Apple-Serie „Platonic“: Freundschaft in der Rushhour
In der Serie „Platonic“ sind Will und Sylvia beste Freunde – ein Konzept, das zwischen Mann und Frau nicht selbstverständlich zu sein scheint.
Aus der Familienforschung stammt der Begriff der „Rushhour des Lebens“. Gemeint sind die mittleren Lebensjahre, in denen für viele Menschen zwischen Familie und Beruf kaum mehr Zeit für etwas anderes bleibt. Eine griffige Metapher, selbsterklärend und ein wenig einschüchternd.
Nun scheint in dieser Lebensphase bei allem beglückenden Füßchentrappeln einiges erst einmal aufgeschoben werden zu müssen. Wahrscheinlich beginnt man die schon lang geplante Proust-Lektüre nicht, wenn das zweite Kind zahnt. Wahrscheinlich werden die disziplinierten Meditationsvorsätze aus Studienzeiten erst einmal auf Eis gelegt, wenn Morgende mit diversen Toastbelagwünschen navigiert und Kinder und Eltern pünktlich und regenfest im Alltag abgeliefert werden müssen.
Die Apple TV+-Serie „Platonic“ zeigt ein weiteres Phänomen auf, das häufig mit Gründung der Kernfamilie einhergeht: der Verlust von Freundschaften zwischen Männern und Frauen.Will (Seth Rogen) und Sylvia (Rose Byrne) pflegen so eine Freundschaft. In Studienzeiten unzertrennlich, haben sie sich nach einem Streit fast ein Jahrzehnt lang aus den Augen verloren, bis sie ihre Freundschaft wieder aufleben lassen.
Hier steigt die erste Staffel der Comedyserie (2023) ein und zeigt auf ausgesprochen lustige Weise ein Dilemma auf, das alte Freundschaften häufig mit sich bringen: Was ist, wenn man mit Freunden aus der Vergangenheit ganz anders ist als in seiner Rolle des verantwortungsvollen Erwachsenen? Wenn alte Spaßdynamiken wieder hochkochen, Erinnerungen an Tage ohne Elternpflegschaftssitzungen und glutenfreien Kuchen?
An diese Prämisse knüpft die aktuelle Staffel an, wenn Sylvia in der ersten Szene ein Familienauto kaufen soll und stattdessen mit Will einen gelben Sportwagen probefährt. Natürlich ist Mitte 40 nicht Mitte 20, und die liebevolle Selbstironie ist eine große Stärke der Serie – etwa dann, wenn der wildeste Junggesellenabschied an Intervallfastenplänen zerschellt oder Sylvia Nachrichten verschickt wie „When iz da lunch?“.
Keine augenzwinkernde Zweideutigkeit
Ein treffsicheres Gespür für hochaktuelle Situationskomik, die sich zwischen politischer Korrektheit, dem Barbie-Film und Timothée Chalamet bewegt, durchzieht die aktuelle Staffel, in der Männerfiguren Floral-Arrangement-Kurse von Jennifer Garner belegen.
Die manchmal verunsichernde Wirkung von langjährigen Freundschaften auf neue Partnerschaften ist erneut Thema: So bittet Will Sylvia weise, gegenüber seiner Verlobten nicht als „Will-Historikerin“ aufzutreten. Auf manche Einfälle kommen eben nur alteingeschworene Freunde – etwa auf den, die Alkoholknappheit bei einer Verlobungsfeier durch Wodka Sprite zu überbrücken und das Gemisch als „Dry Spanish Cider“ an die Gäste zu bringen.
Die Chemie zwischen Rogen und Byrne, die schon für „Bad Neighbors“ als Comedypaar vor der Kamera standen, trägt die Serie über einige Albernheiten hinweg. Die beiden Darsteller gehören mittlerweile zum festen Repertoire des Streaminganbieters und haben mit „The Studio“ und „Physical“ jeweils massive Erfolge auf Apple TV+ eingefahren.
„Platonic“
zweite Staffel
auf Apple TV+
Der originellste Clou von „Platonic“ ist – obgleich von Fans mitunter sehnlichst erwünscht – das Verkneifen jeglicher Andeutungen, die Freundschaft zwischen Sylvia und Will könne mehr sein als platonisch. Keine augenzwinkernde Zweideutigkeit wird zugelassen, das Klischee der unmöglichen Freundschaft zwischen Männern und Frauen wird nicht bemüht – und stattdessen gezeigt, dass verschiedene Menschen verschiedene Rollen im Leben einnehmen.
Will könnte Sylvia nicht heiraten, und er könnte mit seiner Verlobten keinen Champagner stehlen. Wie gut, dass es Freunde gibt.
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