Apple löscht Protestapp aus Hongkong: Die Partei hat immer recht
Eine bei Protestierenden beliebte App wird von Apple entfernt. Vorgeblich deshalb, weil sie für individuelle Attacken auf Polizisten genutzt wurde.
D rei Jahrzehnte sind die großen Umwälzungen her, die das Ende der zumindest nominell kommunistischen Einparteienherrschaften in den meisten Ostblockstaaten brachten. Ein paar gibt es natürlich noch, allen voran die Weltwirtschaftsmacht China. Die dortige Staatsführung hat nun einen neuen Parteigänger gefunden.
Am Mittwoch nahm Apple eine Anwendung aus seinem App Store. Das passiert immer wieder, wegen technischer Probleme oder Verletzung der Richtlinien des Unternehmens. So etwas sorgt sonst nicht für großes Aufsehen. Mit der gerade entfernten, in Hongkong sehr populären App Hkmap.live ist das anders. So anders, dass Apple-Chef Tim Cook sich zu einer Stellungnahme genötigt sah. Hkmap.live war beliebt bei Protestierenden in Hongkong, weil die App automatisiert Echtzeitdaten über Polizeieinsätze in der Stadt aggregierte.
In einer firmenweiten Mitteilung erklärt Cook nun, dass die App genutzt wurde, um einzelne Polizisten zu lokalisieren und anzugreifen. Außerdem seien Orte identifiziert worden, die ohne Polizeischutz leichte Ziele für Vandalismus waren. Als Quelle für diese Behauptungen nennt Cook Behörden aus Hongkong. Nun ist der beschriebene Missbrauch der App technisch kaum zu bewerkstelligen. Nach Angaben der Entwickler werden nicht einzelne Polizisten, sondern Großeinsätze dargestellt. Individuelle Angriffsziele sind so kaum auszuspähen. Auch enthalten Berichte aus Hongkong zwar eine Menge Belege für polizeiliche Übergriffe oder Zusammenstöße größerer Gruppen, für die behaupteten Überfälle aber eher nicht.
Die Unterstellungen gegen die Protestierenden und die App wirken weniger wie geprüfte Fakten, sondern machen mehr den Eindruck einer unkritischen Übernahme von Parteirichtlinien und -propaganda. Das war schon vor zwei Jahren so, als der Konzern die App der New York Times, wegen des „Verstoßes gegen lokale Regularien“ aus dem chinesischen Appstore strich.
Tim Cook hat also offenbar sein Herz für den Staatssozialismus entdeckt. Oder einfach nur auf Druck aus Peking reagiert. Schließlich lässt Apple einen Großteil seiner Produktpalette preisgünstig (sprich: ohne lästige Einflussnahme von Gewerkschaften) in China zusammenschrauben. Und der chinesische Markt mit mehr als 240 Millionen verkauften iPhones ist auch nicht zu verachten. Da erspart man sich lieber Ärger mit der weisen Parteiführung. Willkommen auf der Siegerseite der Geschichte, Genosse Cook.
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