. Weil sie sich keine Verspätungen mit dem Bau von olympischen Projekten leisten können.

Wir hatten Angst, die Leute anzusprechen, weil wir nicht allen vertraut haben

Makha Diaby, Maler

Die Idee: Gerade jetzt ist der Moment, für so viele Angestellte wie möglich eine Legalisierung des Aufenthaltsstatus zu fordern. Die Baustelle der Adidas Arena wird zum Ort des Protests auserkoren. Hier soll gestreikt und besetzt, hier sollen für die Belegschaft flächendeckend legale Papiere erkämpft werden. Zu dieser Idee kommt es im Sommer 2023. Ein Marathon der Mobilisierung von unten hat seitdem seinen Lauf genommen.

An der Adidas Arena haben Menschen ohne Papiere mitgebaut Foto: Tomas Stevens/imago

Mody Diawara und Makha Diaby erzählen der taz unabhängig voneinander von dieser Zeit. Als Maler in der Adidas Arena und ebenfalls Mitglied der Gilets Noirs hat Makha Diaby eine Schlüsselposition. Er und ein weiterer Mitstreiter haben den besten Zugang, um die insgesamt 27 Kol­le­g*in­nen auf der Arena-Baustelle für den Protest zu gewinnen. Aber: „Selbst auf der Baustelle hatten wir Angst, die Leute anzusprechen, weil wir nicht allen vertraut haben. Ich wusste ja nicht, ob jemand hinter meinem Rücken dem Chef erzählen würde: Der da plant gerade einen Aufstand gegen dich. Das hätte sehr schlecht ausgehen können.“

Wer als Papierloser seinen Job verliert, steht mit völlig leeren Händen da – ohne jegliche Absicherung. Ein Jobverlust kann im Nu zu Obdachlosigkeit oder gar zu Abschiebung führen. Deshalb wird Makha Diabys wirklicher Name in der taz nicht genannt. Auch sein Herkunftsland in Westafrika wird hier aus Sicherheitsgründen geheim gehalten. Trotz der bedrohlichen Lage nimmt Dia­by für die Mobilisierung seinen ganzen Mut zusammen, spricht mit Kolleg*innen. Die Resonanz bleibt aber erst einmal verhalten. Anfangs wollten sich nicht alle am Protest beteiligen. Diaby konnte nur wenige Ar­bei­te­r*in­nen auf seiner Baustelle überzeugen. „Viele hatten einfach Angst.“

Mody Diawara bestätigt: „Wir haben alle Angst, wir Papierlosen. Ständig.“ Allein die Gefahr einer Abschiebung lasse niemandem Ruhe. Im Sommer und Herbst 2023 ist Mody Diawara auf zahlreichen anderen Baustellen außerhalb der Adidas Arena unterwegs, geht zu gleichgesinnten Organisationen, schafft Vernetzung. Eingewanderte mit und ohne Papiere sollen sich an der Besetzung der Baustelle beteiligen, um den Druck zu erhöhen.

Auch ein paar gebürtige Fran­zö­s*in­nen werden kommen – doch worum es hier geht, ist klar: Dies ist eine Selbstermächtigung der Papierlosen. „Um sie zu überzeugen, bei diesem Streik mitzumachen, habe ich versucht, sie zu bestärken, und gesagt: Es ist unser Recht zu streiken, auch ohne Aufenthaltsstatus. Es ist unser Recht.“

Die Vernetzungstreffen sind eine logistische Herausforderung: Jeder Diskussionsbeitrag muss in mehrere Sprachen übersetzt werden, da nicht alle Teil­neh­me­r*in­nen Französisch beherrschen. Die CSP – Koordination der Papierlosen –, aber auch Gewerkschaften nehmen teil. Ein Tag wird festgelegt: der 17. Oktober 2023.

Als der Tag gekommen ist, sind die Be­set­ze­r*in­nen ab sechs Uhr morgens auf der Baustelle, erzählt Mody Diawara. „Wir waren mehr als 150 Leute!“ Das Sicher­heits­personal ist gegen die Menge machtlos. Die Be­set­ze­r*in­nen versperren den Zugang zur Baustelle – so kann die Firma nicht überprüfen, wer genau von den Angestellten am Streik teilnimmt.

Um 9 Uhr treffen schließlich eine Reihe von Verantwortlichen ein: ein Vertreter des Mega-Konzern Bouygues, ein Vertreter der drei Subunternehmen, sowie ein Vertreter der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Dass sie noch am selben Morgen zum Gespräch kommen, verdeutlicht, unter welchem Druck Konzernvertreter und Politik stehen, wenn es um die Olympischen Spiele geht. In anderen Situationen wäre womöglich eine gewaltsame Räumung durch die Polizei angeordnet worden.

Olympia-Baustelle in Paris: die Adidas Arena von innen Foto: Lea Fauth

Die Be­set­ze­r*in­nen der Baustelle schicken Ver­tre­te­r*in­nen der verschiedenen Kollektive nach vorne. Mody Diawara geht als Delegierter des Kollektivs der „Papierlosen von Montreuil“ mit in die Verhandlung. „Die haben alles versucht, sie haben versucht uns auszutricksen, uns zu zerquetschen“, erzählt er. Doch das Protestbündnis bleibt hart. „Wir haben denen klargemacht: Wir gehen hier nicht weg“, erzählt Diawara.

Die Verhandlungen dauern Stunden. Es werden Pausen gemacht, Dinge rückgesprochen, Gespräche wieder aufgenommen. Gegen 17 Uhr erhöhen die Demonstrierenden den Druck. Unterstützer*innen, die bis jetzt bei der Arbeit waren, kommen vorbei. Auch auf Social Media wurde mobilisiert. Es wird voller auf der Baustelle der Adidas Arena. So schildern es Diwara und Diaby, und so kann man es auf Bildern sehen.

Die Forderung an die Stadt und die Unternehmen: eine sofortige Legalisierung aller papierlosen Angestellten, die auf der Adidas-Arena-Baustelle arbeiten und gearbeitet haben. Tatsächlich liegt dies nicht nur in den Händen der Stadt, sondern auch der Arbeitgeber, die den Angestellten dafür entsprechende Unterlagen aushändigen müssen.

Die Kollektive fordern außerdem: Alle, die in den vergangenen drei Monaten ihre Arbeit auf der Baustelle beendet haben oder in den kommenden drei Monaten beenden werden, müssen ebenfalls legalisiert werden. Nur so sind sie sicher, dass eine Einigung nicht mit Kündigungen umgangen wird. „Wir haben gesagt: Entweder ihr akzeptiert, oder wir bleiben hier“, erzählt Mody Diawara. Die Androhung eines Sit-in über Nacht habe den Geschäftsmännern Angst gemacht. Wenig wäre wohl peinlicher als ein unfertiges Stadion zu Beginn der Spiele Ende Juli.

14 Stunden nach Beginn der Besetzung, gegen 20 Uhr, willigen Rathaus und Arbeitgeber ein – und unterschreiben eine Einigung. Ein Papier gegen die Papierlosigkeit. Es ist ein ermutigender Sieg. „Am Anfang haben nur fünf, sechs Leute von der Baustelle aktiv beim Streik mitmachen wollen“, berichtet Diaby, der als Maler zu denjenigen gehört, die bald ihre Papiere erhalten sollen. „Nach dieser Aktion waren wir mindestens zwanzig.“

Doch der Kampf wird noch weitergehen müssen. Makha Diaby erhält von seinem Arbeitgeber alle Unterlagen, die er zur Legalisierung in Frankreich braucht. Mitte Februar ist er allerdings immer noch papierlos. Seit Monaten bekommen weder er noch seine Mit­stei­te­r*in­nen einen Termin bei der zuständigen Polizeipräfektur, um den Prozess abzuschließen. Die Betroffenen unterstellen bewusste Schikane. Im Dezember besetzen sie die Baustelle erneut. Am 11. Februar dann die Störaktion bei der Eröffnungsfeier der Adidas Arena.

Weil auch das nichts bringt, demonstrieren sie rund zwei Wochen später vor dem Gebäude der zuständigen Polizeipräfektur. Die wiederum gibt sich gegenüber über taz schweigsam. Erst nach mehrmaliger Nachfrage, warum die Männer noch nicht wie versprochen ihre Papiere bekommen haben, heißt es, man „wisse nicht, ob es darauf eine Antwort gebe“. Man habe dazu „keine weiteren Informationen“.

Die Papierlosen und ihre Un­ter­stüt­ze­r*in­nen lassen derweil nicht locker. An einem Nachmittag Mitte Februar trifft Mody Diawara am Platz der Republik in Paris ein und begrüßt dort per herzlichen Handschlag seine Mitstreiter*innen. Jeden Freitagnachmittag trifft sich hier das Kollektiv „Koordination der Papierlosen“ (CSP) – seit Jahren schon. Das wöchentliche Treffen dient der Vernetzung, dem Austausch, dem Kennenlernen von Gleichgesinnten, Menschen, die neu in Frankreich sind und ihre Rechte nicht kennen. Man steht in kleinen Grüppchen und redet, berät, bringt sich auf den neuesten Stand, fragt sich, wie es geht.

Manche von ihnen haben nach vielen Jahren in Frankreich mittlerweile einen legalen Aufenthaltsstatus, wie zum Beispiel Mari-Am Sidibé. „Ich komme hierher, um weiter zu unterstützen“, sagt sie der taz. Demnächst reist sie nach Rouen, um dort weitere Papierlose zu beraten, wie sie sich in einem Kollektiv organisieren können. Diawara erzählt den Mit­strei­te­r*in­nen von den Gilets Noirs, vom Stand des Kampfes rund um die Adidas Arena. Wie jeden Freitag rufen die etwa 50 Menschen zu einer kleinen Demonstration für ihre Einbürgerung auf.

Indessen steht die Hülle der Adidas Arena. Innen werden die Bauarbeiten von anderen Ar­bei­te­r*in­nen fortgeführt. Haben sie bessere Arbeitsbedingungen als Diaby und seine Mitstreiter*innen? Die taz trifft einige der Beschäftigten, als sie durch einen Gang von ihren Wohncontainern auf die Baustelle kommen. Auf die Bedingungen angesprochen, sagt einer von ihnen knapp, es sei „hart“ und dass er von sechs Uhr morgens bis spät bleiben müsse.

Doch die meisten wollen nichts sagen: Aufpasser laufen herum, von denen einer dann auch mit etwas allzu aufgesetzter Höflichkeit zu verstehen gibt, dass Jour­na­lis­t*in­nen hier nicht erwünscht sind. Lieber mit Termin, damit man vorbereitet sei, schiebt der Mann mit gezwungenem Lächeln hinterher. Es sei eben alles noch nicht fertig, wie man sieht, die Fotos lieber löschen, und wenn Sie dann bitte … man begleite dann jetzt auch gerne bis zum Ausgang, sehr erfreut, auf Wiedersehen.

Draußen rauscht der Verkehr. Brücken, breite Straßen und Schienen überkreuzen sich in einem vielarmigen Geflecht. An der Metrostation Porte de la Chapelle im Norden von Paris verläuft auch der „Périph“, der Autobahnring, der Paris wie eine Grenze umrundet: innen die Stadt, außen die „Banlieues“, die Vorstädte.

Ein Obdachloser liegt mit nach hinten übergekipptem Oberkörper mitten auf dem Bürgersteig vor einem Zebrastreifen. Um ihn herum sind kleine Habseligkeiten zerstreut, die in ihrer Anordnung die Richtung eines Sturzes nachzeichnen. Beim Überqueren der Straße weichen die eilenden Fuß­gän­ge­r*in­nen ihm und den Gegenständen wie bei einem Slalom aus.

In den Fastfoodläden und Bäckereien sind die Preise für Pariser Verhältnisse sehr günstig. Nach Glamour und Gentrifizierung sieht es hier nicht aus. Noch nicht. Die Politik will dieses Viertel für das internationale Publikum aufpolieren, das im Sommer – am 26. Juli wird die Eröffnungsfeier sein – aus aller Welt zu den Spielen nach Paris kommen wird.

Ein paar Schritte weiter klaffen deshalb aufgerissene Bürgersteige und Straßen. Die bisherige brüchige Teerfläche soll durch glattes Pflaster ersetzt und mit üppigen Grünflächen versehen werden. Ein „Vorher-nachher“-Schild zeigt, wie idyllisch es in Zukunft hier aussehen soll. Viele der Bauarbeiter*innen, die hier für diese Idylle bohren, hämmern, schleppen und tragen, sind schwarz. Ob auch sie eingewandert und papierlos sind, ist nicht feststellbar. Wie in der Arena laufen hier Aufpasser herum, es lässt sich kein Gespräch führen.

Mody Diawara, seit sechs Jahren im Bauwesen tätig, sagt: Auf allen Baustellen gebe es einen Anteil an Papierlosen. Zahlenmäßig überprüfen lässt sich das nicht. Doch es drängt sich der Verdacht auf: Die prachtvollen olympischen Bauten und die Infrastruktur rundherum werden häufig von Menschen errichtet, denen kein Asyl, keine Rechte und keine faire Bezahlung gewährt werden. Die 27 von der Adidas Arena, die auf ihre Legalisierung warten, sind nur ein winziger Teil eines vermutlich riesigen Ausbeutungsmechanismus. Sie wissen nur eins: dass sie nicht lockerlassen werden.

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1 Kommentar

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Das sieht man wieder: die Ausbeutung von Migranten ist super fürs Kapital:



    -Die Angst vor der Abschiebung kann sehr effizinient ausgenutzt werden



    -Spaltung der Arbeiterschaft



    -Migranten kennen sich selten mit Arbeitsgesetzen aus



    => Infolgedessen Lohndrücken und Ausweitung prekärer Verhältnisse



    Es gab mal einen super Artikel aus der SZ übrigens:



    'Und dann gibt es noch Oskar Lafontaine. In einem Interview, das der Pate der Linkspartei kürzlich derWeltgab, zitiert er den britischen Sozialwissenschaftler Colin Crouch zustimmend mit der Feststellung, "dass der Ruf nach offenen Grenzen eine zentrale Forderung des Neoliberalismus" sei, also mitnichten links. Der "freizügige Personenverkehr" liege ebenso im Unternehmer-Interesse wie der grenzenlose Kapitalverkehr und derFreihandel.

    Historisch ist die Forderung nach offenen Grenzen nicht nur neoliberal, sie ist einfach liberal. Der Linken war sie sehr lange sehr fremd. Im bürgerlichen 19. Jahrhundert waren die Grenzen zwischen den Staaten relativ leicht zu überqueren. Und das war für die Arbeiterbewegung ein Problem. Um einen Eindruck davon zu bekommen, muss man nur das Kommunistische Manifest lesen. "Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet", heißt es da.'

    www.sueddeutsche.d...ffenheit-1.3381764

    Neulich auf Arte: Ausbeutung von Arbeiterinnen aus Osteuropa



    youtu.be/adaUNl23cec?feature=shared