Antworten zum Volksentscheid in Berlin: Kann man auf Tegel fliegen?
Wie war das jetzt noch mal: Tegel offenhalten ist rechtlich gar nicht möglich? Oder doch? Oder wie? Wir versuchen uns noch einmal an den wichtigsten Fragen
Also, Karten auf den Tisch: Ist die Offenhaltung von Tegel nun rechtlich möglich oder nicht?
Um es einfach zu machen: ja. Theoretisch. Denn theoretisch ist vieles rechtlich möglich, im Sinne von „nicht komplett ausgeschlossen“. Theoretisch könnte auch Bayern zur Monarchie zurückkehren. Aber realistisch betrachtet ist der Weiterbetrieb von TXL mit so vielen juristischen Widrigkeiten und Unwägbarkeiten verbunden, dass die Wahrscheinlichkeit äußerst gering wäre, ihn durchzusetzen. Das lässt sich nach vielen erhitzt geführten Debatten und etlichen Expertisen beider Seiten mit einiger Sicherheit behaupten.
Was steht dem Weiterbetrieb denn juristisch im Weg?
In erster Linie die Tatsache, dass es sich beim „Single-Airport-Konzept“ – das den Ausbau von Schönefeld zum BER und die Schließung aller anderen Flughäfen in der Region vorsieht – um eine rechtssichere Raumordnungsplanung handelt, an der sehr viele Menschen und Behörden über sehr viele Jahre hinweg beteiligt waren. Es gab langwierige Gesetzgebungsverfahren, eine gemeinsame Landesplanung von Berlin und Brandenburg, Anhörungen, Klagen, Urteile – um all das einfach über den Haufen zu werfen, bräuchte es im deutschen Rechtssystem schon eine verdammt gute Begründung.
Genau, und die lautet: Die Kapazitäten am BER reichen nicht aus.
Das ist das Hauptargument der FDP und ihrer Kampagne (aber nicht unbedingt das Hauptargument derjenigen, die für die Offenhaltung Tegels stimmen werden). Dass es keine nennenswerte Kapazitätslücke geben wird, kann die Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg (FBB) aber ziemlich klar belegen. Nicht nur sprechen die bereits vorgelegten Ausbaupläne für den BER dagegen. Das von Ryanair bezahlte Pro-Tegel-Gutachten hantiert auch mit Zahlen, die beim Angebot (mögliche Flugbewegungen auf den Start- und Landebahnen des BER) nachweislich zu niedrig sind und bei der Nachfrage krass überzogen: Die Gutachter halten 90 Millionen Fluggäste im Jahr 2050 für „wahrscheinlich“ – sonst aber eigentlich niemand.
Aber wenn es ein Kapazitätsproblem gäbe, dann wäre alles klar?
Nein, auch dann nicht. Es hinge ohnehin alles davon ab, dass die Mitgesellschafter der FBB, das Land Brandenburg und der Bund, mit Berlin an einem Strang ziehen. Brandenburg hat schon aus Gründen der wirtschaftlichen Entwicklung rund um Schönefeld kein Interesse daran, die gemeinsame Landesplanung zum Flughafenstandort aufzugeben. Und wenn es so wäre, schlösse sich nach Ansicht von Juristen ein mehrjähriges planerisches Verfahren an. Klagen dagegen, gerade von den lärmgeplagten Anwohnern, wären sicher – mit hohen Erfolgschancen, denn möglichst geringe Lärmbelastung ist ein hohes raumordnerisches Gut, wie die Rechtsexperten so sagen.
Ein Team von wirtschaftspolitischen Experten an der Technischen Universität kommt zu dem Schluss, dass in diesem Szenario eine Phase der „Planungsunsicherheit“ entstünde, die „etwa sieben bis zehn oder mehr Jahre andauern“ würde. Okay: Das steht in einer Stellungnahme, die sie im Auftrag des Finanzsenators verfasst haben.
Aber der „Widerruf des Widerrufs“, die Aufhebung der Aufhebung der Betriebsgenehmigung für TXL, ist grundsätzlich schon möglich, wie es die FDP sagt?
Da schlagen sich die Juristen die Paragrafen nur so um die Ohren. Kein Problem, sagen die einen, ein Verwaltungsakt kann durch einen neuen Verwaltungsakt annulliert werden. Dagegen gibt etwa der ehemalige Präsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, Jürgen Kipp, zu bedenken, dass TXL von den Alliierten nach Gutdünken genehmigt wurde und nie eine ordentliche Planfeststellung durchgemacht hat – was ein langer und sorgfältiger Abwägungsprozess mit vielen Instanzen ist.
Weil nach der Wende der Flugbetrieb weitergehen musste, „fingierte“ man dann die Planfeststellung, tat also quasi so, als hätte es eine gegeben. Und ließe man jetzt die Betriebsgenehmigung wiederauferstehen, würde das bedeuten, auch die fingierte Planfeststellung wiederzubeleben. Die aber ist, so Kipp, ein „materiell minderer Rechtszustand“, der nach einem Widerruf nicht mehr wirksam werden kann. Es müsste also ein neues Planfeststellungsverfahren für einen Flughafen mitten in der Großstadt geben – und dass das mit Sicherheit scheitern würde, bestreitet nicht einmal die FDP. (Noch ein Disclaimer: Auch das Gutachten von Kipp wurde vom Senat beauftragt.)
Jetzt nur mal gesetzt den Fall, alle wollen TXL offen lassen – was passiert dann eigentlich mit dem BER?
Gute Frage, an der man sieht, dass auch einzelne Juristen mehr als eine Meinung vertreten können. Diesmal betrachten wir das Gutachten, dass der renommierte Verwaltungsrechtler und Bewegungsanwalt Reiner Geulen im Auftrag des Justizsenators geschrieben hat. Geulen geht davon aus, dass ein Abschied vom Single-Airport-Konzept dem Planfeststellungsbeschluss des BER „eine tragende Grundlage entziehen“ würde. Deshalb dürfte der BER nicht vor Abschluss eines sogenannten Planergänzungsverfahrens in Betrieb gehen, das sich wiederum Jahre hinziehen könnte.
Andererseits behauptet Geulen: Wenn der BER wirklich einmal den Betrieb aufnimmt, macht Tegel dicht. Da gebe es nichts zu diskutieren, denn die Schließung sei – juristisch betrachtet – längst vollzogen. Das alles passt nicht so recht zusammen. Denn wenn der BER nicht loslegen kann, weil TXL offengehalten werden soll, dann könnte TXL eben offen bleiben, weil der BER nicht loslegt. Ganz schön komplizierte Materie, offenbar selbst für Juristen.
Also geht es doch!
Die erstgenannten Argumente werden davon ja nicht aufgehoben. Und es gibt noch mehr, je tiefer man sich in die Materie begibt.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel würde die Abkehr vom Single-Airport-Konzept ein ganz neues Fass aufmachen: Denn schließlich gibt es mehrere Standorte in Brandenburg, die sich den Fluggesellschaften Ryanair oder Easyjet nur zu gerne als Billigstandort andienen würden. Wenn dann aber auch noch von Eberswalde-Finow oder Neuhardenberg geflogen würde, hätte die FBB mit den kostenintensiven Flughäfen BER und TXL ein ausgemachtes wirtschaftliches Problem.
Redet man die ganzen Probleme nicht auch herbei? Vielleicht ist ja alles viel einfacher, wenn man unkonventionell denkt? Helge Sodann, der ehemalige Präsident des Berliner Verfassungsgerichtshofs, hat bei der TXL-Debatte in der Urania gesagt, Berlin könne einfach die gemeinsame Landesplanung mit Brandenburg aufkündigen, mit einer Dreijahresfrist sei das durchaus möglich.
Eine wahnsinnig smarte Idee. Abgesehen davon, dass damit unendlich viel Porzellan zwischen den beiden Ländern zerbrochen würde, führt es sich selbst ad absurdum: Wie schon erwähnt, ist Brandenburg Gesellschafter der FBB, ohne Potsdam kann keine Entscheidung getroffen werden. Herr Sodann fordert also, einen Partner zu düpieren und gleichzeitig Kooperation von ihm zu verlangen. Da kann man nur viel Erfolg wünschen.
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