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Anwalt über „Cumhuriyet“-Prozess„Wir kämpfen weiter“

Mehrere Mitarbeiter der regierungskritischen türkischen Zeitung „Cumhuriyet“ sind zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. Zu Unrecht, findet deren Anwalt.

„Gerechtigkeit für cumhuriyet“ steht auf dem Schild, das ein Demonstrant zum Prozessauftakt, im Juli 2017, vor dem Gericht bei Istanbul in die Luft hielt Foto: dpa
Interview von Ali Çelikkan

Taz: Herr Yalçın, nachdem die Richter am vergangenen Mittwoch ihre Urteile gesprochen hatten, kam mit dem Herausgeber der Cumhuriyet, Akın Atalay, erst einmal der letzte Mitarbeiter der Zeitung, der noch in U-Haft saß, frei. Endlich sind sie alle wieder zusammen in der Redaktion.

Abbas Yalçın: Ja, wir sind natürlich froh darüber. Doch angesichts der unvergleichlich hohen Strafen, die verhängt wurden, darf nicht übersehen werden, dass kein einziger Tag davon zu recht verhängt wurde. Dass unsere Mandanten verurteilt wurden, ohne dass irgendein Beweis für ihre Beihilfe zu einer terroristischen Vereinigung vorliegen würde, ist absolut unfair und unrechtmäßig.

Wie hoch sind die Strafen bei ähnlichen Vorwürfen denn sonst?

Personen, die wegen der Mitgliedschaft bei FETÖ („Fethullahistische Terrororganisation“, Anm.d.Red.) angeklagt sind, bekommen in der Praxis sechs Jahre und drei Monate. Für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sind also sechs Jahre und drei Monate üblich. Gegen die Cumhuriyet-Mitarbeiter wurden nun Strafen von bis zu acht Jahren und einem Monat verhängt, und zwar allein wegen Beihilfe, noch nicht einmal wegen der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation. Emre Iper, der in der Buchhaltung beschäftigt ist, wurde der Propaganda für eine terroristische Vereinigung bezichtigt. Die meisten Menschen würden wegen einer solchen Anschuldigung keinen einzigen Tag in Haft kommen. Die Haftstrafen wurden unter Auflagen zur Bewährung ausgesetzt. Emre Iper bekam wegen drei Tweets an seine gerade einmal 32 Follower drei Jahre, einen Monat und 15 Tage Haft. Nur weil er Mitarbeiter der Cumhuriyet ist.

Müssen die Cumhuriyet-Mitarbeiter nach der langen Untersuchungshaft nun ins Gefängnis? Oder können Sie rechtlich noch einlenken?

Es ist zu früh, um das beurteilen zu können. Die Urteile müssen bestätigt sein bevor jemand ins Gefängnis kommt, das kann Jahre dauern. Uns steht noch der Weg der Revision offen, wir werden uns an das Berufungsgericht weden. In einem System, in dem die Rechtsprechung funktioniert und eine faire Gerichtsbarkeit gegeben ist, müsste dieses Berufungsgericht die Angeklagten unverzüglich freisprechen. Wenn nötig, ziehen wir auch vor das Verfassungsgericht und danach zum Europäischen Gerichtshof für Menschengerichte (EGMR).

Nehmen wir an, die türkische Justiz fällt kein gerechtes Urteil. Welchen Einfluss könnte der EGMR dann noch nehmen?

Wir können uns ja gar nicht direkt an den EGMR wenden, wir müssen zunächst zum Verfassungsgericht gehen. Erst wenn das Ergebnis dort negativ ist, können wir beim EGMR klagen. Verfassungsgericht und EGMR arbeiten extrem behäbig. Wir haben noch nicht einmal eine Antwort auf unsere Anträge wegen unrechtmäßiger Haft vom Verfassungsgericht. Auch der EGMR hat die Sache in die Länge gezogen, um kein Urteil sprechen zu müssen. Wir hatten wegen unrechtmäßiger Haft geklagt, jetzt werden wir uns wegen unfairer Prozessführung dorthin wenden.

Der "Cumhuriyet"-Prozess

Der Prozess: Nach neunmonatiger Verhandlung sprach das Gericht in Silivri bei Istanbul am vergangenen Mittwoch ein Urteil gegen die Mitarbeiter der Zeitung Cumhuriyet. 13 Mitarbeiter wurden wegen Beihilfe zu einer terroristischen Vereinigung zu mehreren Jahren Haft verurteilt, der Buchhalter Emre Iper wegen Propaganda für eine solche Vereinigung. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

Die Zeitung: Cumhuriyet gilt als eine der letzten oppositionellen Zeitungen in der Türkei. Ein Großteil ihrer Mitarbeiter war bei Razzien Ende 2016 festgenommen und anschließend in U-Haft genommen worden.

Der Anwalt: Abbas Yalçın ist einer der Anwälte der Zeitung.

Hat die Regierung mit diesem Prozess ihr Ziel erreicht?

Nein, wir stehen ungebrochen aufrecht. Wir üben unsere journalistische Tätigkeit weiter aus wie immer. Sie werden die Cumhuriyet nicht zum Schweigen bringen. Es läuft ja nicht bloß dieser Prozess, es sind darüber hinaus eine ganze Reihe von Ermittlungen, Straf- und Entschädigungsprozessen anhängig. Obendrein gibt es finanzielle Schwierigkeiten, man scheut sich, Werbeanzeigen bei uns aufzugeben. Seit zwei Jahren kämpfen wir unter diesen Umständen und das werden wir auch weiterhin tun.

Wie viele Prozesse laufen noch gegen die Cumhuriyet?

Allein seit 2016 sind über 50 Prozesse gegen die Cumhuriyet anhängig.

Wie geht es nun für sie weiter?

Nach wie vor sind Journalisten und Anwälte in Haft. Die Mahnwachen für Gerechtigkeit vor dem Gerichtspalast in Istanbul gehen weiter. Wir stehen vor Wahlen, wahrscheinlich wird die Regierung den politischen Druck erhöhen. Wir werden weiterkämpfen, es hat gerade erst angefangen. Das zeigen auch die Worte unseres Vorstandsvorsitzenden Rechtsanwalt Akın Atalay, der am Mittwoch aus der Haft freikam: „Wir werden da weitermachen, wo wir stehengeblieben sind“.

Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe

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