Arbeit in Serie: Lifecoach: „Ich will die Arbeit verändern“
Julia S.* coacht Führungskräfte und Menschen, die in einer Jobkrise stecken. Sie findet, die Menschen müssen wieder mehr auf sich selbst schauen.
Der Arbeitsort
Julia S. arbeitet viel zu Hause an ihrem Schreibtisch, im Terrassenzimmer. Gerade hat sie sich außerdem in einem kleinen Co-Working-Space eingemietet, der auch über einen Coaching-Raum verfügt. Dort gefällt es ihr sehr gut, weil da „ähnliche Wichtigkeiten und Werte herrschen“. Wenn Julia S. mit Unternehmen arbeitet, dann meist vor Ort.
Der Mensch
Mit unserer „Arbeit in Serie“ werfen wir alle zwei Wochen Schlaglichter auf die Berliner Arbeitswelt, auf spannende Tendenzen und bedenkliche Phänomene. MehrfachjobberInnen, moderne ArbeitssklavInnen, ArmutsrentnerInnen: Wir schauen dahin, wo es wehtut. Aber auch dahin, wo die Berliner Wirtschaft boomt: Immobilienbranche, Unterhaltungsindustrie, Digitale Transformation. Wir stellen Fragen nach Wertschätzung und Perspektiven. Wir sprechen mit Menschen, die typisch sind für Entwicklungen und doch auch ihre ganz eigene Geschichte erzählen. Alle Folgen unter taz.de/arbeitinserie. (taz)
Julia S. ist eine sehr präsente, zugewandte, offene und neugierige Person. Sie hört mit großen Augen zu und lässt ihr Gegenüber stets aussprechen. Die gut strukturierten Schilderungen ihres Arbeitsalltags beginnen stets beim Wesentlichen und enden mit Beispielen zur Verdeutlichung. Sie sieht nicht aus wie eine strenge Businessfrau und sagt, es sei ihr wichtig, immer sie selbst und nicht verkleidet zu sein. Heute trägt sie ihr schulterlanges, braunes Haar offen, eine kurze Jeans und ein tomatenrotes Shirt, dazu silberne Sandalen. Der schnittige Fahrradhelm liegt neben ihr auf dem Tisch.
Die Zahlen Es gibt wenige Zahlen über die regionale Entwicklung des Berufes Coach, aber die Datenbanken liefern erste Anhaltspunkte. So spuckt beispielsweise die Webseite www.coach-datenbank.de in Frankfurt am Main mit 135 Coaches die meisten Suchergebnisse aus, in Berlin haben sich 95 Coaches registriert, in München 72 und in Hamburg 52. Insgesamt sind laut der Webseite von Coach und Buchautor Christopher Rauen 8.000 Coaches in Deutschland tätig, Tendenz steigend.
Die Branche wächst jährlich um zehn Prozent, so die Marburger Coaching-Studie 2016/17, die an der Philipps Universität Marburg erstellt wird. Das Durchschnittsalter der Coaches beträgt 52 Jahre, es gibt etwa so viele weibliche wie männliche Coachs. (taz)
Wie alles begann
1999 bis 2006 BWL-Studium mit viel Arbeit nebenbei. Dann Jobs in Personalabteilungen von Unternehmen, oft im Hightech-Bereich, seit 2012 in Berlin. Ihr Schwerpunkt war die Unterstützung von Führungskräften, die oft viel Beratung brauchten. Aus diesem Job und der „Begeisterung für die zwischenmenschliche Arbeit“ heraus entstand der Wunsch, eine Coaching-Ausbildung zu machen. Erste kunstorientierte Coaching-Ausbildung in Hamburg 2011, zweite Ausbildung in Berlin 2014, Yoga-Ausbildung 2017, „um einen ganzheitlichen Aspekt hineinzubringen, aber auch um festzustellen, dass die Menschen vor 5.000 Jahren Dinge wussten, die wir uns jetzt wieder mühsam erarbeiten müssen“, lacht sie. Dann weiter Arbeit in Personalabteilungen und Coaching nur nebenberuflich, schließlich letztes Jahr der Entschluss, Anfang 2019 eine eigene Coaching-Firma zum Schwerpunkt Arbeit aufzumachen. „Die Menschen suchen immer mehr Zufriedenheit im Arbeitsleben und nehmen sich deshalb Beratung, um sich begleiten zu lassen.“
Der Arbeitsalltag
Seither coacht Julia S. Firmen, in denen Führungskräfte Probleme mit ihrer Rolle haben oder sich einfach weiterentwickeln möchten, um ihren Alltag besser zu leben und den Job mehr zu genießen. Oft kommen sie mit dem Problem, dass ihre Ziele nicht erreicht werden. Sie verstehen nicht, warum das so ist und haben daher das Gefühl, sie werden nicht akzeptiert. Da geht es dann darum, dass sie lernen müssen, die anderen abzuholen, wertschätzend, aber auch klar zu sein. Oder auch Dinge zu kommunizieren, die sie für selbstverständlich gehalten haben.
Sie coacht aber auch viel Privatpersonen, die beispielsweise gerade in der Jobkrise stecken. Oft fehle Anerkennung, sagt sie, oder es funktioniere nicht mit dem Chef oder dem Team. Oder es sind Leute, die im Job festhängen, nicht raus kommen oder nicht wissen, ob sie überhaupt raus kommen wollen. „Sie haben manchmal die Haltung: „Alles ist schlecht, aber was soll ich machen? Die Dinge sind, wie sie sind, ich kann nichts dran ändern.“ In solchen Fällen arbeitet Julia S. mit ihren Kunden daran, dass sie wieder ihre Eigenverantwortung erkennen und auch dann etwas zu tun, wenn es manchmal aussichtslos erscheint. „Das sind oft nur kleine Stellschrauben“, sagt sie. Zum Beispiel könne man das nächste Gespräch mit dem Chef einfach mal selbst einleiten anstatt auf die nächste Einladung zu warten. Manchmal reiche auch, sich bewusst zu machen, was für ein Selbstbild man hat – welche inneren, unterbewussten Überzeugungen und Glaubenssätze – und sich mit dieser Erkenntnis selbst bei der Interaktion zu beobachten. „Dann macht man mal etwas anders, es fällt den anderen auf und das ganze System beginnt, sich wenigstens ein bisschen zu ändern.“
Bei alldem ist Julia S. sehr wichtig zu betonen, dass ihre Kunden selbst herausfinden müssen, was gut für sie ist. „Ich gebe nur einen Rahmen und stelle Fragen.“ Oder anders formuliert: „Ich unterstütze die Kunden dabei, durch Angebote meiner Beobachtungen und einen sicheren vertraulichen Rahmen ihre eigenen Themen herauszufinden und so in die Veränderung zu kommen.“
Die Arbeitszeit
Der Mann von Julia S. arbeitet sehr viel und sie haben drei Kinder. Deshalb möchte sie selbstbestimmt arbeiten und frei entscheiden, wie viel sie arbeitet. Eigentlich will sie maximal 20 Stunden pro Woche arbeiten, manchmal gibt es aber auch Wochen, wo es mehr wird, weil Kunden mehr von ihr brauchen. „Danach muss es aber auch wieder weniger werden“, grinst sie. Julia S. mag es sehr, dass es in ihrem Beruf oft sehr intensive Gespräche gibt, davor und danach aber auch viel Zeit, zu reflektieren. Die Arbeit, so Julia S., sei „geistig anspruchsvoll“. Sie hat ungern mehr als zwei Gespräche am Tag. „Das ist eigentlich schon viel“, findet sie. Wenn sie mit Unternehmen zusammenarbeite, wo die Themen breiter werden, dann gibt es auch Beratungsgespräche, die einen ganzen Tag dauern können.
Die Bezahlung
Privatkunden bezahlen bei Julia S. 120 Euro die Stunde, und eine Sitzung dauert in der Regel 90 Minuten. Man startet mit mindestens drei Sitzungen. Unternehmen zahlen 160 bis 180 Euro die Stunde, je nachdem, wie groß sie sind. Manchmal ist Julia S. vier Tage am Stück in einer Firma, dann verlangt sie pro Tag 1.600 Euro. Nach wenigen Monaten Selbstständigkeit kann sie noch nicht sagen, wie viel Geld sie monatlich raus hat. „Es wäre unrealistisch zu erwarten, dass die Familie jetzt schon davon leben könnte.“ Darum deckt im Moment der Mann von Julia S. 75 Prozent der Ausgaben. Aber sie hat den konkreten Plan, in spätestens fünf Jahren die Familie selbst ganz zu tragen. Oder zumindest zu den 75 Prozent, die ihr Mann jetzt trägt.
Der Lebensstandard, den es zu halten gilt: Julia S. und ihr Mann haben ein Townhouse an einem Park gekauft, sie möchten zweimal im Jahr Urlaub machen und sich gutes Essen leisten, lieber aus dem Bioladen als aus dem Supermarkt. Weniger wichtig sind teure Autos und Kleider. „Vorsorge ist allerdings ein Thema, wo ich noch nicht so drin bin. Aber wir haben das Haus und sparen seit Jahren.“
Das Gewissen
„Es ist für mich jetzt alles zu hundert Prozent stimmig. Coaching bewirkt etwas. Es transformiert, ist etwas ganz Ehrliches und Vertrauliches.“ Julia S. findet, sie kann ihren Job gut mit ihrem Gewissen vereinbaren. Auch, wenn ihr Beruf dazu beiträgt, dass Unternehmen immer effizienter werden. Denn das funktioniert nur, wenn Menschen gut miteinander arbeiten, wenn sie achtsam zu sich selbst sind und auch einander wertschätzen. Das stiftet Sinn und Glück. „Mein Ziel ist es, dass sich die Arbeitswelt zu einem besseren verändert, ja.“
Findet sie, dass unsere Gesellschaft unter einem Selbstoptimierungswahn leidet? „Der Begriff ist falsch.“ Julia S. meint eher, die Menschen sollten mehr „auf sich schauen.“ Sie sollten dazu vorzudringen, wer sie sind und was sie erreichen möchten – und was sie dazu brauchen. „Für jeden Menschen ist der Weg zu mehr Zufriedenheit ein anderer.“ Manche brauchen dafür mehr Pausen, manche mehr Selbstdisziplin.
Die Wertschätzung
Die Bekommt Julia S. von ihren Kunden. „Die meisten sind sehr dankbar, auch wenn ich immer sehr offen, direkt und kritisch bin.“ Wenn der Kunde nicht möchte, dass bestimmte Dinge angetastet werden, dann werden sie auch nicht angetastet.
Die Zukunft
Julia S. zitiert den Psychologen Siegfried Brockert: „Was die Therapie im 20. Jahrhundert war, wird das Coaching im 21. Jahrhundert werden.“ Julia S. sagt, diese Entwicklung sei deutlich zu spüren am Coaching-Markt; es gebe nicht nur immer mehr Coaches, es gebe einfach auch mehr Menschen, die sich eine Begleitung für die verschiedenen Lebensphasen wünschen.
Außerdem weiß Julia S. viel darüber, wie schnell sich die Arbeitswelt verändert. „Es gibt viele tolle, neue Organisationsmodelle, weg von Hierarchie, gemeinschaftlich an Projekten zu arbeiten, und das hat große Vorteile“, findet sie. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass manche Unternehmen dafür aber noch nicht bereit sind. Und dass es auch sehr viele gibt, die nach außen hin nicht hierarchisch auftreten wollen, in denen es aber doch noch immer viel zu viele versteckte Hierarchien gibt. In solchen Fällen findet es Julia S. dann sehr wichtig, dass die Führungskräfte nicht mit Angst und Macht operieren, sondern mit Inspiration und Empathie. Sie findet, dass es insgesamt in der Arbeitswelt noch sehr viel zu tun gibt. Für sie ist das Coaching also ein Beruf, der viel Zukunft hat und den sie noch lang wird ausüben wollen.
Was kaufen Sie sich mit unverhofften 100 Euro?
„Ich würde sie für die nächste Ausbildung sparen. Immer wieder gibt es neue Methoden. Am liebsten würde ich mich andauernd weiterbilden.“
*Name geändert
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