Arbeit in Serie: ImmobilienmaklerIn: „Skrupellosigkeit gehört dazu“
Wolf und Barbara Bütten* sind ganz unverhofft Immobilienmakler geworden. Ihr Einblick in die Branche ist vernichtend.
Der Arbeitsort
Bis vor kurzem hatten Herr und Frau Bütten noch ein Büro mit guter Adresse, sogar mit Besucherecke, Grünpflanzen. „Aber für Immobilienmakler ist das unwichtig, es gibt keine Besuche von Kunden und auch keine Laufkundschaft“, sagt Wolf Bütten. Das Paar hat eine Ecke im heimischen Wohnzimmer, da stehen der Rechner und der Drucker. „Ich kann da im Schlafanzug arbeiten, vieles läuft ohnehin übers Internet“, sagt er. Der Rest auf der Straße, vor dem Objekt, abends im Café, „wo die Deals besprochen werden“, beim Notar, in ganz Deutschland. Die Firmen, für die früher beide tätig waren, und für die inzwischen nur noch Wolf Bütten arbeitet: „Milliardenunternehmen“. Die Verhandlungspartner: „Deutsche Wohnen und Konsorten“.
Mit unserer „Arbeit in Serie“ werfen wir alle zwei Wochen Schlaglichter auf die Berliner Arbeitswelt, auf spannende Tendenzen und bedenkliche Phänomene. MehrfachjobberInnen, moderne ArbeitssklavInnen, ArmutsrentnerInnen: Wir schauen dahin, wo es wehtut. Aber auch dahin, wo die Berliner Wirtschaft boomt: Immobilienbranche, Unterhaltungsindustrie, Digitale Transformation. Wir stellen Fragen nach Wertschätzung und Perspektiven. Wir sprechen mit Menschen, die typisch sind für Entwicklungen und doch auch ihre ganz eigene Geschichte erzählen. Alle Folgen unter taz.de/arbeitinserie.
Die Menschen
Die Büttens sehen nicht wie die typischen Vertreter einer Branche aus, die sie ungefähr so umschreiben: „Frauenfeindlich, homophob, traditionelle CDU-Wähler“. Eine Welt, in der dominantes Auftreten alles, das Auto ganz wichtig und der Anzug sichtbar teuer sei. In der nur die ganz großen Fische nicht mehr so auf dicke Hose machten. „Ich habe mich nie so angepasst, ich trage nie einen Anzug und bin auch schon in Flip Flops zum Notar“, sagt er. „Das kam aber nicht gut an“, sagt sie. „War mir aber egal“, sagt er.
Wie alles begann
Wolf Bütten erzählt: „Ich hatte ein Geschäft in Charlottenburg, für das habe ich jeden Monat 3.500 Euro Miete gezahlt. Ich hab meinen Vermieter gefragt, ob ich die Gewerbeeinheit nicht kaufen kann. Fünf Jahre lang haben die nein gesagt. Dann starb das Familienoberhaupt, und die Frau wollte das ganze Haus für dreieinhalb Millionen verkaufen.
Uff, dreieinhalb Millionen, das war ein sehr fairer Preis, aber wie sollten wir als Privatpersonen das stemmen?! Dann haben wir einen befreundeten Immobilienmakler gefragt und der hat gesagt: Das machen wir. Er hat sich um das rechtliche Konstrukt gekümmert, hat noch einen dazu geholt, der sich um die Finanzierung kümmert. Ich wurde Geschäftsführer der GmbH, die den Kauf und späteren Verkauf gemanagt hat. Wir haben das dann zu dritt sehr gut gewuppt.
Ich habe aber gleich am Anfang gesagt: Hier wird nicht aus sechs Euro zwölf Euro Miete gemacht – dann bin ich nicht dabei, dann springe ich sofort ab. Darauf hatten wir uns mit Ehrenwort geeinigt.
Das Haus war ziemlich runter, und wir haben das dann gut saniert, die Miete von sechs auf acht Euro erhöht, aber auch ein Euro Heizkosten gespart. Fast alle Mieter sind geblieben, viele haben sogar selbst gekauft. Die waren alle happy danach, das war cool. Auch die Verkäufer waren sehr zufrieden und es stellte sich dann heraus, dass die in Berlin zu den großen Playern gehörten – weit über 100 Häuser waren in deren Besitz.
In den letzten 10 Jahren ließ sich sehr viel Geld mit Immobilien in Berlin verdienen. Und zwar zum einen mit der Vermietung und zum anderen mit dem Kauf und Verkauf inklusive Neubau. Die Immobilienpreise haben sich in diesem Zeitraum in allen Bezirken mindestens verdoppelt, zum Teil vervierfacht. Die Hauptgründe: Erhöhte Nachfrage durch Zuzug und die niedrigen Kapitalmarktzinsen, die das „Betongold“ besonders attraktiv machten. In Berlin gab es 2016 laut statistischem Landesamt fast 9.000 Unternehmen im Grundstücks- und Wohnungswesen mit rund 38.500 Beschäftigten. 2012 waren es noch rund 6.100 Unternehmen mit 27.000 Beschäftigten. (taz)
Sie haben mir dann weitere vier Häuser angeboten. Mit diesen ersten Deals haben wir 40 bis 50 Millionen Euro Volumen umgesetzt. So wurde ich zum Immobilienmakler.“
Sie: „Ich bin auch so quer reingerutscht, komme eigentlich aus einem sozialen Arbeitsfeld. Ich habe dann noch die Fortbildung zur Immobilienfachwirtin und vor allem die Arbeit im Backoffice-Bereich gemacht.“
Die Branche
Barbara Bütten erzählt: „Das ist eine Branche, in der nur die Männer das Sagen haben. 'Wir stellen ‚ne Mullemaus ein, was fürs Auge, die setzen wir dann an den Empfang.‘ – So wird da über Frauen gesprochen. Von Männern um die 50. Da mitzumischen ist als Frau ganz schwer, auch wenn du mehr Wissen hast. Wenn bei Besprechungen der Kaffee alle war, haben alle mich angeschaut. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass unter Maklern immer erst mal rumgeprahlt wird: ‚Ja, ich hab‘ da den Deal abgeschlossen, das war so geil und das ist übrigens meine Yacht, wenn ihr mal gucken wollt, da war ich neulich mit der und der heißen Braut drauf.' Auspacken, wie toll man ist – das ist normal für die Branche. Was du sonst in 20 Minuten abhandeln kannst, dauert dann drei Stunden. Und dann kommen die da raus und sagen: ‚Ach, was haben wir heute wieder gearbeitet.‘ Da musst du mental voll drauf einsteigen. Sonst tütest du keine Deals ein.“
Wolf Bütten: „Man muss da keine Ausbildung machen. Die Makler an sich, da haben wir einige kennenlernt, ich weiß nicht, ob die jemals einen Hauptschulabschluss gemacht haben. Die sind seit 20 Jahren im Geschäft und haben nicht mal das Basiswissen. Was zählt, sind Kontakte, Netzwerke. Und wie du dich verkaufen kannst, wer dir glaubt. Ohne Connections oder extreme Skrupellosigkeit kannst du nicht mitspielen, da kannst du noch so ein guter Makler sein.“
Die Arbeitszeit
Es gebe eigentlich keine Halbtagsmakler, 60-70 Stunden die Woche seien keine Seltenheit, kein Privatleben, immer verfügbar sein, kaum Urlaub und wenn, dann noch mal schnell zwei Tage zurück für einen Deal, 80 Handytelefonate am Tag. Die Arbeit mit den Hausverwaltungen, den Banken, das passiere in den normalen Geschäftszeiten. Aber die Partnersachen, die Deals, das laufe abends.
Um so einen Deal abzuschließen, erzählen die Büttens, reichten vier Zeilen: Größe, Lage, Mieteinnahmen, Wunschpreis. Und dann war klar: Kaufen oder nicht kaufen. Die Feinheiten wurden später abgecheckt.
„Und auch als kleiner Makler – von privat an privat – hast du super viel Arbeit. Da schauen sich 30 Leute eine Wohnung an, du mailst mit 30 Leuten, bis zum Notartermin kann der Käufer jederzeit abspringen und das passiert auch regelmäßig. Klar läuft auch mal ein Verkauf super – so einen Schuss gibt es auch. Aber bei vielen musst du dir dein Geld hart erarbeiten. Da schließt du nicht einfach nur mal eine Wohnungstür auf und hast 5.000 Euro verdient“, sagt Barbara Bütten.
Die Bezahlung
„Wir haben ganz gut verdient, das muss man wirklich sagen“, sagt Wolf Bütten. Gewinn hatten sie durch die ganzen Deals wohl um die 100.000 Euro im Jahr. Aber die richtig fetten Makler gingen auch mal mit zwei bis zehn Millionen Euro nach Hause. Bei den ganz großen Büros stünden aber auch eine Menge Angestellte dahinter und die müssten dann auch in den Jahren bezahlt werden, in denen es mal gar nicht so gut läuft.
Das Gewissen
Beim ersten Deal, den sie gemacht hätten, erzählen die Büttens, hätten noch alle was davon gehabt: die Mieter, Die Verkäufer, die Käufer. Mit weiteren Deals sei die Gier gekommen. Da habe es auch bei ihnen angefangen zu kippen.
Er: „Vom Makler wirst du nie einen echten Rat bekommen: Du bezahlst ihn zwar, aber sein ‚Freund‘ ist der Verkäufer, der hat ihn beauftragt und je höher der Verkaufspreis, desto höher seine Provision.“ Sie: „Das ist generell eine schwierige Sache, ich bin ein sehr ehrlicher Mensch und will niemanden über den Tisch ziehen, der da vielleicht sein ganzes Erspartes investiert.“
Er: „Also bist du ungeeignet für die Branche.“
Sie: „Ja, das ist so.“
Er: „Diese ethische Diskussion haben wir oft geführt. Generell würde ich sagen, jemand mit einem sozialen Gewissen hat in der Branche nichts zu suchen. Die Sachen, die wir gemacht haben, damit konnten wir moralisch leben. Wir haben keine Großmutter rausgedrängt, das war uns wichtig. Aber was nach fünf Jahren mit den Wohnungen passiert, wissen wir auch nicht.“
Die Wertschätzung
„Es ist ein sehr hartes Geschäft , und man kriegt auch kein Dankeschön“, sagt Barbara Bütten. Wenn die Leute gefragt haben, was sie beruflich machen, hätten sie das Wort Makler gern vermieden, haben dann von Immobilienmanagement, Immobilienbewertung erzählt. Auch mit diesem Gespräch wollen sie lieber anonym bleiben. „Wir haben einen eher linken Freundeskreis, da ist es erst einmal schwierig. Aber wenn man dann mal erzählt hat, was man genau macht, kam sofort: ‚Habt Ihr ne Wohnung für uns?‘“, erzählt Wolf Bütten. Sie hätten auch an Freunde verkauft. „Gibt ab und zu noch Freibier.“
Die Perspektive
„Jetzt ist es gerade erledigt. Der Markt ist leer. Wer jetzt kauft, hat nicht alle Tassen im Schrank. Im Wedding für 5.000 Euro pro Quadratmeter – das hält nicht. Nur in den richtig guten Lagen bleibt es so teuer“, prophezeit Wolf Bütten, der inzwischen nur noch einen Tag in der Woche als Geschäftsführer für die Abwicklung größerer Immobiliendeals mitmischt. Eben mal nach Frankfurt fliegen, die Sonne im Landeanflug, zum Notar und noch ein entspannter Kaffee vor dem Rückflug – „So was ist auch mal ganz witzig“. 4.000 Euro bekommt er dafür im Monat. Barbara Bütten ist inzwischen ausgestiegen. „Das war einfach keine Erfüllung“, sagt sie und ist inzwischen im therapeutischen Bereich tätig. „Wir wollen alt werden, wir haben Kinder, wir haben noch andere Leidenschaften und Perspektiven.“
Und zum Schluss: Was kaufen Sie sich für unverhoffte 100 Euro?
„Wellness“, sagt sie. „Fliesen fürs Bad“, sagt er. In der eigenen Immobilie.
*Namen geändert
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