Antiziganismus in Deutschland: Schiefe Blicke und Racial Profiling
Dienstagmittag werden Untersuchungsergebnisse der Kommission Antiziganismus vorgestellt. Erschreckende Details aus dem Bericht sind schon bekannt.
Antiziganismus – spezifischer Rassismus gegen Sinti:ze und Rom:nja – ist in Deutschland weit verbreitet. Eine elfköpfige Kommission, besetzt mit Wissenschaftler:innen und Expert:innen, hat im Auftrag der Bundesregierung zwei Jahre lang an einer Bestandsaufnahme des Phänomens gearbeitet. Ihr 501 Seiten umfassender Bericht liefert teils bedrückende Erkenntnisse.
Zum Beispiel belegten Studien, dass Sinti:ze oder Rom:nja bis heute von Racial Profiling betroffen seien, dass sie also von Polizist:innen aufgrund ihres Aussehens häufiger als verdächtig eingeschätzt werden als weiße Personen, heißt es in dem Bericht. Betroffene berichteten von überdurchschnittlich häufigen Kontrollen im öffentlichen Raum – und von völlig überzogenen Polizeieinsätzen.
Nicht nur die erwähnte Frau wird zitiert, auch ein Betroffener, der sich beim Roma Büro Freiburg gemeldet hat. Egal, ob man mit dem Fahrrad, dem Roller oder dem Auto unterwegs sei: „Wenn du dunkel bist, also ‚Zigeuner‘, Araber, Schwarzer oder so, wirst du angehalten und oft so total kontrolliert, als ob du gerade geklaut, ne Knarre im Hosenbund, Koks im Socken, Schwarzgeld in der Unterhose und gefälschte Pässe im Arsch hättest.“ Es sei wie ein Witz, wenn es nicht so traurig wäre.
Herabwürdigungen oder Getuschel
Der Bericht zitiert eine Studie, die Rassismuserfahrungen von Sinti:ze oder Rom:nja im Alltag untersucht hat. Ein Großteil der Erfahrungen im öffentlichen Raum nehme nonverbale Kommunikation ein – also etwa Blicke, Herabwürdigungen oder Getuschel. In öffentlichen Verkehrsmitteln würden sie angestarrt, beim Betreten von Restaurants spöttisch betrachtet, in Einkaufsläden stünden sie unter Beobachtung. Aber auch körperliche Gewalt oder Anschläge seien zu beobachten.
Eine Betroffene berichtete, dass sie stets die Ärmel hochkrempelt und ihren Einkaufskorb sowie die Artikel sichtbar für alle hält, um Situationen zuvorzukommen, in denen sie des Diebstahls bezichtigt wird. Der Bericht der Kommission macht eindringlich klar, dass Diskriminierungen in allen Lebensbereichen vorkommen – in der Schule, später bei der Wohnungssuche oder in der Arbeitswelt.
Auch die Berichterstattung von Medien spiele eine Rolle bei der Reproduktion antiziganistischer Vorurteile, heißt es in dem Bericht weiter. „Antiziganismus ist in deutschen Medien weit verbreitet und nimmt eine Vielzahl an Formen an.“ Wenn etwa über klassische Armutsphänomene wie Betteln oder Kleinkriminalität berichtet werde, würden soziale Verhältnisse ausgeblendet und Phänomene stattdessen ethnisiert und einer als homogen wahrgenommenen Gruppe ‚der Roma‘ zugeschrieben. „Damit wird zugleich ein vermeintlich unüberwindbarer Konflikt zwischen ‚uns‘ und ‚ihnen‘ heraufbeschworen.“
Ausführlich widmen sich die Autor:innen auch dem deutschen Asyl- und Bleiberecht – und weisen nach, wie sehr dieses von antiziganistischen Vorurteilen geprägt wurde. Beispiele sind die Einordnung von Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als so genannte Sichere Herkunftsstaaten im Jahr 2014, oder die von Albanien, Montenegro und dem Kosovo im Jahr 2015.
Diskriminierende Asylrechtsverschärfungen
Mit den Gesetzesänderungen werde generell vermutet, dass Menschen aus diesen Staaten keiner Verfolgung und keinen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt seien. „Eine solche Vermutung ist aus flüchtlings- und menschenrechtlicher Perspektive nicht nachvollziehbar und überdies nicht haltbar, was umso mehr gilt, wenn man die menschenrechtliche Situation insbesondere von Rom:nja in diesen Staaten in den Blick nimmt.“
Der Bericht ordnet Antiziganismus auch historisch ein, stellt etwa den Kontext zur Nazizeit her, während der Sinti:ze und Romn:ja systematisch verfolgt und ermordet wurden. Und der Bericht belässt es nicht bei der oft deprimierenden Darstellung der Realität. Für jeden Bereich geben die Autor:innen Handlungsempfehlungen, wie sich Diskriminierungen reduzieren lassen.
So empfiehlt die Kommission zum Beispiel der Bundesregierung, die Voraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für Geduldete zu erleichtern – und klarzustellen, dass in Deutschland lebende Rom:nja „als eine aus historischen und humanitären Gründen besonders schutzwürdige Gruppe anzuerkennen sind.“
Landesregierungen müssten durch Erlasse sicherstellen, dass die Praxis von Kettenduldungen beendet und unterschiedliche Möglichkeiten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis genutzt würden. Abschiebungen von Rom:nja müssten sofort beendet, die Einstufung der erwähnten Länder als Sichere Herkunftsstaaten zurückgenommen werden.
Was davon politisch umgesetzt wird, ist eine andere Frage.
Aktualisiert am 13.07.2021 d. R.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
Berlin nimmt Haftbefehl zur Kenntnis und überlegt